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Die neuesten Funde vom Toten Meer

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Als vor einem Jahr etwa die große, unter der Oberleitung des als Archäologen wie als General gleich bekannten Professors der Hebräischen Universität in Jerusalem, Yigael Yadin, stehende Expedition nach den Höhlen am Westufer des Toten Meeres auf- brach, geschah es in der — uneingestandenen — Hoffnung, doch noch ein paar Schriftrollen zu finden, die den beduinischen Antiquitätenräubern entgangen waren. Yadin hatte damals, wie in allen seinen Unternehmungen, Glück, (Er gewann den Krieg von 1948, erwarb die berühmten sieben Rollen der Essener-Sekte und entzifferte sie.) Nun fand er zwar keine Dokumente dieser Sekte, aber er lichtete durch einen anderen Dokumenten- fund das Dunkel, das eine nicht unwichtige Periode des Heiligen Landes und des jüdischen Volkes fast völlig verhüllt hatte. Er fand damals nicht nur Waffen, Geräte, Kleidungsstücke und Skelette in den beinahe unzugänglichen Höhlen, in denen sich die letzten Aufständischen gegen die Römer im zweiten nachchristlichen Jahrhundert gehalten hatten, die endlich Belege für gewisse Hypothesen über diese Periode darstellten, sondern auch schriftliche Beweise für die Richtigkeit dieser von Legenden stark gefährdeten Vermutungen: vierzehn auf Papyrus oder auf Holztafeln geschriebene Briefe, die den bisher mehr oder weniger sagenhaften Partisanenführer und letzten jüdischen Fürsten Bar- kochbah nicht nur zu einer fester um- rissenen historischen Persönlichkeit machten, sondern auch endlich seinen vielumstrittenen Namen als „Schim’on bar-kossebah, Fürst von Yisrael“ festsetzten. Damit wurden die wenigen und flüchtigen Bemerkungen des späteren jüdischen Schrifttums und des gleichfalls viel später wirkenden griechischen Historikers Dio Cassius über den großen jüdischen Aufstand gegen deji Kafser Hadrian und übet die jpjpjfife gege;n die Legionen Severus rin überraschender Weise er-i weitert.

Dieses war der zweite Streich

Dieser Erfolg machte es fast selbstverständlich, daß nun der ersten eine zweite Expedition folgte. Auch sie war wieder in vier Gruppen geteilt, von denen jede in einem der Bezirke des derart aufgeteilten Forschungsgebietes in der Gebirgswüste westlich des Toten Meeres arbeitete. Wie im Vorjahr zählte die Expedition etwa 150 Freiwillige, fast durchweg Studenten der Hebräischen Universität oder Mitglieder von landwirtschaftlichen Kooperativdörfern, die wieder unter der Leitung der Archäologen Yadin, Avigad, Aharoni und Bar-adon (die ersteren drei von der Universität in Jerusalem) standen. Wie im Vorjahr genoß die Expedition eine in keiner Hinsicht begrenzte Hilfe der Armee, ohne die das Unternehmen völlig ausgeschlossen gewesen wäre. Die sie begleitenden, aus Pionieren, Infanterie und Marineuren bestehenden Gruppen führten nicht nur den Schutz gegen Überfälle räuberischer Beduinen durch, sondern unternahmen auch alle technischen Arbeiten vom Aufstcllen der Feldküchen in den vier Lagern bis zur Einleitung von elektrischem Licht in einzelnen Höhlen und der Errichtung eines Systems von Strickleitern auf den senkrechten Wänden, in denen sich die Höhlen befinden, ohne das der Zugang zu ihnen unmöglich gewesen wäre.

Die Ergebnisse dieses, ein ungeheures Arbeitsquantum, sicherlich mehr als eine halbe Million Pfund an Kosten und nicht wenig Bergsteigermut voraussetzenden Unternehmens waren der Anstrengungen durchaus wert. Wenn sie auch bis jetzt wissenschaftlich noch nicht ausgewertet sind, läßt schon die gewaltige Menge der Funde — manche in wiederholt abgesuchten Höhlen — auf sensationelle wissenschaftliche Werte schließen. Sie stammen vornehmlich aus zwei, durch einen Zeitraum von etwa 3000 Jahren getrennten Perioden, und zwar aus der chalkolitischen, also aus der frühen Bronzezeit (rund 3000 v. Chr.), und aus der Zeit Bar-kochbahs (oder Barkossibas), also aus der des letzten antirömischen Aufstandes (132 bis

135 n. Chr.). Daneben wurden auch einige Dokumente aus dem Kulturkreis des größten Ingenieurvolkes des Altertums, der Nabataeer (1. Jhdt. v. Chr. bis 1. Jhdt. n. Chr.), entdeckt, die infolge ihrer Seltenheit zu den großen archäologischen Raritäten zu rechnen sind.

Die Funde aus der chalkolitischen Periode: aus dieser Zeit machte das Lager Bar-adon den vermutlich bisher größten Fund. Nicht weniger als 439 in Matten verpackte Gegenstände, darunter 200 Keulenköpfe, Bronzewerkzeuge und Elfenbeinschnitzereien, wurden in einer Höhle entdeckt. Es handelt sich dabei um Arbeiten von auffallend großem künstlerischen Geschmack und ebensolcher Handfertigkeit. Eingravierte Tiere, wie Schildkröten, Gazellen, Stiere, Antilopen und Vögel wechseln mit geometrischen Figuren ab, von denen die Mehrzahl aus dieser Periode nicht bekannt war. Dieser Fund — vielleicht eine Kriegsbeute aus einem Tempel — ist von großer Wichtigkeit für die Erforschung der frühen Bronzezeit im Vorderen Orient.

Ein botanischer Fund

Bar-adons Glück ging aber noch weiter, da seine Abteilung noch einen anderen, zwar nicht für die Archäologie, aber wohl für die Botanik sehr entscheidenden Fund machte. Es wurde in dieser Höhle ein Quantum einer Art von Weizen entdeckt, die allem Anschein nach das langgesuchte Zwischenglied zwischen dem wilden, vor etwa 50 Jahren von Aaronson entdeckten zweikörnigen Weizen (Triti- cum diccocum) und dem seit Jahrhunderten im Vorderen Orient kultivierten gewöhnlichen Weizen darstellt.

Die Periode des Aufstands gegen die Römer ergab gleichfalls überraschende Resultate, die vor allem deshalb wichtig sind, weil einzelne der gefundenen. Dokumente auf den Tag der Ausstellung datiert erscheinen, was ein beinahe unerhörtes archäologisches Hilfsmittel für die Aufhellung dieses Zeitabschnittes ist. In der Höhle, in der Yadin im Vorjahr die ersten Briefe Bar-kochbahs gefunden hatte, entdeckte nun eine junge, vor kurzem aus Argentinien eingewanderte Studentin einen sehr schön gearbeiteten Bastkorb mit folgendem Inhalt: hölzerne Schalen, Frauensandalen, drei Messer, drei Schüsseln. Unter dem Korb lag ein Wasserschlauch, in dem eine Eisenpfanne war, die noch Spuren des letzten Gebrauches erkennen ließ, ein Spiegel, Räuchergefäße und darunter — wie im Vorjahr — ein Bündel von Dokumenten.

Die Papyri in hebräischer, griechischer und aramäischer Sprache, von denen etwa 20 völlig unbeschädigt sind, waren entweder gebündelt oder in Zigarrengröße zusammengerollt und stammen, ihrer ausgezeichneten Schriftführung wegen, sicherlich von einem, vermutlich dem gleichen berufsmäßigen Schreiber. An einen der Papyri, der in einem Schilfrohr verschlossen war, wagte sich der durch die Öffnung der berühmten sieben Rollen vom Toten Meer bekanntgewordene, mehr als 80 Jahre alte ehemalige Konservator der Münchner Pinakothek, Professor Biberkraut, nicht heran. Er rief daher den Gehirnchirurgen des Universitätsspitals, Beller, zu Hilfe, dem es auch schließlich gelang, auf operativem Wege das Rohr zu öffnen, ohne den Inhalt zu beschädigen.

Aufschlußreiche Prozeßakten

Im Augenblick, da diese Ptiws vista niedergeschrieben wird, sind die Dokumente noch nicht entziffert oder ist zumindest ihr Inhalt noch Geheimnis der Expeditionsleiter. Es steht aber so gut wie fest, daß es sich um Prozeßakten aus dem Archiv des von Bar- kochbah eingesetzten Kommandanten der Festung Eyn-gedi am Toten Meer handelt. Sie sind, wie Yadin andeutet, von großer Wichtigkeit, da sie unbekannte topographische Einzelheiten erwähnen und weil sie genau fixierte Daten tragen, wie zum Beispiel „Am 2. des Monats Kislev im dritten Jahr des Schim’on bar-kossebah, Fürsten von Yissrael“, also aus dem Jahr 134. Andere Funde wieder lassen deutlich erkennen, daß die in die Höhlen geflohenen Aufständischen dies in der Hoffnung taten, schließlich wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können. Wenn, unter Steinen versteckt, fein säuberlich verpackt, das Sabbatgeschirr einer judäischen Frau, eine Anzahl von Hausschlüsseln und sogar ein 40 Zentimeter langer Torschlüssel — vielleicht der Festung Eyn-gedi — gefunden wurden, dazwischen, wie um das genaue Datum der Nachwelt mitzuteilen, Münzen Bar-kochbahs, ist der letzte Akt einer der größten menschlichen Tragödien historischen Hintergrundes bestätigt. Ihr volles Ausmaß, das grauenhafte allmähliche Verhungern und der Massenselbstmord dieser Revolutionäre, verkünden die anderen Funde, die der vielen Skelette in den in einen Vorderteil für die Lebenden und einen Hinterteil für die Toten geteilten Höhlen. (Zumeist solche von Kindern und Frauen, da die Männer im Kampf gegen die tief unten und über ihnen liegenden Legionsabteilungen fielen.) In einigen Höhlen wurden auch, was der jüdischen Tradition nicht entspricht, Särge gefunden, davon einer aus Knochen und Holz mit bisher unbekannten geometrischen Figuren. Die Skelette der Aufständischen werden übrigens, wie eben beschlossen wurde, in einem Staatsbegräbnis in einem gemeinsamen Grab definitiv begraben werden.

Die wissenschaftliche Auswertung der Expeditionsergebnisse ist, wie angedeutet, noch nicht durchgeführt. Es ist aber ziemlich sicher, daß’sie derartige sein werden, daß man’ für die nächsten Jahre mit neuen archäologischen Angriffen auf diese anscheinend unerschöpfliche Schatzkammer in der Gebirgswüste westlich des Toten Meeres rechnen kann.

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