6543677-1947_02_13.jpg
Digital In Arbeit

Die Pflanzen im klimatischen Rhythmus

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn es auch schon lange bekannt ist, daß die Pflanzen für ihre optimale Entwicklung auf ein bestimmtes Klima angewiesen sind, so wurde doch erst in jüngster Zeit durch umfangreiche Übertragung von Kulturpflanzen aus ihrer Heimat in andere Gebiete ersichtlich, wie sehr die höheren Pflanzen an früher meist unbeaditet gebliebene Eigenarten des Klimas ihrer Heimat angepaßt sind und ein wie feiner, in mancher Hinsicht geheimnisvoller Zusammenhang hier walten muß. Es kommt nämlich für die Entwicklung der Pflanzen nidit nur auf bestimmte durchsdinittliche Intensitäten der wichtigsten klimatischen Faktoren — wie Licht und Temperatur — an, sondern die Pflanzen können auch den für ihr Heimatgebiet diarakteristischen tages- oder jahresperiodischen Wechsel dieser klimatischen Faktoren in eigentümlicher Weise in sich aufgenommen haben. Von einem völligen Verstehen dieses teilweise sehr merkwürdigen Verhaltens sind wir derzeit noch weit entfernt, doch bietet sich hier eine dankbare Aufgabe für eine fruchtbare Zusammenarbeit zwisdien Pflanzenphysiologen und KHmatologen in dem bereits zahlreiche derartige Fragen umfassenden Wissensgebiet der sogenannten „Bio-klimatologie“.

Bei dem erwähnten Verhalten der Pflanzen spielt offenbar die Harmonie „endogener“, das heißt von innen heraus angestrebter Rhythmen, mit den klimatischen Rhythmen eine wichtige Rolle. Viele Pflanzen haben bekannlich eine ausgesprochene Jahresrhythmik, das heißt, es tritt, wie das ja jeder an unseren Laubbäumen kennt, im Laufe des Jahres ein auffälliger Wechsel von Ruhe und Tätigkeit in der Funktion der Blattentwicklung ein. Da nun die klimatischen Faktoren, vor allem Strahlung und Temperatur, auch eine ausgesprochene Jahresperiodik in unseren Breiten aufweisen, so liegt es nahe, eine unmittelbare Einwirkung der im Laufe des Jahres wechselnden Außenbedingungen auf den Entwicklungszustand der Pflanzen, in unserem Falle der Laubbäume, anzunehmen. Mit anderen Worten ausgedrückt wäre es dann also so, daß die zunehmende Strahlung und Temperatur im Frühling der unmittelbare Anlaß zum Treiben der Bäume, beziehungsweise zum Keimen der Samen wäre, und daß dann im Herbst umgekehrte Verhältnisse yorlägen. Interessanter Weise trifft dies aber nicht ganz zu. Zweifellos besteht eine Einwirkung der Außenfaktoren auf die Entwicklungsbereitschaft und auf die Entwicklung der Pflanzen, aber unabhängig davon gibt es noch einen inneren, sogenannten endogenen Rhythmus, der teilweise nur scheinbar dem äußeren Rhythmus angepaßt ist. Als Beweis für diese Behauptung gelten unter anderem folgende Tatsachen: Es ist zum Beispiel nicht zu ' jeder Zeit beliebig leicht, durch Schaffung günstiger Außenbedingungen (sei es im

Laboratorium oder im Treibhaus oder durch Verfrachtung in ein anderes Klima) eine Pflanze, die sich im Zustand der winterlichen Ruhe befindet, zum Treiben, oder einen Samen zum Keimen zu bringen, wie man zunächst glauben könnte. Nein, erst wenn die innere Ruhepause annähernd beendet ist, gelingt das Treiben, beziehungsweise Keimen ziemlich leicht. Wir können also eine im Herbst in den Ruhezustand versinkende Pflanze nicht mit gleicher Leichtigkeit im Dezember wie im Februar zum Treiben bringen, selbst wenn wir noch so günstige Außenbedingungen im Laboratorium künstlich erzeugen. Noch überzeugender aber ist vielleicht die Tatsache, daß man die Periodizität der Entwicklung, wie man sie etwa an unseren Laubbäumen im Laufe des Jahres feststellen kann, auch dann noch vorfindet, wenn man die Pflanze in ein anderes Klima, zum Beispiel in ein Tropenklima versetzt, wo die Außenbedingungen nur sehr geringe Schwankungen aufweisen. Derartige Versuche wurden bereits in großer Zahl unternommen, wobei es stets darauf ankam, das Verhalten dieser Pflanzen in ihrer neuen Heimat mehrere Jahre hindurch zu studieren. Das Ergebnis war äußerst überraschend. Es zeigte sich nämlich, daß ein solcher

Baum noch jahrelang einen der ursprünglichen Periodizität weitgehend angepaßten Rhythmus erkennen ließ, wobei allerdings die Länge der Perioden, beziehungsweise Rhythmen, im Entwicklungszustand bald nicht mehr 12 Monate betrug. Es ist also so, daß nach Fortfall der „äußeren Regulierung“ der Entwicklung (durch die in unseren Breiten herrsdiende Periode der klimatischen Faktoren), die Gesamtperiode nicht mehr eingehalten wird, aber eine Periodizität an sich weiter vorhanden bleibt. -Das Überraschendste an dem ganzen Vorgang ist aber wohl folgende Beobachtung: Die einzelnen Äste der Bäume fangen plötzlich an, sich wie selbständige Individuen zu verhalten und durchlaufen nicht mehr gleichzeitig (wie in unseren Breiten), sondern völlig regellos durcheinander die verschiedenen Entwiddungsphasen. Es kommt also mit anderen Worten nach Fortfall der klimatischen „Regulierung“ an einem und demselben Baum vor, daß der eine Ast sich eben in vollste Blütenpracht begibt, während sich der andere im Stadium des Laub-abwurfes befindet. Also die einzelnen Äste haben nun ihre eigene Periode.

Ganz ähnliche Verhältnisse, wie sie hier bei der Jahresperiodik geschildert wurden, herrschen auch bei der Anpassung der Pflanzen an den tagesperiodischen Wechsel von Licht und Dunkel. Auch hier konnte ein innerer (endogener) Rhythmus nachgewiesen werden. Diese , Tagesperiodik erstreckt sich auf Blattbewegungen, Wadis-tumserscheinungen, Zellteilungshäufigkeiten und vieles mehr. Genau wie bei der Jahresperiodik wird auch hier der endogene Charaker nicht nur durch die Unabhängigkeit der einzelnen Phasen von der Tageszeit, sondern auch dadurch erkennbar, daß die Dauer der vollen Periode bei Uber-tragung der Pflanze in konstante Außenbedingungen nicht mehr genau der ursprünglichen Dauer von 24 Stunden entsprechen muß. So wie bei der Jahresrhythmik muß auch hier den äußeren Faktoren (in erster Linie sind das Licht und Temperatur) eine den inneren Vorgang regulierende Funktion zugeschrieben werden. Das heißt also, daß durch solche Temperatur-öder Lichtreize der Zeitpunkt des Beginns der einzelnen Phasen der inneren Rhythmik festgelegt werden und die Gesamtperiode modifiziert werden kann.

Bereits dieser kurze Überblick mag gezeigt haben, wie kompliziert und dabei geheimnisvoll wunderbar die Beziehungen sind, die zwischen den klimatischen Außenbedingungen in ihrem periodischen Wechsel einerseits und den Entwicklungsphasen der Pflanzen andererseits bestehen müssen. Wenn auch diese Zusammenhänge bei weitem noch nicht geklärt sind, so gewinnen wir doch auch hier durch unermüdliche Forscherarbeit langsam immer tieferen Einblick in den wunderbaren feingliedrigen Medianismus der Natur.

Was hier von der Pflanzenwelt berichtet wurde, gilt in etwas abgeänderter Form auch für gewisse Vorgänge im Tier- und Menschenleben, auch dort gibt es eine ähnliche Anpassung an die Periodik der äußeren klimatischen Faktoren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung