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Die Prinzen weichen linientreuen Helden

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Die chinesische Oper, die man „Oper von Peking” zu nennen pflegt, ist in Nationalchina noch immer ein integraler Bestandteil der chinesischen Kultur. „Sie spiegelt den Geist des chinesischen Volkes wider und hat einen nicht zu unterschätzenden erzieherischen Wert”, so kann man in einer nationalchinesischen Illustrierten lesen. Schon allein diese wenigen Worte deuten an, daß die chinesische Oper auf dem chinesischen Festland eine andere Entwicklung durchgemacht hat, seitdem die Kommunisten die Herrschaft in Rotchina übernommen haben. Die alten traditionellen Stücke des chinesischen Schauspiels, voller „unzeitgemäßer” Rollen — Prinzessinnen, Prinzen, überirdischen Erscheinungen und Personen aus edlem Geschlecht — sie können doch nicht den Geist des rotchinesischen Volkes repräsentieren, das nach dem Willen seiner Herren „den siegreichen Marsch zur Verwirklichung des Sozialismus” begonnen hat.

Co ist es auch: in Rotchina gibt es zwar noch immer eine Truppe der „Oper von Peking”, noch immer werden von diesem Ensemble in nahezu unerreichbarer Perfektion die akrobatischen Schaustücke aufgeführt, bei der alle Gesetze der Schwerkraft aufgehoben zu sein scheinen, aber die eindringlichen Stücke mit den ätherischen Frauengestalten, den edlen, gerechten Herren und Rittern, den guten und den bösen Geistern, wobei die Tugend belohnt und die Untugend bestraft wurde; diese Aufführungen gehören in Rotchina der Vergangenheit an. Auch auf der Bühne haben die Prinzen den linientreuen Helden zu weichen!

Die in der Vergangenheit wurzelnde Peking-Oper stöi den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaftsform. Um alle unwillkommenen Einflüsse abzuschirmen, wurden die Volkskommunen geschaffen. Das gibt die offiziöse Zeitschrift „Peking Review” offen zu: „Die Volkskommunen”, so liest man dort, „schufen die gesellschaftliche Organisationsform, die auch der neuen Volkskultur als Grundlage dienen wird ...”

Mit der neuen gesellschaftlichen Organisationsform entwickelte Peking einen „Volks-Kultur-Betrieb”, dessen Fundamente die staatlichen Kunsthochschulen bilden sollen. Diese von den Volkskommunen zu errichtenden Kunsthochschulen sind Kulturzentren und Produktionsgemeinschaften zugleich. Die

Kommune stellt den Studenten — in der Hochschule des Stadtgebietes von Schantschiu sind dies zum Beispiel 91 — Land, Vieh und Geräte zur Verfügung, damit neben dem Studium auch körperliche Arbeit geleistet werden kann.

ÄTon den fünf Abteilungen der Schule: Schauspielkunst, Quyi ‘ (die gesungene Ballade), Musik, Tanz und Malerei stehen vier in unmittelbarer Beziehung zum Theater. Schon vor der Ching-Dynastie, zirka 220 v. Chr., gab es einen Minister, dessen Aufgabe es war, Oper, Musik, Gesang und Tanz zu pflegen. Aus diesen Elementen entstand die heute in Rotchina nicht mehr gepflegte Form der chinesischen Oper, deren höchster Stand in der Ming- und Ching- Dynastie erreicht wurde. Jener Minister, „Minister des Frühlings”, wurde auch der „Große Musiker” genannt. Man sieht daraus, welch wichtige Rolle Musik und Tanz am chinesischen Theater spielen. Das wichtigste Instrument ist die kleine chinesische Violine Hu Ching, deren ganze zwei Saiten mit einem Bogen bearbeitet werden, den man zwischen die Saiten steckt.

Die fünfte Abteilung, die Malerei, ist für einen chinesischen Schauspieler alter Schule aber nicht minder wichtig. Das chinesische Theater lebt ja nicht nur von der Musik, vom Tanz und der Gebärde, vom Wort und von der Pracht der Gewänder, sondern ganz besonders von der Bemalung der Gesichter. Wie die Gewänder und die Aktionen der Schauspieler alten Überlieferungen entsprechen und symbolischen Charakters sind, so hat auch die Bemalung der Gesichter eine symbolische Bedeutung. Es ist sicher, daß die Bemalung und das Tragen von Masken auf andere Lebensbereiche zurückgeführt werden kann. Verständlicherweise eignen sie sich jedoch nicht für ein Theater, in dem das Wort und die Musik dominieren. Masken werden also nur solchen Schauspielern gegeben, die nicht sprechen oder singen müssen, zum Beispiel ein Tien Kuan, der bei Beginn jeder Vorstellung den Zuhörern alles Gute wünscht.

Das Standardsystem der Gesichtsmalerei stammt schon aus dem 13. Jahrhundert, in dem nicht weniger als fünfhundert Typen bekannt waren. Jeder Schauspieler muß dieses Make-up tragen, es sei denn, er verkörpert einen Schriftsteller, Weisen oder Gentleman. Alle anderen Rollen werden durch Auflegen der maskenähnlich verteilten Farben zu Symbolen für tapfere und ehrliche, ältere und nicht mehr ganz aktive, ruhige oder aufbrausende, anständige oder unanständige Charaktere gestempelt. Schwarze Gesichter kennzeichnen grobschlächtige oder herzensgute Kerle, blaue Farben verraten, daß es sich um einen noch grausameren Mann handelt. Gelbgesichter deuten Verratet an, Gold und Silber sind Gottheiten- und Märchengestalten Vorbehalten, unterbrochene Linien im Gesicht drücken ein heißes Temperament an, und Betrüger erkennt man an der Asymmetrie der Linien und Farbflächen; ihnen ist das fehlende innere Gleichgewicht aufs Gesicht geschrieben.

Die chinesische Oper hat auch eine Handlung. Aber sie wird nicht wie im Westen durch handfeste, realistische Aktionen vorangetrieben. Sie wird umgedeutet und in Tanzform vorgetragen. Die Bühne der chinesischen Oper ist also eine Tanzfläche. Alles ist stilisiert, auch die Dekoration, die lediglich unterstützende Aufgaben für den Tanz hat. Eine richtige Treppe würde dem Schauspieler ja gar keine Chance geben, sein schauspielerisches Können zu beweisen. Ein Kahn wäre eine Beleidigung für den Schauspieler, der mit wenigen Bewegungen anzudeuten versteht, daß er rudert. So sind viele Bewegungen „Standardbewegungen”, die zum Repertoir eines jeden Schauspielers gehören. Wer Mitglied eines chinesischen Opernensembles werden will, muß eine harte Schule durchmachen!

Aber die Kunsthochschulen in den Volkskommunen verfolgen andere Ziele. Als Lehrer wirken oft Artisten und Volkskünstler, deren Aufgabe es ist, etwa nach dem Grundsatz „panem et circenses”, die populäre Volkskunst zu verbreiten, die in Verbindung mit weltanschaulicher Ausrichtung ein wichtiges Instrument zur Beeinflussung des Volkes sein soll.

„Früher gingen”, so wird in einer Abhandlung über die Entwicklung des rotchinesischen Theaters aufgeführt, „sehr viele Kunstschaffende der Volkskunst aus dem Wege. Sie schenkten der chinesischen Kunst, die so eng mit dem Volk verbunden ist und vom Volk so innig geliebt wird, zuwenig Aufmerksamkeit, sie huldigten fast ausschließlich den .großen” Kunstformen — Symphonien, abendfüllenden klassischen Opern . . Heute, da die Schule mit dem Volk verbunden ist und die Lehrer aus dem Volk kommen, kann jedoch der Unterricht den Erfordernissen des Volkes besser angepaßt werden.”

Die Konsequenz, mit der auch von den Bühnen „die Erfordernisse des Volkes” berücksichtigt werden, läßt nichts zu wünschen übrig. Die Theater (in Peking das „Experiment-Theater”, das „Lao-Lung-Theater” im Kulturpalast der Arbeiter, das „Theater der chinesischen Jugend”) zeigten Stücke, aus deren Titel allein schon die Linientreue der Theaterleute spricht: „Ein Sohn der Arbeiterklasse”. „Roter Sturm”, „Vorwärts!”.

Typisch für alle diese Stücke ist die ihnen eigene Parteimoral. In dem Stück „Vorwärts!” wird gezeigt, wie die Arbeiter einer Kunstdüngerfabrik trotz Widerständen von Reaktionären und Saboteuren unbeirrt an der Erfüllung ihres Plansolls arbeiten und dank dieser Haltung schon eineinhalb Jahre früher mit der Arbeit fertig sind als erwartet Im ,,Chan-Ant-Theater” rollt das Schicksal eines von den Landherren brutal ausgebeuteten armen Bauern über die Bühne. Und die Truppe der „Kiangsu-Wushih- Oper” läßt die musikliebenden Zuhörer miterleben, wie ein zunächst armer Bauer schließlich reich, dann beinahe selber zu einem Ausbeuter, abschließend aber doch noch zu einem sozialistischen Genossen wird.

Das Opernprogramm in Peking brachte unter anderem „Die

Eroberung von Hangschau” und das „Fest der Helden”, bei dem das Schicksal des Sohnes einer bettelarmen landwirtschaftlichen Hilfsarbeiterin erzählt wird, der nach Jahren der Abwesenheit siegreich und strahlend als General und Held nach Hause kommt. Dieses Stück ist übrigens nicht das Werk eines modernen Autors, sondern stammt von Kuan Han-Ching (auch Gwan Han-tjing). der im 13. Jahrhundert lebte und jetzt als Begründer des „klassischen”, sprich „sozialistischen”, chinesischen Dramas gefeiert wird. Obwohl nur spärliche Kunde von diesem Dichter überliefert wurde und von seinen 66 Theaterstücken nur 18 erhalten sind, hat man ihn zum ersten Dichterfürsten Chinas ernannt. Diese Auszeichnung spricht für sich. Wenn man den Inhalt und die Tendenz seiner Stücke kennt, weiß man, warum so viel der Ehre und weiß man, was heute in Rotchina von den modernen Schreibern chinesischer Dramen für die Bühnen des Volkes verlangt wird . . .

Kuan Han-Ching wird von den heutigen chinesischen Theaterschriftstellern als Vorbild betrachtet. Tien Han hat über ihn sogar ein Drama geschrieben, in dem er selbstverständlich verherrlicht wird. Man muß also als auffälligste Wandlung im chinesischen Theaterleben die Politisierung der Bühne erwähnen, durch die jenes zauberhafte Erlebnis ein Ende gefunden hat, das einst den Nimbus der „Oper von Peking” begründete. Das Theater in Rotchina ist zu einer Institution der staatlich lizenzierten Volksfreude und staatlich gelenkten Volkserziehung geworden. Die moderne „Oper von Peking” hat mit der Oper von einst nichts mehr gemein.

Als das rotchinesische Ensemble der Peking-Oper im Jahre 1955 in Paris weilte, unterhielt sich Charlie Chaplin mit Fu Chin-Fang, einer Schauspielerin, die an der Tournee teilnahm. Charlie Chaplin stellte fest, „es habe sich doch an der Aufführung gegenüber 1935 sehr viel geändert”. „Natürlich hat sich viel geändert”, erwiderte Fu Chin-Fang, „Kunst und Künstler machen nun einmal Fortschritte, wenn sie durch eine richtige Politik in einer schnell voranschreitenden Nation geführt werden ...”

A nders ist die Situation in Nationalchina. Hier auf Taiwan ist die „Oper von Peking” g blieben, was sie immer war, sie ist mehr als unterhaltendes Theater, sie ist mehr als Erziehungsmittel: sie ist Tradition und ein Stück konfuzianischer Lehre. Die chinesische Oper wurzelt nämlich in der Lehre des großen Konfuzius. Sie preist den Anständigen, lobt den Tapferen, feiert die Tugend, die Menschlichkeit, die Toleranz. Alles, was schlecht ist, wird auf den Brettern der chinesischen Bühne alter Art verurteilt. Ob am Ende deswegen die Machthaber in Peking eine neue Form der chinesischen Oper suchen?

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