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Die Rückschau auf Neues -eine hontroversielle Epoche

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Wie vertraut ist einem in Wien dieser Stilpluralisms des 19. Jahrhunderts. Bei jeder Straßenbahnfahrt um den Ring wird man unweigerlich damit konfrontiert: 1 )as Parlament präsentiert sich im „klassischen Stil hellenischer Blütezeit", das Rathaus „neogotisch" und die beiden Museen im „Neorenaissancestil".

Keine Epoche hat das Stadtbild von Wien so geprägt wie der Historismus. Zugleich wurde an kaum einem Stil mehr gezweifelt. Aus künstlerischer Sicht kritisiert man an dem „Stilkonglomerat" das Fehlen des Schöpferischen und Neuen auf Grund bloßer Vergangcnhcitsorientierung.

Seine Wurzeln hat der Historismus in der Philosophie des 18. Jahrhunderts, in der Geschichte als Weg zur Erkenntnis der Gegenwart betrachtet wurde.

Als Reaktion auf die napoleonischen Kriege suchten die Völker ihre neue Identität in der eigenen Geschichte. Auch in Kunst, Architektur und Kunsthandwerk besann man sich auf vergangene Epochen. Man malte „mittelalterliche" Städte und entwarf „pompejanische" Stühle.

Daß Rückschau mitunter auch Neuschau sein kann, macht nun eine M i llenniumsausstellu ng deutlich. Unter dem Titel „Der Traum vom Glück" erfährt der I Iistorismus als gesamteuropäisches Phänomen eine „späte Rechtfertigung". Die Großschau will an zwei markanten Schauplätzen, dem Künstlerhaus und der Akademie der bildenden Künste, unterschiedliche Aspekte dieser kon-troversiellen Epoche an Hand von 1.200 Exponaten aus 18 Ländern beleuchten. Daß es sich gleichzeitig um die 24. Europaratsaussteliung handelt, die nun zum zweiten Mal in Wien stattfindet, sieht Unterrichts ministerin Gehrer „als besondere Auszeichnung für Osterreich". Ausstellungsleiter ist der ehemalige Direktor des Kunsthistorischen Museums, Hermann Fillitz.

Der Historismus wird dem Besucher in ,26 Räumen durch die einfühlsame Gestaltung des Architekten Luigi Rlau nähergebracht. Jeder Saal ist einem Thema wie etwa „Die Wiederbelebung des Mittelalters" (Raum 4) oder „Die Veränderung der Welt durch die industrielle Entwicklung" (Raum 19) gewidmet.

Im Hauptraum des Künstlerhauses überzeugt besonders die effektvolle, dramatische Inszenierung von Meisterwerken der großen Malerfürsten wie Hans Makart, Paul Delaroche und Jan Matejko. Vor einem schwarzen Samtvorhang hängt theatralisch beleuchtet in gigantischer Größe das Gemälde „Venedig grüßt Catarina Cornaro" Hans Makarts. Das Kolossalbild wurde erstmalig während der Wiener Weltausstellung 1873 im Künstlerhaus unter großem Erfolg gezeigt, ging dann auf „Tournee" und ist nun nach mehr als hundert Jahren an seinen Ursprungsort zurückgekehrt.

Der Historismus ist eine Epoche des Widerspruchs. Einerseits lebt er durch die „verklärende" Hinwendung zur Vergangenheit, zugleich wird er durch die neuen technischen Errungenschaften und die Industrialisierung vorangetrieben. „Putten beim Eisenbahnbau" nennt sich ein Bild von Hans Canon, das beide Pole zu vereinen sucht. Durch die idyllische Scheinwelt mit den barocken Engeln wird der Blick auf die katastrophalen Begleiterscheinungen der industriellen Revolution, wie die Ausbeutung der Arbeiter, verdeckt.

Die Stadtentwickung im 19. Jahrhundert als Zentrum des neuen Wirt-schaftslebens steht in engem Zusammenhang mit der Rlüte historistischer Baukunst. Durch die explodierenden Bevölkerungszahlen stand die Städteplanung vor neuen Aufgaben. Die immer größer werdenden Städte brauch -ten ordnende Systeme: Die Pariser Boulevards und die Wiener Ringstraße wurden gebaut. Die Industriegesellschaft forderte auch neue Gebäudetypen wie Großkaufhäuser und Bahnhöfe als Sammelpunkte für die neue Verkehrsart. Dadurch entstanden historistische „Musterbauten" wie der ehemalige Wiener „Nordwestbahnhof", die Mailänder „Galleria" oder die Pariser „Markthallen".

Eng verbunden ist der Historismus mit dem „Aufstieg des Bürgertums". Die Einrichtung von Wohnräumen mit standesgemäßen Möbeln und Gemälden wurde für breitere Schichten der Bevölkerung von Bedeutung. Man beauftragte dafür Künstler, die bisher für Adel und Kirche tätig waren und ließ das „Herrenzimmer" in seriös wirkender Renaissance gestalten, das „Damenzimmer" hingegen in üppigem Rokoko. Das Bürgertum leistete sich nun den Prunk, der früher der Aristokratie zustand. Die berühmte Pariser Kurtisane, der Zola in seinem Roman „Nana" ein Denkmal setzte, ließ sich für ihr Schlafzimmer em „Paradebett" entwerfen. Das Prunkmöbel ist ein Zitat des barocken Paradebettes am Hof des „Sonnenkönigs". Im kunsthandwerklichen Detail liegt die besondere Stärke der Epoche. Diesbezüglich hat die Ausstellung auch Interessantes zu bieten, wie etwa die kleine Silberfigur „Heinrich der IV. als Knabe" aus dem Louvre.

Eine Resonderheit des Historismus ist der „Künstlerkult" und das künstlerisch inszenierte Fest. Ausgehend von der Wertschätzung historischer „Genies" wie Raffael oder Dürer erlebten auch „historistische" Künstler seltene Verehrung.

In Kostüme als „Julius Caesar" oder „Walther von der Vogelweide" verkleidet, feierte die bürgerliche Elite im legendären Atelier des Para-dekünstlers Hans Makart oder auf den „( ischnasbällen" des Künstlerhauses opulente Feste. Verstärkt durch die eigens für die Kostümfeste hergestellten Dekorationen tauchte man in eine „paradiesische" Welt der Illusion. Höhepunkt der inszenierten Feste war 1879 der von Makart gestaltete, kostümierte „Huldigungsfestzug" entlang der Ringstraße anläßlich der silbernen Hochzeit des Kaiserpaars.

Besonders gelungen wirkt die Gestaltung der Ausstellung in der Aula der Akademie der bildenden Künste. Die Fotos und die kunsthandwerklichen Exponate zum Thema „Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts" gehen mitderhistoristischen Architektur von Theophil Hansen und Anselm Feuerbachs Deckengemälde „Titanensturz" eine geglückte Einheit ein.

Kritik am 1 listorismus übt die Ausstellung nicht. Sie 'bringt auch keine Bezüge zu parallelen und nachfolgenden Epochen wie dem Impressionismus oder Jugendstil. Dem Besucher wird nach zwei Stunden Auseinandersetzung mit dem vergangenheitso-rientiertem Historismus trotzdem deutlich, warum der Traum vom „irdischen Paradies" ein Ende nehmen mußte. Die Rückschau hatte sich erschöpft. Man konnte die Gegenwart nicht mehr mit barocken Allegorien und antikisierenden Fassaden überdecken. Die neue Zeit forderte eine neue Kunst und Architektur.

(Ris 6. Jänner 1997)

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