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Die Sängerknaben der Burgkapelle

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Eine Ecke des kleinen Schweizerhofes in der einstigen Kaiserburg bildet die Bürgkapelle; schreitet man durch den Trakt in der Richtung zum Josefsplatz, passiert man ein noch kleineres Höfchen; dort gewahrt man den einzigen freistehenden Bauteil der spätgotischen Kapelle, einen fast zierlichen Chorabschluß. Tritt man in die Ecke des Schweizerhofes, wo die Säulenstiege beginnt, ragt hoch über #as Steildach der diagonal gelegenen Gegenseite ein kurzes, stumpfes, aber unendlich malerisches Türmchen empor. Einst hingen die Glocken der Burgkapelle darin. Das ist alles, was sich dem Auge von dem Bau eines der stimmungsvollsten, erhabensten Gotteshäuser Wiens zur Schau bietet; es ist das wunderbare, unvergleichliche Resonanzgehäuse der ältesten musikalischen Kultstätte Wiens, der Hofmusikkapelle und ihrer Sängerknaben. Wer je unter diesem schlichten gotischen Netzwerk des Niederländers Nikolaus van Leyen, vor dem Altar Ferdinands IL, die andacht- und genieerfüllten Sakralwerke österreichischer Meister vernahm, von Meistern der Orgel, den besten Instrumentali-sten aller Zeiten, Solisten und den „Singeknaben“ Maximilians I. aufgeführt, genoß eine der tiefsten, adeligsten Quellen österreichischer Musikkultur.

In diesem Gotteshaus war der Anfang aller österreichisdien Musik; aus dem Dienste um den gütigen Herrgott ging die Freude an der weltlichen Musika der irdischen Herren hervor. Der erste musische Habsburger, der Urenkel des Aargauer Grafen Rudolf von Habsburg, Herzog Rudolf, mit dem Schmucknamen „der Stifter“, ein blutjung auf den Herzogstuhl gelangter temperamentvoller, leidenschaftlicher und also impetuoser, politisch begabter wie ungehemmter Herrenmensch des frühen Mittelalters, träumte von Reichsmacht und Königsge“danken. Man möchte ihn den ersten richtigen Wiener aus dem schweizerischen Stamme nennen; mit dem unruhigen, sprunghaften, impressionablen Stifter der Universität, dem Erweiterer von Sankt Stephan zum Dome, war die bedächtige, kluge, schlichte Art des schweizerischen Ahnherren, die dunkle, selbstherrliche, gewaltige des königlichen Großvaters Albrecht, die liebenswürdige, weise — man möchte sagen: akklimatisierte — Art des wahrhaft fürstlichen Vaters Albrecht II. endgültig verwienert. Noch in Knabenjahren stehend, bat sich Rudolf IV. von seinem Vater aus, über der Geburtsstube in der Burg eine Kapelle errichten zu dürfen; welch eine Laune der Historie, daß im nämlichen Lufträume, in dem sich die erste Burgkapelle Herzog Rudolfs befunden haben wird, die Wohnung wieder eines Rudolf, Kronprinzen und wahrhaft tragischen Wieners war.

Maximilian I., der musische Humanist, hatte keine Ursache, die Wiener in sein Herz einzuschließen; aus der Knabenzeit vermochte er bloß die Erinnerung an eine höchst ungemütlidie Rebellion der Bürger mit dazugehöriger Belagerung der Burg zu bewahren; dem Dichter des „Theuerdank“, des „Weißkunig“ war Kunst aber Bedürfnis und Ausdruck seiner selbst; für die Besorgung des kirchenmusikalischen Dienstes in der Burg seiner Ahnen richtete er die Kantorei, das Statut einer Hofmusik mit einem Kapellmeister, „Singemeister“ und Instru-mentalisten ein. Stil und Ausdruck lagen bei den Niederländern; der berühmteste Meister jener Zeit, Isaac aus Flandern, wurde berufen. Maximilians Lieblingskomponist, der große Orgelspieler Paul Hofheirner von R'adstadt, geboren 1459, wirkte als Kapellmeister. Albrecht Dürer hat Hofheirner und die Mitglieder der Burgkapelle im berühmten „Triumphzug“ verewigt. Wohl das adeligste Zeugnis der Zeit über die Bedeutung der Wiener Musik!

Es gibt keinen Meister, schaffend oder ausübend, der unverewigt geblieben wäre als Zugehöriger zur Burgkapellc. Waren es im 16. und 17. Jahrhundert die Niederländer, so unter den drei Ferdinand, Josef I., Karl VI., also in der Glanzzeit der barocken höfischen Oper, die Italiener, die schöpferisch Wege und Ziele wiesen. Eine fast endlose Namenreihe von Genies der Musik zählt die Geschichte der Burgkapellc; sie leben in ihren zahllosen Werken noch heute fort. Gewiß, der Raum ist erfüllt vom Genius der größten Tonheroen; sehen wir die heutigen Sängerknaben auf dem hohen, engen Musikchor nahe der Decke oder in ihren gar nicht wohnlichen Wohnräumen in der winkeligen, lichtarmen Burg, kommt unserem Sinne der Sängerbub Joseph Haydn in den Sinn, der auf dem Baugerüst von Schönbrunn herumspringt und deswegen von der mütterlichen Kaiserin Maria Theresia mit einem „Schilling“, das heißt:Strafe, bedacht wird! Oder wir entsinnen uns des Sängerknaben Franz Schubert, der irgendwo unter dem Dach der alten Universität Notenblätter mit ersten Kompositionsversuchen beschreibt. Wir können uns mit einigem Humor das spätere Genie der Satire und des Witzes, den kleinen Johann Nepomuk Nestroy, Advokatensohn aus Wien, als Sängerknaben vorstellen.

In den letzten Wochen sind zweiund-zwänzig Wiener Buben kreuz und quer auf Konzertreisen durch die ganze Schweiz an der Burg der Mäzene und Schöpfer ihres ruhmreichen, ehrwürdigen Instituts vorübergefahren. Seit zwei Monaten sammeln die Wiener Sängerknaben von Buchs bis Genf, von Basel bis Interlaken Anerkennung und Ehre für österreichische Musik. Es war eine vierwöchige Konzertreise geplant, aber es wünschte fast jede Stadt unseres schönen Nachbarlandes, die kleinen Sänger zu hören. Die Wiener Sängerknaben sind„ in der Schweiz wohl bekannt gewesen. Als im Jahre 1938 ein Chor aus Frankreich heimreiste, traf ihn in Zürich die Schreckensnachricht der Naziinvasion; es ist mehr als ein Zufall, daß just in Zürich die abgerissene Tradition der Auslandsreisen erneuert wurde.

Aufnahme, Würdigung und Anerkennung von Seite der maßgebendsten, vornehmsten Musikkritik, überdies die Liebe, Anteilnahme und Sorgfalt des Schweizer Publikums geben dieser ersten Auslandsreise die Bedeutung eines kulturellen Kinderkreuzzuges. Man müßte ein Weißbuch der Freundschaft, Güte und Menschlichkeit anlegen, um alle Kundgebungen, Beweise und Zeichen der Sympathie der Schweizer für Österreich aufzuzeichnen. Freilich, man wünschte, daß ,alle Besuche von Österreichern in der Schweiz mit solcher Gewissenhaftigkeit, Sorgfalt und Bedachtsamkeit eingeleitet und durchgeführt werden mögen. Da war zunächst die Selbstverständlichkeit der höchsten künstlerischen Vollendung. Opernkapellmeister Josef Krips, der leitende musikalische Mann der Hofburgkapelle, besorgte, man kann sagen, monatelang vorher, die Aus.wahl des Chors, überwachte das von dem begeisterten jungen Kapellmeister Heinz Fleismann geleitete Probenstudium. In Direktor Gruder-Guntram fand Rektor Josef Schnitt einen vortrefflichen Organisator und Reiseleiter. Es war keine Kleinigkeit, Knaben im Alter von acht bis zwölf Jahren in Zürich, Biel, Genf, Brunnen, Arosa, Sankt Moritz usw., usw. bei Pflegeeltern unterzubringen; und wie waren sie untergebracht! Wie oft gab es bei den Verabschiedungen Tränen! Die kleinen Erlebnisse dieser Reise sind vielfach tiefe Zeugnisse der Güte und Herzlichkeit! Das Erzählen werden, heimgekehrt, die kleinen Reisenden reichlich besorgen. Aber manches Erlebnis ward zum Ereignis, den Kindern gar nicht in seiner Bedeutung bewußt und verständlich, so vor allem der in seiner Einfachheit und Zwanglosigkeit ergreifende Empfang im Berner Bundeshaus durch den gesamten schweizerischen Bundesrat, an der Spitze Präsident Dr. Ko rbelt, der an die Kinder in schlichter Herzlichkeit Worte richtete, die für Österreich gesprochen waren. Auch die Österreicher in der Schweiz zeigten ihre herzliche Freude an ihren kleinen Landsleuten. Der „Verein der Österreicher in Genf“, geleitet von dem Wiener Schriftsteller Rudolf Gnevkow-Blume und Generalkonsul a. D. Singer, gab in der Villa des letztgenannten den kleinen Künstlern eine Wiener Jause, wozu das ganze kunstliebende Genf erschienen war. Der Wiener Musikschriftsteller Dr. Fritz Liebstöckl sorgte für die freundschaftlichste Aufnahme der Wiener in der französischen Westschweiz. In Fryburg standen die Sängerknaben unter der besonderen Betreuung der dortigen Universität. In Lausanne waren der Wiener Hoteldirektor Wilhelm und der Schriftsteller Dr. Hermann die freundlichen Fürsorger. In diesen glücklichen Tagen gedachten die jugendlichen Wiener Sänger ihrer weniger vom Schicksal begünstigten Altersgenossen. Sie sangen im orthopädischen Kindcrspital in Zürich, suchten Wiener Arbeiterkinder in dem Ferienlager Friesenberg bei Zürich auf, wo trotz strömenden Regens im Freien vor etwa zweitausend Gästen — dem Stadtpräsidenten von Zürich, Dr. Lüchinger, unter ihnen — gesungen wurde. -

In der Genfer Kathedrale von Notre-Dame sangen die Knaben bei einem feierlichen Hochamt. In der Predigt gedachte der Priester Österreichs und der überstan-denen Prüfungen; des Frevels an dem Dome von St. Stephan wurde gedacht, und- eine spontane Sammlung zugunsten des Wiederaufbaues “gab stattliche Summe.

Rektor Schnitt konnte für den Ankauf von Apparaten und Behelfen für das Wiener orthopädische Spital einen Betrag von 5000 Franken widmen. Alle diese gebotenen und genossenen Wohltaten sind das Ergebnis künstlerischen Erfolges, der kulturellen Anerkennung, eben der ehrwürdigen musikalischen Kultstätte; wenn die Konzerte wiederholt werden mußten, immer wieder die größten Schweizsr Konzertsäle füllten, so verdanken sie dies ihrem künstlerischen Range.

Zwischen der Hochschätzung und dem Verständnis des Auslandes, der Beachtung und Förderung, die man in Wien der Institution der Hofburgkapelle zuteil werden läßt, ist eine Diskrepanz, die eine sehr getreulich österreichische Erscheinung sein mag, aber durchaus keine begreifliche und zu billigende. Die Sängerknaben von 1946 hausen, unterrichten, bewegen zu lassen in Räumen, die schon die Sängerknaben unter Maximilian einnahmen, heißt die Stiltreue denn doch zu genau zu befolgen! Es wäre im hohen Maße wünschenswert, für eine hygienische und pädagogische Obsorge von siebzig Wiener Kindern nun einige Aufmerksamkeit aufzubringen.

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