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Die Schabkunst
Prinz Ruprecht Ton der Pfalz stand eines Morgens am Fenster und sah zu, wie im Hofe ein Wachtsoldat das durch den Nachtnebel rostig gewordene Schloß seiner Arkebuse putzte, wobei er allerlei Figuren aus dem Rostbelag herauswischte. Dieser Anblick hätte wohl einen gewöhnlichen Sterblichen gleichgültig gelassen, nicht aber den Prinzen, der — nebenbei — ein unerschöpflicher Erfinder auf vielen Gebieten der Kunst und deren Technik war.
Dieses Herauswischen von hellen Figuren aus dunklem Grund ließ in dem Erfindergeist des Prinzen die Idee aufblitzen, Ähnliches auf der Kupferplatte zu versuchen, mit der er in Stich und Radierung wohl vertraut war. So erfand er, wie es uns Horace Walpole, der Gregorianische Schöngeist so hübsch zu erzählen weiß, die Technik der Schabkunst.
In die Zeit der Romane des Barock und des Rokoko fügt sich diese Erfinderlegende sehr gut ein. Ohne jedoch den Nachruhm des Prinzen Ruprecht schmälern zu wollen, muß festgestellt werden, daß nicht er die Schabkurist erfunden hat, sondern der chur-kölnische Oberst Ludwig von Siegen, der als erster 1642 in dieser Technik ein Porträt der Landgräfin Witwe Elisabeth von Hessen ausführte und dann in Brüssel den Prinzen in der neuen Kunst unterwies, so daß dessen gekröntes „R“ später auf vielen guten Blättern zu finden ist. Damals gab es für Erfindungen keine Patentrechte, und so kam es, daß trotz strengster Geheimhaltung das Verfahren durch Verrat in verschiedene Hände geriet und daß Ludwig von Siegens Erfinderlorbeeren auf Prinz Ruprecht übergingen.
Während beim Linienstich auf der glatten Kupferplatte die gravierte oder geätzte Zeichnung mit ihrem Beiwerk an Schraffen und Kreuzstichen im Abdruck dunkel erscheint, wobei der Grund licht bleibt, ist es bei der Schabkunst gerade umgekehrt. Aus der aufgerauhten, körnigen Platte, deren Abdruck samtartig dunkel getönt wirkt, schabt man die Lichter mehr oder weniger fein heraus, je nach dem Grad der gewünschten Helligkeit, so daß sich ohne Linien das Bild durch den Gegensatz von Hell und Dunkel, von Licht und Schatten ergibt. , Das Aufrauhen der Platte geschieht mit dem Granierstahl (Wiege oder Berceau genannt) und mit dem Polierstahl werden Stellen geglättet, die besonders hell ausfallen sollen.
Die meisten Erfindungen werden zur Befriedigung eines Bedürfnisses oder zur Ausfüllung einer Lücke gemacht. Gegen Mitte des 17. Jahrhunderts war die Welt wohl mit Kupferstichen und Radierungen überschwemmt, jedoch die darstellende Kunst verlangte zur Vervielfältigung ihrer Werke, besonders der Bildnisse, nach einer weichen, tonigen Wiedergabe, wie sie mit dem Linienstich nicht zu erreichen war, und eben dieser Anforderung wurde der neu erfundene Schabkunststich in vollstem Maße gerecht. Daß es trotzdem länger brauchte, bevor er sich durchsetzen konnte, hatte besondere Gründe
Das Stechen und Radieren war bis ins 18. Jahrhundert hinein ein beliebter Zeitvertreib kunstsinniger Dilettanten und war bei hoch und niedrig beliebt. Die Marquise von Pompadour stach ganz nette kleine Sachen und Boucher war dabei ihr Lehrer und Helfer. Viele Kunsthändler waren tüchtige Stecher, Rechtsgelehrte, Anatomen, Architekten füllten mit der Arbeit auf der Kupferplatte ihre Mußestunden. Daß ein Prinz die neue Technik der Schabkunst erfunden hatte, paßte sehr gut in diese Zeit, war aber für die Sache selbst kein Vorteil, denn man nahm die Erfindung lange Zeit nicht ernst, hielt sie vielmehr für die Spielerei hoher Herren. Sagt doch Joachim von Sandrart in seiner „Teutschen Akademie“: „Der Schabstich wird für keine große Kunst gehalten, gilt nur als zierliche Übung“, und aus der Kupferstich-Sammlung des Herzogs von Gotha wurden die Schabstiche als „nicht ebenbürtige Kunst“ ausgemustert und den Hofdamen zum Ausschneiden überlassen.
Ganz anders lagen die Verhältnisse in England, wo das Hell-Dunkel Correggios einen Raffael ins Hintertreffen gedrängt hatte und wo das weiche Butzenscheiben-licht der holländischen Genremaler förmlich nach Reproduktion durch “die tonige Schabkunst rief, die imstande war, Halbschatten eines Rembrandt, Nachtstimmungen eines van der Neer, Lichteffekte eines Schalken oder eines Joseph Wright of Derby wiederzugeben. So wurde denn das „Mezzotinto“, wie die Schabkunst in England genannt wurde, durch 150 Jahre das beliebteste Reproduktionsverfahren neben dem Punktierstich, dem „stipple engraving“.
In Frankreich konnte sich die Schabkunst erst spät durchsetzen, denn für die steife Überheblichkeit der Zeit Ludwig XIV. waren die großen Linien des Kupferstiches und der Radierung für repräsentative Porträts unentbehrlich. Erst im 18. Jahrhundert, als mit den Pastellbildnissen einer Rosalba Carriera und eines La Tour eine weichere, intimere Stimmung in die Porträtkunst kam, fand auch der tonige Schabstich seine wenigen Anhänger.
In Italien, mit seiner von Sonnenlicht durchfluteten Atmosphäre, hatte der „Raudistich“, wie das Schabverfahren dort genannt wurde, nur wenig Ausnützungs-möglichkeiten.
Im 19. Jahrhundert verdrängte auch in England der kalte und harte Stahlstich das Schabkunstverfahren, wohl hauptsächlich aus dem Grunde, weil dieses nur fünfzig bis sechzig gute Abdrucke lieferte. Eine Art .Nachblüte erlebte der Schabstich merkwürdigerweise in Wien, wo Meister des Porträts, wie Gottfried Haid (Familie Maria Theresia nach Meytens), Johann Jakobe (Wiener Stubenmädchen), V. K. Kininger (Fügerbilder in Sepia) und Franz Stober (Radetzky) diese Technik bis Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgreich anwendeten.
Heutzutage ersetzt dem großen Publikum der gute Lichtdruck mit seinen ähnlichen Effekten den Schabstich vollkommen, so daß er nur mehr in den Reproduktionen der Vergangenheit, besonders in altenglischen Stichen ein ehrenvolles Erinnerungsdasein führt.
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