Die Schönheit liegt in der Wahrheit

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Noch nie im Westen gezeigte Malerei aus Russland: "Repin und die Realisten" in der Kunsthalle Krems.

Sankt Petersburg im Jahr 1863: Vierzehn der talentiertesten Kunststudenten verlassen protestierend die Kaiserliche Akademie. Die jungen Revoluzzer haben die Nase voll von den konservativen Kunstvorstellungen und den vorgegebenen mythologischen Themen. Sie wollen keine idealisierten Götter und Helden mehr auf die Leinwand bringen. Stattdessen zeigen sie soziale Missstände auf und malen ihre unmittelbare Umgebung - einfache arbeitende Leute, russische Landschaften und befreundete Intellektuelle. "Die Schönheit liegt in der Wahrheit", so Ilja Repin, der zum Star der Bewegung avancierte.

Reformerische Ideen, die im kritischen Realismus der Literatur von Alexander Puschkin, Fjodor Dostojewski, Nikolaj Gogol und Leo Tolstoi längst Platz gefunden hatten, finden endlich auch Eingang in die bildende Kunst Russlands. Die "Revolte der Vierzehn" ereignete sich parallel zu antiakademischen Protesten in europäischen Ländern - so wurde zeitgleich in Paris der erste "Salon der Abgelehnten" veranstaltet und in Wien fordert Ferdinand Georg Waldmüller provokant: "Nieder mit den akademischen Lehren".

Eigentlich hatten die russischen Künstler rund um deren theoretischen Kopf Iwan Kramskoi einen kunstvermittelnden Ansatz: Der breiten Masse sollte zeitgenössische Kunst in Form von selbst organisierten Wanderausstellungen bis ins entlegenste Eck des Zarenreichs nähergebracht werden. So wurde die Gruppe, der sich im Laufe der Zeit immer mehr Künstler anschlossen, als "Peredwishniki" oder Wandermaler berühmt. Wie beeindruckend die Werke, wie vielfältig die künstlerischen Positionen dieser russischen Realisten sind, davon kann man sich derzeit in der Kunsthalle Krems ein Bild verschaffen. Denn dort läuft eine Schau mit über 50 Bildern aus dem Russischen Museum in Sankt Petersburg, die im Vorfeld bereits mehr Wogen geschlagen hat als die meisten Ausstellungen aus dem Bestand westlicher Museen. Dies mag daran liegen, dass eine derartige Zusammenstellung noch nie außerhalb Russlands zu sehen war. Dem europäischen Publikum ist vor allem die russische Avantgarde vertraut, Bilder herausragender Maler des 19. Jahrhunderts wie Ilja Repin oder Wassili Surikow weit weniger bekannt. Vielleicht liegt es nach Jahrzehnten, in denen Gegenständlichkeit quasi Tabu war, aber auch generell am wiedererwachten Interesse an Realismus.

Im Zentrum der Schau steht der "König der Realisten" Ilja Repin. Sein ungemein locker gemaltes Bild eines jungen übermütigen Paares in der Landschaft mit dem symbolisch aufgeladenen Titel "Welch eine Weite" fungiert als Sujet für die Ausstellung. Auf die Krönung der Schau, Repins monumentale "Wolgatreidler", muss man noch bis 1. Mai warten. Denn erst am Tag der Arbeit gesellt sich der russische Nationalschatz hinzu. Seit langem wieder auf Reisen im Westen, befindet sich der Inbegriff des russischen Realismus schlechthin derzeit noch bei einer Repin-Retrospektive in Groningen. Von aufgeschlossenen Künstlern und Kritikern wurde das Werk bereits unmittelbar nach der Entstehung 1870-1873 zur bildhaften Hymne der Epoche erklärt - Repin zum Tolstoi der bildenden Kunst geadelt. Hier hatte ein Künstler soziale Missstände, Versklavung und Ausbeutung schonungslos in unglaublicher ästhetischer Qualität aufgezeigt. Elf bräunlich gekleidete Männer mit zerfurchten, ausdrucksstarken Gesichtern schleppen ein riesiges Schiff flussaufwärts. Gehalten wie Tiere - und doch ungebrochen in ihrem Stolz stehen die expressiven Gestalten, jeder für sich ein Individuum, im Kontrast zu der geradezu lieblich-undramatisch gemalten Umgebung.

Versklavt, aber stolz

1868 wurde Repin auf die Fluss-Arbeiter erstmals während einer Newa-Fahrt aufmerksam. Billiger als Pferde schleppten die "Treidler" Fracht- und Passagierschiffe die Wolga hinauf. Die Umsetzung in ein Bild gelang ihm fünf Jahre später und befriedigte ihn zutiefst - da er in ihm erstmals seine tiefsten und persönlichsten Vorstellungen von Kunst realisieren konnte. Da Repin die geknechteten Arbeiter zwar versklavt, aber stolz und selbstbewusst zeigte, versuchten die Bolschewisten Repin später als kommunistischen Maler par excellence zu vereinnahmen.

Um die unmenschlichen Arbeitsbedingungen dreht sich auch Abram Archipows "Wäscherinnen" - malerisch und thematisch eines der modernsten Bilder der Ausstellung. Im Unterschied zu den "Wolgatreidlern" wird hier die miserable Situation von Frauen mittels eines breiten Pinselstrichs und einer faszinierenden Bilddynamik erzählt.

Auch Kritik an der gesellschaftlichen Oberschicht wird geübt - in Form von Bildern, die die Verzweiflung eines jungen Mädchens vor der Zwangsverheiratung mit einem begüterten alten Mann thematisieren.

Eine ganz andere Seite der Wandermaler vermitteln wiederum die Landschaftsbilder Iwan Schischkins, von Zeitgenossen "Zar des Waldes" genannt. Sein "Hinterwald" spiegelt das große Interesse der Künstler an der russischen Landschaft, die sie mit analytischem Blick so wirklichkeitsgetreu wie möglich festhalten wollten, bei denen aber stets ein Hauch von Romantik mitschwingt.

Tiefenpsychologisch fein gezeichnet sind die vielen Porträts. Auf ihnen finden sich Bauern, aber auch befreundete Künstler und Intellektuelle wie die Komponisten Anton Rubinstein und Rimski-Korsakow. Oft geht es den Malern vor allem um die seelische Befindlichkeit der Porträtierten wie auf Iwan Kramskojs beeindruckend-düsterem Bild "Unstillbarer Schmerz". Selten wurde auf einem Gemälde die Fassungslosigkeit ob der Unwiderruflichkeit des Todes so überzeugend dargestellt.

Bis 2. Juni

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