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Die Sixtinische Kapelle erstrahlt in neuem Glanz

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Die Patina vieler Jahrhunderte ist weg. Ein Teil der Zeitgenossen ist begeistert, eine Minderheit entsetzt: So leuchtend farbig, manche sagten: grell, hatten sie sich den ursprünglichen Zustand von Michelangelos Gemälden in der Sixtini-schen Kapelle nicht vorgestellt. Nun kann sich jeder über die Einzelheiten der vorf einem japanischen Konzern gesponserten Restaurierung informieren. Vor allem aber zeigen die vielen Farbtafeln des Rildbandes „Die Sixtinische Kapelle“ die Farben von Michelangelos gigantischem malerischen Werk fast so, wie die Resucher der Sixtinischen Kapelle einige Jahrzehnte nach seinem Tod sie kannten, und wie sie seither nicht mehr zu sehen waren. Das Gewand des Engels in der „Vertreibung aus dem Paradies“ ist wieder leuchtend rot, sein Haar karottenrot, und die Übergänge der Hauttöne der Eva präsentieren sich weich, die Schlange hingegen ist deutlich erkennbar mit harten, enggesetzten Pinselstrichen gemalt. Einzelheiten, die kaum mehr erkennbar waren.

Die Zeiten, in denen Restauratoren Reschädigtes übermalten, Fehlendes ergänzten und verblaßte Farben mit allerlei Substanzen auffrischten, sind vorbei. Reim aufwendigsten Restaurierungsprojekt des Jahrhunderts wurde peinlich darauf geachtet, den Schmutz nicht vollständig zu entfernen, sonderr) die unmittelbar auf der Farbschichte haftende frühe Patina der ersten Jahrzehnte zu belassen. Nur so war sicherzustellen, daß nicht auch empfindliche Teile der Malerei selbst abgewaschen wurden. An der originalen Farbe wurde nichts verändert.

Daß die zum Vorschein kommende Farbe noch so viel Leuchtkraft hat, ist vor allem Michelangelos hervorragender Maltechnik sowie der hohen Qualität der Putzschichte, auf die er seine Fresken malte, zu verdanken. Dank dieser Qualität widerstanden sie Rauschäden, jahrzehntelang einsickerndem Regenwasser, Kerzenruß und vielen Eingriffen und Restaurierungsversuchen. Als Michelangelo das „Jüngste Gericht“ in Angriff nehmen sollte, war die auf Refehl Papst Pauls III. errichtete neue Altarwand, die den Raum abriegelte und den Eindruck völlig veränderte, bereits für eine Ölmalerei „al secco“ präpariert, weil man glaubte, der Sechzigjährige würde der Anstrengung der Malerei „al fresco“, bei der die für einen Arbeitstag vorgesehene Malerei jeweils vor dem Trocknen der Putzschicht fertiggestellt werden muß, nicht mehr gewachsen sein. Der empfindliche Michelangelo sah darin eine Releidigung, ließ den Putz abschlagen und für Freskomalerei vorbereiten.

Das 1541 am Tag vor Allerheiligen enthüllte Rild spaltete noch vor der Fertigstellung die Meinungen, die einen bewunderten es bedingungslos, andere schmähten es als obszönes Werk und forderten die Zerstörung. Die Päpste Paul III. und Julius IV. ließen sich von den Protesten nicht beeindrucken, unter Paul IV. und Pius IV. bestand für Michelangelo sogar die Gefahr, vor das Heilige Officium gebracht zu werden. In seinem Todesjahr fiel die Entscheidung, die für besonders anstößig erachteten Rlößen der Figuren zu überdecken. Daniele de Volterrra war ein glühender Verehrer Michelangelos und löste die Aufgabe möglichst taktvoll, die heilige Katharina und den heiligen Rlasi-us, über die sich die Kritiker besonders empörten, mußte er allerdings völlig neu malen.

Auch diese „Zensurschnitte“ brachten die Krtiker nicht zum Schweigen und selbst noch im Brockhaus von 1822 können wir lesen, daß das Werk'„ohne Würde im Ganzen, ohne Adel im Einzelnen, abenteuerlich'im Detail, zwar nicht den Schönheitssinn befriedigt, aber überall den großen und erfahrenen Künstler zeigt und mehr für den Künstlerverstand lehrreich, als genießbar für Gefühl und Geschmack des Liebhabers“ sei.

Dabei hatte Michelangelo weder das Gewölbe der Sixtinischen Kapelle, noch, dreißig Jahre später, das „Jüngste Gericht“ malen wollen, sich beide Male dem Auftrag widersetzt und die Arbeit dann möglichst lang hinausgeschoben. Der Dreißigjährige verdankte seinen Ruhm ausschließlich seinen Werken als Rildhauer und verstand sich selbst nicht als Maler. Aber die Päpste, die ihn mehr oder weniger dazu zwangen, wußten offenbar, was sie taten. Vasari faßte die Reaktion der Zeitgenossen auf die Deckenbilder zusammen: Dieses Werk habe nach Jahrhunderten der Finsternis die Kunst wie ein Licht erleuchtet. Kein Maler solle nun nach noch mehr Intensität und Vielfalt des Ausdrucks streben, „denn auf dieser Erde ist die Perfektion dessen, was in der Malerei erreicht werden konnte, von ihm erreicht worden.“

DIE SIXTINISCHE KAPELLE

Das Meislerwerk erstrahlt in neuem Glanz. Von Pierluigi de Vecchi und Gianluigi ColaluccL Verlag Herder, FreihurgjH. 1996. 272 Seiten, viele Bilder, Ln., öS 1.299,-

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