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„Die Sonderstellung des Menschen in Lebensabspiel und Vererbung”

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Die lebhaft und fesselnd geschriebene Abhandlung des Wiener Zoologen O. Storch verdient in mehrfacher Beziehung unsere vollste Aufmerksamkeit. Getragen von dem Wunsch, zwischen natur- und geisteswissenschaftlicher Be. traditung vom Standpunkt des Biologen aus eine Brücke zu schlagen, unternimmt es der Verfasser, dem man weltanschauliche Voreingenommenheit nicht vorwerfen kann, die übliche Grenze der biologischen Betrachtungsweise zu übersdireiten, die sich, einem alten Sdiema folgend, mit der Aufzählung alles dessen begnügte, was dem Menschen mit den Tieren und dem ganzen Organismenreich gemeinsam ist. Als Zoologe will er mit den Methoden seiner Wissenschaft zu einer Analyse dessen Vordringen, was den Menschen vom Tier unterscheidet, und damit zu einer universelleren Betrachtung des ganzen Menschen. Wie die Ökologie und die Tierpsychologie zeigen, ist jedes Tier in seine arteigene Außenwelt fest und unlösbar eingebaut, diese besitzt nur in den für seine Erhaltung wichtigen Eigenschaften für das Tier eine Bedeutung. Jedes Tier hat in Form eines charakteristischen Ausschnitts aus der Wirklichkeit seine ihm eigene Umwelt. Seine erblich streng festgelegten Umweltbeziehungen lassen sich in Funktionskreise zerlegen, den der Ernährung, der Bewegung, des Feindes, der Geschlechtsbeziehungen. Der Mensch allein hat sich aus der Bindung an die Umwelt freigemacht, er allein hat sieli seine eigene Umwelt selbst geschaffen, er hat seine Funk- tionskreiise zerbrochen. Dies ist im ermöglicht durch die Schöpfung von „Traditions”-Gütern, von Errungenschaften des Werkzeuggebrauches, der Sprache, der Organisation, die, außerhalb seiner selbst stehend, von Generation zu Generation bereichert, weitergegeben werden. Seine Sinne sind dadurch aus der Knechtschaft der Funkt ionskreise frei geworden und einer anderen, freieren, vielseitigeren Form der Betätigung geöffnet. Die biologische Einheit von Mensch und Tier ist wohl im Fundament und darüber hinaus in hohem Maße gesichert. „Dennoch besteht eine tiefe Kluft zwischen Mensch und Tier, eine Kluft, die auf das Neuauftreten von Fähigkeiten beim Menschen zurückzuführen ist, über deren Entstehung wir heute noch nichts Sicheres wissen.”

Von größter Bedeutung sind diese Überlegungen für eine richtige Auffassung der Rolle der Vererbung beim Menschen. Mit allen Organismen, die aus Zellen mit Zellkernen aufgebaut sind, mit allen „Cytariern” hat der Mensch da Fundament der Vererbung gemeinsam: das Genom, aufgebaut aus einer großen Zahl von Genen, die in ihren verschiedenen Mutationsstufen Ursache erblicher Verschiedenheiten und in ihrer Übertragung durch die Chromosomen Grundlage des Erbgeschehens sind, per Mensch allein aber ist über dieses Fundament hinausgewachsen und hat sich in seinem Traditionsgut einen Überbau geschaffen, der eine besondere Eigengesetzlichkeit besitzt. Wohl ist der Einzelmensch in dem Grad, in dem er diese Güter zu benutzen oder schöpferisch zu vermehren vermag, in gewissem Maß von erblichen Komplexen abhängig, doch im wesentlichen ist die Weitergabe, Übernahme und Benutzung dieser spezifisch menschlichen Güter der organischen Vererbung entzogen. Muttersprache, soziale Lebensform, politisches Bekenntnis, Weltanschauung und Religion sind nicht erbbedingt. Der Mensch hat nicht mehr „seine Umwelt” wie das Tier, sondern er objektiviert die ganze Welt und vesrmochte sie o bis über die Grenzen jeder organbedingten Anschaulichkeit hinaus zu bezwingen. Beim Tier deckt sich der Lehensablauf des Einzelindividuums wesentlich mit dem für die ganze Art charakteristischen, beim Menschen dagegen ist unter den ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten dem einzelnen ein weiter Spielraum gegeben, in welchem Umfang und in welcher Art er dureh die spezifisch menschliche Fähigkeit der Eigenerwerbung seine Eigenwelt gestaltet. Tierindividuum und Menschenindividuum sind Kategorien verschiedenen Ordnungsgrades. Die aus dem Traditionsgut be. stehende Menschenwelt ist aber selbst nichts Stabiles, sie zeigt Entfaltungserscheinungen und Umwälzungen, die keineswegs auf eine Änderung der Erbmasse ihrer Träger zurüdtgehen, wie dies beim organischen Evolutionsgeschehen der Fall ist. „Die Vererbung setzt sich fort in einer Eigenerwerbung von Eigenwelt, die Evolution ist transponiert in Schöpfungsakte an einem Menschenwerke, an der Menschenwelt.” Was den Menschen so über das Tier erhebt, das verurteilt ihn als Einzelindividuum, aber auch dazu, gegenüber delti Gesamtinhalt dessen, was für die Art Mensch charakteristisch ist, zurückzubleiben, stets ein Unvollendeter zu bleiben.

Der Verfasser weist auf die enge Verwandtschaft seiner unabhängig konzipierten Gedankengänge mit dem. Werk des Philosophen Arnold Gehlen hin. Es ist bezeichnend für die geistige Situation der Zeit, daß ähnliche Gedanken über,die Stellung des Menschen in der Natur von einem anderen Zoologen, Portmann in Basel, und’ von einem Biologen vom Range eines Julian Htrxley geäußert wurden und daß das neue Gesamtbild vom Menschen in einer wahren Synthese aller Wissenschaften sich zu vollenden verspricht.

Verschwörung in Deutschland. Von Allan Welsh Dulle s. Europa-Verlag, Zürich. 288 Seiten.

Man ist der Enthüllungen und Tagebücher aus der nationalsozialistischen Ära schon ein wenig müde. Begabte Darsteller, wie Gisevius, haben die Lichter vorweggenommen, das Gebiet ist seit den Nürnberger Prozessen schon stark journalistisch ausgewertet, und was nun noch gesagt wird, zeigt eine gewisse Gleichförmigkeit der Umstände, Charakterprobleme und Hintergründe. Man kann es deshalb bedauern, daß A. W. Dulles’ Buch erst jetzt in deutscher Übersetzung erscheint. Dulles leitete im Kriege das amerikanische „Office of Strategie Services” in Zürich, das die innerpolitische Lage in Deutschland zu beobachten hatte. In dieser Eigenschaft stand Dulles mit den maßgebenden Persönlichkeiten der deutschen Untergrundbewegung persönlich oder durch Mittelsleute in Verbindung. Seine damaligen Beobachtungen hat Dulles später durch Einsichtnahme in zahlreich Gestapo- und Volksgerichtshofakten, durch Aussprachen mit den überlebenden Führern der deutschen Untergrundbewegung überprüfen, und ergänzen können. Die Arbeit fußt daher auf sehr reichhaltigem und stichfestem Material, das mit Objektivität, Sachkenntnis und Gewandtheit verwertet ist. Dulles’ Buch ist zuerst in New York unter dem Titel „Germanys Underground” erschienen und wurde in der Absicht geschrieben, den Amerikanern zu zeigen, daß es tatsächlich eine weitverzweigte deutsche Unter.

grundbewegung und nicht nur eine Anzahl frondierender Cliquen gab.

Österreichs Ringen um Freiheit und Völkerfrieden vor hundert Jahren. Von Alexander Novotny. Styria, Graz.

Das vorliegende Buch dürfte wohl die von österreichischer Seite veröffentlichte Reihe von Publikationen zur Geschichte des Jahres 1948 vorläufig abschließen. Novotnys Werk bildet einen wichtigen Beitrag zu einer europäischen Betrachtung der Ereignisse des Sturmjahres. Der Autor stellt die österreichische Revolution durch einen anregenden Vergleich in einen größeren Zusammenhang, indem er um die Mitte der letzten fünf Jahrhunderte ein Streben nach Loslösung von überkommenen Gewalten feststellt. Diesen Epochen der Emanzipation geht am Anfang dieser Jahrhunderte das Bestreben voran, nach großen Erschütterungen Staatensysteme neu zu ordnen. An den Enden der Jahrhunderte drängt sich eine dritte Reihe periodisch auftretender Tatsachen zusammen, die der Verfasser als Integration, als das Streben, die Staatsmacht zu befestigen, bezeichnet. In dieser Spannung von Emanzipation und Integration sieht Novotny den Inhalt der politischen Revolution des 19. Jahrhunderts. Bei der Frage nach den Triebkräften der Revolution wird an der Anschauung festgehalten, die schon Violand, den Erkenntnissen Lorenz von Steins folgend, in seinem Buch „Soziale Geschichte der Wiener Revolution” (1850) vertreten hat, daß nämlich allein soziale Motive maßgebend gewesen seien und die nationalen Beweggründe auf soziale zurückzuführen wären. Dem Autor ist vollkommen beizupflichten, wenn er es ablehnt, das Österreich Metternichs und Schwarzenbergs in eine Parallele zu zwingen. Zwischen dem Jahr 1848 und der „Reaktionszeit” des Neuabsolutismus gibt es mehr Verbindungslinien, als man gemeinhin anzunehmen gewillt ist. So unterscheidet sich das Buch wohltuend durch die gerechte Verteilung von Licht und Schatten von anderen Betrachtungen des Jahres 1848, bei denen die Geschichte nur Dienerin im politischen Tageskampf ist.

Sieben Tage Kärnten. Erzählung eines Landes. Von Otto M. F o 11 e y. Mit 40 Bildern. Eduard-Kaiser-Verlag, Klagenfurt. 198 Seiten.

Ein Kärntner führt seinen amerikanischen Freund im Fluge durdi das Land, weist, erläutert ihm Landschaft, Volk und Geschichte, ohne Schärmerei, mit eindrucksvoller Natürlichkeit und aus herzhafter Heimatliebe heraus. Eine Schilderei von gewinnender Wärme, die aus dem unerschöpflichen Schatze Kärntner Kulturgeschichte und Tradition manches wenig Bekannte herausholt, anziehend nicht nur für Amerikaner.

Die siebente Tür. Roman. Von Olga B a r e n y i, Verlag Erwin Müller, Wien.

Die siebente Tür im Märchen, die man nicht öffnen darf, ist die Tür zum Glück. Denn dahinter ist nichts, das Glück besteht nur in der Sehnsucht. Diese Erkenntnis gewinnt die Tänzerin Jölan auf ihrem Zickzackweg durch Luxus und Elend, den grelle Bilder aus der menschlichen Tragikomödie umsäumen. Kein Lichtstrahl von oben fällt in dieses Düster, so daß wir das in einem primitiven Minutenstil geschriebene Buch unbefriedigt aus der Hand legen.

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