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Die Stiftung der Frangipani

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In der 1509 gewölbten Nordkapelle der spätgotischen Pfarrkirche von Ober-Vellach (Kärnten) umschließt ein 1697 entstandener mächtiger Barockaltar die Tafelgemälde eines Flügelaltars aus dem Jahre 1520; die Umstände seiner Entstehung besitzen hohes kulturgeschichtliches Interesse. Es handelt sich nach gesicherter Tradition um die Reste des ehemaligen Altars der Kapelle des Schlosses Ober-Falkenstein, dessen Trümmer heute unfern von Ober-Vellach am Nordhange des Mölltals liegen.

Die auf Zirbelholz gemalte Mitteltafel (142 X 144 cm) stellt, in liebevoller Schilderung die HI. Sippe in Zeittracht inmitten eines von Holzgebäuden umschlossenen Hofes dar, in den aus der Höhe Baumwerk und ein von einer Schloßanlage gekrönter Berggipfel niederblicken. Die unvollständig erhaltene Signatur nennt als Maler „Joannes Scorel hollandius...“, also jenen 1495 geborenen Hauptmeister des niederländischen Romanismus, der nach den ausführlichen Schilderungen seines Biographen Carel van Mander 1519/20 durch Deutschland über Nürnberg und Salzburg eine Pilgerreise nach Jerusalem unternahm und dabei den Auftrag empfing, einen Kapellenaltar für Ober-Falkenstein zu malen, eine Arbeit, die er in Kärnten selbst ausgeführt haben soll. Die Stifter des Altars, deren Schicksale uns heute noch menschlich ergreifen, dürften auf den Tafeln ihrer Stiftung der Sitte ihrer Zeit gemäß bildnishaft dargestellt sein; denn die Züge der meisten erwachsenen Personen innerhalb der Hl. Sippe muten uns als Porträts an, in bedingtem Maße auch die Darstellungen der beiden Flügelinnenseiten, die in offenen Landschaften stehenden Gestalten der Heiligen Christophorus und Apollonia. Die Entstehungsgeschichte des

Altars,, die Henry Thode in seiner Erzählung „Der Ring des Frangipani“ romantisch verklärt hat, ist auf Grund geschichtlicher Tatsachen die folgende: Das Stifterpaar, Menschen von grundverschiedener Herkunft und Bildung, hatte sich im bunten Treiben des Hofes Maximilians I. gefunden, der Söldnerführer Christoph Frangipani und Apollonia Lang, die Schwester des führenden Diplomaten des Reichs und späteren Erz-bischofs von Salzburg, Matthäus Lang von Wellenburg.

Die Frankopane (latinisiert Frangipani) waren ein abenteuerndes kroatisches Dynastengeschlecht, Herren auf Modrusch, Grafen der Insel Veglia im Carnaro und Fürsten der Seestadt Zengg im Morlackenkanal, also wohl Angehörige jener Uskoken, die zu Land und See gegen ihre bedrohlichen Nachbarn, bald gegen die Türken, bald gegen Venedig, mit gleicher Kühnheit kämpften. Christoph (1483 bis 1527) wurde Feldherr Maximilians I. im Kampfe gegen Venedig, als die Macht der Serenissima auf die kaiserlichen Besitzungen in Friaul wie auf die Güter der Frangipani in Istrien griff, das heißt als die Interessen des deutschen Königs und des kroatischen Dynasten die gleichen waren. Durch seine Heirat wurde dieser Con-dottiere 1513 noch enger an seinen Herrscher gebunden. Die junge Augsburger Patrizierin Apollonia Lang war durch mehrere Jahre Hofdame der zweiten Gattin Maximilians, der mailändischen Prinzessin Bianca Maria Sforza, gewesen und ihrem stillen Einflüsse schrieb man zum Teil die blendende diplomatische Karriere ihres Bruders Matthäus zu. Von diesem war sie in erster Ehe mit hoher Mitgift dem Herren auf Ober-Falkenstein, Julian Grafen Lodron, verbunden worden, der jedoch bald starb.

Kurz nach ihrer zweiten Eheschließung spielte die Geschichte Europas in das Schicksal der beiden Gatten hinein. Was sich ereignete, wissen wir aus den ausführlichen Schilderungen des venezianischen Chronisten Marino Sanudo: 1514 zog Christoph Frangipani in Friaul gegen Venedig zu Felde; er wurde verwundet. Seine Frau suchte ihn auf und heilte ihn. Kaum genesen, stürzte er bei der Belagerung von Osoppo vom Pferd, wurde gefangen und in Venedig in Haft gesetzt. Wieder wollte Apollonia sein Schicksal teilen. Nachdem sie beim venezianischen Senat vergeblich um freies Geleite angesucht hatte, eilte sie ohne diese Zusicherung nach Venedig und wurde mit Frangipani in die Festung Toresella eingeschlossen. In den nun folgenden zweiundzwanzig Monaten ihrer Haft stifteten die Gatten ein frommes Werk: sie ließen beim venezianischen Verleger Gregorio de Gregoriis auf ihre Kosten in 200 Exemplaren ein deutsches Brevier mit Metallschnitten des G. A. Vavassore drucken. Nach einer Version hat die hochgebildete Apollonia selbst den Text des lateinischen Breviers ins Deutsche übertragen und damit der gleichzeitigen Bibelübersetzung Martin Luthers aus innerster Herzensnot ein ähnliches Werk zur Seite gestellt. Ein zweimal im Buche verwendetes Bild zeigt die beiden Gefangenen zu Füßen der in Wolken gekrönten hl. Maria kniend, den Feldherrn gerüstet, seine Gattin in reichem Prunkgewand.

1519 lieferte der venezianische Senat die beiden Gefangenen an die verbündeten Franzosen aus, die damals das Herzogtum Mailand besetzt hielten. Aus der neuen Haft glückte Frangipani Ende November 1519 eine abenteuerliche Flucht in die Alpen. Seine Frau, die in aufopfernder Treue seine Gefangenschaft geteilt hatte, blieb darin zurück und starb am 4. Februar 1520. Mit seinem neuen Herrscher, Karl V., von dem Frangipani Entschädigung für seine Leiden erwartet hatte, scheint er bald zerfallen zu sein; denn der kroatische Dynast schloß sich dem ungarischen Gegenkönig Johannes Zapolya an, kämpfte für ihn gegen Habsburg und fiel 1527 vor der Festung Warasdin.

Der 1520 geschaffene Kapellenaltar von Ober-Falkenstein (jetzt Ober-Vellach) ist wohl wie das Frangipani-Brevier ein während der langen Gefangenschaft gelobtes frommes Werk, das die Erinnerung an die in Leiden bewährte Gemeinschaft Christoph Frangipanis und seiner

Gattin erhalten sollte. Mag dieses Werk auch in Kärnten gemalt worden sein, so dürfte doch Scorel die Studien zu den zahlreichen Bildnissen — wohl von Angehörigen der Familien Frangipani und Lang — in Augsburg und Salzburg gezeichnet haben. Scorel dürfte den befreiten Frangipani gesehen haben — nach Carel van Mander war er ja dessen Gast; für die Darstellung der verstorbenen Gattin aber können ihm bestenfalls ältere Bildnisse derselben vorgelegen haben. Jedenfalls hätten wir die Gesichtszüge der vielgeprüften Stifter nach der damaligen Kunstübung in den Darstellungen ihrer Namensheiligen an den Flügelinnenseiten zu suchen. Diese beiden Gesichter sind aber so typisch niederländisch, daß die Forschung versuchte, die Stifterbildnisse innerhalb der HI. Sippe aufzufinden. Zu einem Ergebnisse könnten diese Versuche erst kommen, wenn authentische Porträts auftauchen sollten. Jene des „Frangipani-Breviers“ sind ganz typisierend gehalten. Obwohl wir die Bildnisse des Ober-Vellacher Altars nicht zu deuten vermögen, ist er ein geschichtliches Dokument von ergreifender Anschaulichkeit und Größe.

Kunstgeschichtlich ist die Bedeutung dieses frühesten datierten Werkes Sco-rels feststehend: der im niederländischen Norden geschulte Maler schuf es vor der Schwelle Italiens, ehe er von der venezianischen Kunst die tiefsten Eindrücke seines Lebens empfangen hatte; das Werk von 1520 bildet daher den Abschluß seiner heimatverbundenen Jugendwerke. Noch im gleichen Jahre, in welchem er den Ober-Vellacher Altar in fast unbegreiflich rascher Arbeit vollendet hatte, schiffte sich Scorel in Venedig nach der Levante ein, und eine seiner Handzeichnungen mit der Darstellung Jerusalems beweist, daß er sein Ziel erreicht hat. 1521 bis 1523 war er von seinem niederländischen Landsmann Papst Hadrian VI. zum Aufseher der päpstlichen Antikensammlung bestellt und stand so in Rom an der Quelle der Erkenntnis jener Formen, welche der niederländische Romanismus als kanonisch ansah. Nach des Papstes Tode zog Scorel in die Heimat zurück und wurde dort als Kanonikus der Marienkirche von Utrecht eine Persönlichkeit von Stand, als Künstler ein anerkanntes Schulhaupt. Sein schaffensreiches Leben endete 1562, wenige Jahre ehe der Kampf um ihre Unabhängigkeit seine Heimat in Flammen setzte.

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