6609546-1954_42_09.jpg
Digital In Arbeit

Die Stimme Roms und der Völker

Werbung
Werbung
Werbung

Wissenschaftliche und künstlerische Ergebnisse des 2. Internationalen Kirchenmusikkongresses

Mit der Auszeichnung, als erste Stadt nach Rom (1951) zu einem Internationalen Kongreß für katholische Kirchenmusik einladen zu dürfen, wurde Wien die große Aufgabe anvertraut, die geistigen, religiösen und künstlerischen Voraussetzungen für eine so weltumspannende Veranstaltung zu schaffen. Soweit die Lösung dieser Aufgabe in menschlichen Kräften gelegen ist, kann gesagt werden, daß Wien ihr gerecht geworden ist. Die Huldigung der Nationen für Pius X., den heiligen Vater des Motu proprio,, geschah in vierzehn Sprachen — und in der fünfzehnten: der Sprache der Kirche, die alle Nationen im „Veni Creator Spiritus" singend vereinte. Das über aller Vielfalt der Veranstaltungen schwebende, eindrucksvollste und nachhaltigste Erlebnis war denn auch die Stimme Roms, verkörpert in dem vom Heiligen Vater ernannten Präsidenten des Kongresses, Prälat Dr. Angles, der in manchen Punkten entscheidend oder wegweisend eingriff, so in Fragen der kirchenmusikalischen Aesthetik und der Volksliturgie.

Die Begegnung und Berührung der Geister in wissenschaftlichen Ausführungen und Diskussionen, meist mit Studioaufführungen verbunden, bildete neben den gemeinsamen Gottesdiensten das innere Kongreßprogramm, das die geistige Entwicklung von „Fünfzig Jahren Motu proprio" und die daraus zu gestaltende Zukunft behandelte, scharf, zuweilen schonungslos profiliert in den Referaten, insbesondere durch Prälat Dr. Angles (Polyphonie), Rektor Prof. Jungmann (Liturgischer Volksgesang), Sybrand Zachariassen (Orgel), Prof. Dr. Heihrich Lemacher (Neue Kirchenmusik), Dr. J. B. Hilber (Kirchenmusik als Beruf), Prof. Leonards und Prof. Dr. Overath (Erziehung , zur Kirchenmusik) und Dr. Adam Gottron (Organisation). Grundlegende wissenschaftliche Forschungsreferate vermittelten Prof. Dr. Egon Wellesz (Musik der Ostkirchen), Prof. Dr. Le Guennant (Gregorianik) und Prof. Dr. Erich Schenk (Instrumentale Kirchenmusik).

Einer der hervorstechendsten Züge des Kongresses war die fast lückenlose Verbindung der wissenschaftlichen Ausführungen mit praktischen Musikaktionen. Es wurde nicht nur gesprochen, sondern vor allem musiziert. Wir stellen (nicht chronologisch) das Volkschoralamt im Stephansdom an die Spitze, weil es vor allem die Beteiligung des Volkes am feierlichen Gottesdienst überzeugend erwies und somit ein Beispiel war für die Lösung der wichtigsten Aufgabe der Kirchenmusik: das aktive Mitsingen der Gemeinde. Das Proprium sang die Choralschola der romanischen Schweiz (Genf) unter Leitung von Dom Gajard (Solesmes). Von den anderen „tönenden" Veranstaltungen wenden wir uns vor allem den Werken der neuen Kirchenmusik zu, die ja den Gipfel der „Fünfzig Jahre Motu proprio" darstellen, die Spitze der Entwicklung und den Blick ins Morgen eröffnen. Das „Te Deum" von Anton Heiller faßt zum erstenmal nach Bruckner den gewaltigen Lobgesang in musikalisch-formale Entscheidungen. Eine mit allen Mitteln der modernen Technik ausgerüstete Tonsprache ordnet diese bedingungslos dem religiösen Gedanken zu und unter, erbaut sich und die Hörer nicht am eigenen Klang- und Farbenrausch, sondern gestaltet in großen Linien die ambrosischen Gedanken nach, mit stets aufwärtsgewandtem Blick, aber gebeugtem Knie. Die Knappheit der Form erreicht fast epigrammatische Zuspitzung, ohne den Gefühlsausdruck zu leugnen, allerdings des Gefühls der Demut, selbst im Lobpreis. — Die Missa gregoriana von Ernst T i 11 e 1 führt, wenn auch in ganz anderer Eigenart, in ähnliche Bezirke. Sie verarbeitet mit gregorianischen Themen eigene, im gleichen Duktus erfundene zu einer einheitlichen Substanz und kommt in Voraussetzung und Wirkung dem Choral näher als die meisten mehrstimmigen Messekompositionen. Das Proprium von Erich Romanowsky fügte sich zu dieser Messe als die Handschrift eines Jüngeren. Am knanpsten formuliert und am stärksten profiliert, wenn auch nicht am weitesten vorstoßend, erwies sich das „Ecce sacerdos magnus" von Oswald J a e g g i.

J. N. Davids „Missa choralis" wurde in unserem Blatte bereits gewürdigt. Joseph Krönst e i n e r s „Friedenslitanei" hat bei aller Schlichtheit tief ergriffen. Die Messe von Igor Strawinsky, nicht zum erstenmal in Wien gehört, mag wohl für einen größeren Raum gedacht sein, als die Burgkapelle ist, doch bleibt sie in ihrer Grundhaltung und ihrem Duktus trotz kleiner Befremdungen dem liturgischen Geheimnis näher als manche (gewohntere) Instrumentalmesse. Joseph Meßners „Proprium zum Feste der Himmel-

ENOSIS, neugriechisch, zu deutsch soviel wie .Vereinigung“, nennt sich jene Bewegung auf Zypern, die sich gegen die britische Herrschaft richtet. Der Leiter der Enosis, der dreiundvierzigjährige Erzbischof Makarios, hat es verstanden, die Frage Zypern vor die gegenwärtige Tagung der Vereinten Nationen zu bringen. Makarios schiert es nicht, daß er seine Erziehung den USA verdankt. Er wahrte seine Mittelstellung zwischen den Patriarchen von Konstantinopel und Athen. Er hat vor zwei Jahren eine inoffizielle Volksabstimmung über den Zusammenschluß mit Griechenland ms Werk gesetzt, wobei sich 98 Prozent der griechischen Bevölkerung für die Wiedervereinigung aussprachen: die Abstimmungslisten lagen damals auf den Altären. Die meisten Städte — besonders Nikosia und Famagusta — flaggen die fünf blauen und vier weißen Streifen mit dem weißen Kreuz auf Blau als Gösch, die Fahne Griechenlands. Die Lösung der Suezkanalfrage gab der .Ethnarchie', dem Aktionskomitee für die Befreiung, erneuten Auftrieb. Makarios predigt in der Kathedrale Phenero- meni leidenschaftlich gegen England. Nach indischem Mustęr wurde der passive Widerstand angedroht. Unverkennbar hat es — außer den zwei Gewerkschaften — die kommunistische Partei verstanden, die nationalen Gluten zu schüren. Das Ziel freilich ist keine .Enosis", sondern die Entzweiung von griechisch Denkenden, von britisch gesinnten Zyprioten und türkisch Gesinnten. Die Verständigungspolitik der britischen Gouverneure — allgemeines Wahlrecht, autonome Gemeinderäte — fruchtet wenig. Strategische’ Fragen ersten Ranges werden jedoch auch heute die Engländer bestimmen, auf Zypern zu bleiben. In der Ebene von Messoaria reihen sich die Flugplätze aneinander. In Kyrenia \ haben nordamerikanische Spezialisten umfangreiche Bunkeranlagen gebaut. Am Kap Greco ist ein Flottenstützpunkt im Entstehen, der die Pulsader Gibraltar—Malta—Persischer Golf sichern soll; jetzt, nach der Suezregelung, wichtiger denn je. Das Sonderbare an Zypern ist, daß man nicht nur nicht die ursprünglichen Besitzer, die Türken, befragt, sondern diese gerade in Pakte zur Sicherung dės östlichen Mittelmeeres einbeziehen möchte. Und schön gar nicht wird die türkisch sprechende Bevölkerung — immerhin nahezu ein Fünftel — befragt. Freilich, für Makarios sind das nur Mohammedaner. Es scheint, man legt sich in die unterirdischen Bunker den Sprengstoff „Arabische Liga" selbst. Es würde dann zu dem in Sėvres zerschlagenen Porzellan von Anno 1920 über kurz oder lang weiteres kommen, das mit Düsentreibstoff noch weniger zu kitten sein wird.

falirt Mariens" ist zur Gänze der Tradition zuge- wandt, an der Kirchenmusik des Spätbarocks orientiert, allerdings mit viel leichterer Substanz. Die Gelöstheit der Melodien löst sich zuweilen recht weit vom gregorianischen Gedanken. Das seit seiner Uraufführung (1928 in Schwerin) verschollene „Stabat mater" von Joseph Lechthal e r, dem genialsten Komponisten der neuen Kirchenmusik, steht an der Wende seiner stilistischen Erneuerung, verwendet noch, wenn auch höchst eigenpersönlich konturiert, Farbe und Dynamik des Brucknerschen Orchesters, aber auch schon den von Max Springer in die mehrstimmige Kirchenmusik wiedereingeführten Choral. Es ist das Werk eines Meisters und wurde in einer vorbildlichen Wiedergabe durch den Salzburger Domchor unter Joseph Meßner den ergriffenen Hörern neu geschenkt.

Die Fülle der Ausführenden gliedert sich in zehn Auslandchöre und sämtliche Wiener Kirchenchöre. Doch lag das Hauptgewicht in der Wiedergabe für neue Musik bei den Sängern des Wiener Kammerchores und seinem Dirigenten Prof. Dr. Hans Gillesberger, der ein nahezu unerfüllbares Leistungspensum zu voller Qualität zu steigern und seine gewaltige Dynamik den Sängern mitzuteilen verstand. Seine Künstlerpersönlichkeit, zur Gänze dem Dienst am heiligen Werk gewidmet, hat es vermieden, im hellen Lichte zu stehen. Eine bedeutende Zahl zeitgenössischer Komponisten verdankt seinem idealen Einsatz und seiner fast intuitiven Stilerfassung ihre Durchsetzung.

Vereinten sich bei der Eröffnung des Kongresses alle Nationen zu einer Stimme, so klangen dagegen im abschließenden „Konzert der Nationen" ihre Stimmen gesondert auf. Wir müssen hier die

Choralschola der romanischen Schweiz (Leitung: Prof. Dr. Pierre Carraz) an die Spitze stellen. Ihre gregorianischen Gesänge erwiesen sich im Konzertsaal als eine ebenso hervorragende künstlerische Leistung wie im Gottesdienst als eine liturgische. — Neue Kirchenmusik bot Maurice Duruflė in seinem „Choral variö" über Veni Creator für Orgel; eine äußerst profilierte, interessante Komposition, deren besondere Feinheiten bei einmaligem Hören kaum festzuhalten waren. Der Domchor St. Gallen (Schweiz) sang kleine Werke von Paul Huber, Max Kuhn und Siegfried Hilden- brand, wenig problematisch, doch apart in ihrer Handschrift. Der Münchner Domchor unter Ludwig Berberich interpretierte die Missa brevis von Karl Höller, die uns im liturgischen Geiste weniger überzeugend erscheint als in ihrer konzertanten Wirkung. Das gleiche gilt in erhöhtem Maße von den Litaniae Lauretanae des Holländers Marius Monnikendam, gesungen von der Königl. Gesangvereinigung „Venlona". Der Chor der Sakramentskirche von Breda (Holland) machte mit kleineren Kompositionen von Vörding und Toebosch aufhorchen. Die stärksten Eindrücke vermittelte der Johannes-Damascenus-Chor für ostkirchliche Liturgie (Essen) mit Sätzen von Strawinsky, Nikolskij und Gretchaninoff. Chorisch ausgezeichnete Leistungen bqten die Choral-Polifonica Santa Cecilia aus Alicante (Spanien) und die Scuola Polifonica „B. della Rovere" aus Savona (Italien). Ansprechend waren die schlichten Gesänge des Domchores von Sitten (Schweiz) und sehr ausgewogen die Wiedergabe von Gregor Aichingers „Laudate Dominum” durch den Chor der Kugelkirche aus Marburg an der Lahn. Daß die Wiener Sängerknaben von dem großenteils ausländischen Publikum begeistert akklamiert wurden, ist ebenso ihrer ausgewogenen hervorragenden Leistung, besonders in der Wiedergabe des siebenstimmigen Ave Maria von Anton Bruckner zu danken wie ihren schönen Stimmen.

Neben dem Kongreßprogramm bot ein reiches und vielfältiges Rahmenprogramm eine Fülle von Veranstaltungen, von denen die bedeutendsten in der nächsten Folge der „Furche” besprochen werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung