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Die symbolischen Spuren des zerstörten Tempels Salomos

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Es gibt wohl kein Bauwerk, das schon so lange zerstört ist, so oft besprochen und gezeichnet wurde, dessen letzte Beste Verehrung genießen, dessen ehemaliger Standort als Kulminationspunkt der Hoffnungen von abertausenden Menschen in der ganzen Welt gilt und nicht zuletzt: dessen Wiedererrichtung am jüngsten Tag zu erwarten ist. Die Bede ist vom Tempel Salomos: „Das Haus, das König Salomo für den Herrn baute, war sechzig Ellen lang, zwanzig Ellen breit und dreißig Ellen hoch.”

Trotz der genauen Angaben und der in der Bibel an mehreren Stellen zu findenden Beschreibung ist die Überlieferung des Tempels ein materialisiertes Beispiel für Lessings Ringparabel. Nicht, daß es in der Uberlieferung drei verschiedene Versionen des Tempels gegeben hätte, von denen die Schöpfer behaupten, daß sie die allein richtige sei. Varianten gibt es genug, und jeder Architekt, der den Tempel rekonstruiert hat, tat dies mit den ihm vertrauten Stilmitteln, sei dies nun der 1 empel als Verschnitt des Escorial, wie es Villalpandos getan hat, als Renaissancepalast, als Burg, oder als Reispiel der französischen Revolutionsarchitektur. Der monumentale Irrtum lag jedoch nicht in diesen zeitgemäßen Anpassungen, sondern darin, daß durch Jahrhunderte, bis ins frühe 19. Jahrhundert, der auf dem Platz des salomonischen Tempels von Kalif Abd al-Malik im 7. Jahrhundert errichtete Rundbau, der Felsendom -oft irrtümlich als „Omar-Moschee” bezeichnet r als templum salomonis durch Holzschnitte und Gemälde geisterte. Eine mögliche Interpretation für diesen Irrtum liegt in einer kalkulierten Verdrängung, die eine Möglichkeit darstellte, „an den verlorenen Glanz der christlichen Herrschaft über das lateinische Königreich Jerusalem zu erinnern und den Verlust der Heiligen Stadt und ihres Tempelberges an den Islam zu verdrängen”.

Lessing hätte es nicht besser erfinden können, das Symbol für das „Haus Gottes” wird in der Form des Rundbaues einer Moschee als solches verehrt. Diese Form wurde im Lauf der Jahre zur Architekturallegorese, die als bildliches Zitat Bibeldarstellungen ziert. Diese Allegorese verselbständigt sich als Ciborium, die Traditionslinien reichen bis zum Hochaltaraufsatz des Kölner Doms.

Der Tempel Salomos wurde aber noch in anderer Weise durch die Jahrhunderte symbolisch geplündert, wie am Beispiel der beiden dem Tempel vorangestellten Säulen Jachin und

Boas nachgewiesen wird, denen keine architektonische Funktion zukam, die, AVächtern gleich, Gut und Böse, Licht und Dunkel symbolisieren und die durchschritten werden müssen, um den Tempel der Weisheit betreten zu können. In gedrehter Form treffen wir sie auch vor der Wiener Karlskirche wieder.

Der Tempel Salomos wurde als Bauplan des Kosmos angesehen und für die Anordnung der Säulen läßt sich die Verwirklichung von anthro-prometrischen Proportionsvorstellungen nachweisen. Die Anspielung auf den salomonischen Tempel war auch beim Bau der Sixtinischen Kapelle beabsichtigt, die Maßzahlen des Kapellengrundrisses betragen, dem Tempel konform, ziemlich genau 60 mal 20 Ellen

Souverän führt der Autor Paul von Naredi-Bainer, unterstützt von 181 Abbildungen, die Leserin und den Leser durch die Kulturgeschichte, und die Bezüge reichen von den ersten Darstellungen bis zum Grundriß von New Häven, der deutliche Anklänge an die weitverbreitete Darstellung des Neuen Jerusalem nach der Ezechiel-schen Version hatte.

Als typologisches Modell im Detail ausgeführt wird im Buch die Gebäu-demetaphorik des architektonischen Ensembles vor der Markuskirche in Venedig, die als Versuch angesehen werden muß, den Machtanspruch Venedigs zu dokumentieren und Venedig als „quasi Himmlisches Jerusalem” zu legitimieren.

Einen anderen bis heute wirkenden Versuch zur Bezeption des Tempels unternahm die Freimaurerei, für die der Tempel zur Metapher für eine tugendhafte Gesellschaft wird. Der Architekt wird zum Gegenbild des Priesters und in der freimaurerischen Historiographie, die auf den Theologen James Anderson (1723) zurückgeht, die Geschichte der Welt zur Geschichte von Bauten und Bauherren.

Ein anregendes Buch, das einen Längsschnitt durch die Geschichte des Abendlandes legt und Lust macht, sich in Galerien und Museen selbst auf die Suche nach bildlichen und symbolischen Spuren des salomonischen Tempels zu machen.

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