Die Tricks der alten Meister

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Eine neue Erklärung für den Einbruch der Lebendigkeit

Wer sich im Metier auskennt, kommt am ehesten hinter die Schliche der Konkurrenz. David Hockney hat die Pop Art mit begründet, zählt zu den herausragenden Malern der Gegenwart - und schrieb nun ein kunsthistorisches Buch. Er bietet darin die frappante Lösung eines kunsthistorischen Rätsels an, das bisher als solches noch gar nicht in seiner vollen Rätselhaftigkeit erkannt worden ist.

Im frühen 15. Jahrhundert kam es plötzlich zu einer tiefgreifenden Veränderung der Malerei. Zu einem Quantensprung der Präzision und Lebendigkeit. Warum kann Velázquez ein Lächeln ins Bild zaubern, das es 100 Jahre vorher in der Malerei nicht gab? Haben die Maler plötzlich so viel dazugelernt? Hockney hält dieser Vermutung Maler entgegen, welche die neue Lebendigkeit beherrschten, obwohl ihre Skizzen keine besondere Meisterschaft verraten.

Auch geistesgeschichtliche Überlegungen stehen im Raum. Durchbrechung mittelalterlicher Starrheit als Emanzipationsprozess. Hinwendung zur Diesseitigkeit. Aber so aller Sinnenfreude abgekehrt war das Mittelalter ja nicht. Hockney geht von einem anderen Ansatz aus: Dass die Maler plötzlich malen konnten, was vorher niemand malen konnte, sei Ergebnis technischer Innovationen.

Als er diesen Ansatz in der Hand hatte, widmete er sich zwei Jahre lang dem Studium der Alten Meister, um seine Hypothese zu verifizieren. Die technischen Innovationen, die er meint, sind Spiegel, Linsen und Prismen, die den Malern von der Optik zur Verfügung gestellt wurden. Die Optik erlebte ihrerseits einen Quantensprung und setzte mit ihrer spektakulärsten Erfindung, dem Teleskop, geistige Umwälzungen in Gang, deren Bedeutung hinter der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus nicht zurücksteht. Für die Maler bedeuteten die neuen Vorrichtungen eine gewaltige Ausweitung ihrer Möglichkeiten, Wirklichkeit abzubilden.

Lachen und Lächeln des Menschen erweisen sich als enorm komplex, wenn der Künstler versucht, sie aus ihrer Räumlichkeit in die Fläche zu transportieren. Dabei sind sie umso flüchtiger, je echter und interessanter sie für den Maler sind, so dass die Maler vor der Erfindung der optischen Hilfsmittel an der naturgetreuen Wiedergabe des Lächelns und des Lachens einfach scheiterten. Da diese Umsetzung zur Routine geworden ist und heute von jedem Werbegraphiker beherrscht wird, können wir uns die anfängliche Schwierigkeit kaum mehr vorstellen.

Die Camera lucida, ein an einem Stab befestigtes Prisma, war eines der wichtigsten neuen Hilfsmittel. Sie warf dem Maler ein virtuelles Bild auf Papier oder Leinwand. Sie wurde für die Porträtkunst noch produktiver als für die Landschaftsmalerei, in der sie aber auch intensiv eingesetzt wurde. Das scheinbare Bild war ebenfalls flüchtig, jede Bewegung des Auges zerstörte es, immerhin, man konnte nun schnell einige Merkpunkte festhalten und dann auf neue Weise weiter arbeiten.

Vielleicht bestand eine Hemmung, den Alten Meistern die Verwendung derartiger Hilfsmittel zu unterstellen. David Hockney legt Wert auf die Feststellung, dass dies keine Beeinträchtigung oder gar Herabsetzung ihrer Meisterschaft bedeutet. Er selbst fertigte mit dem Gerät seine Serie von Porträts von Museumsaufsehern an. Die Verwendung der Camera lucida ist auch alles andere als einfach. Man muss sie sich mühsam erarbeiten und sie taugt nicht zur detaillierten Ausarbeitung. Sie hilft bei der schnellen Erfassung von Merkpunkten.

Ohne neue optische Hilfsmittel wäre die Darstellung der perspektivisch verkürzten Hand, die der junge Mann von Frans Hals (Bild oben) dem Beschauer entgegenstreckt, unmöglich gewesen, zumal unter der Farbe dieses Werks keine Vorzeichnung nachgewiesen werden konnte - nur eben einige Merkpunkte. Auch der Totenschädel in der Hand des Mannes weist auf ihre Verwendung hin.

Zu den optischen Hilfsmitteln gesellte sich eine weitere Innovation, nämlich die Entdeckung beziehungsweise Wiederentdeckung der Perspektive. Die hatte allerdings auch für bedeutende Maler bei Auftragswerken ihre Tücken. Die zu Porträtierenden hatten in der Regel nicht die Zeit und Ausdauer für ausufernde Sitzungen, daher wurden viele Bilder aus Teilen zusammengesetzt, die nicht gleichzeitig gemalt worden sein können. Nur so, meint Hockney, sei van Dycks Porträt einer Genueser Edeldame mit ihrem Sohn interpretierbar. Nicht nur, dass die Gesichter zwar auf verschiedener Höhe positioniert, aber beide aus Augenhöhe dargestellt sind, wo bei der Frau doch Untersicht angesagt wäre. Sie wäre außerdem, würde sie sich von ihrem Stuhl erheben, rund drei Meter groß, meint Hockney.

Beim Bildnis eines stehenden Herrn von Frans Hals sind die Ungereimtheiten der Perspektive nicht ganz so groß, aber auch hier, meint er, seien sowohl die Stiefel wie auch das Gesicht aus Augenhöhe gemalt. Man wisse ja von Frans Hals, dass er Köpfe und Körper getrennt malte. Was freilich auch mit der traditionsgebundenen Erwartungshaltung der Auftraggeber zusammenhängen könnte. Vielleicht hätte eine Abbildung nach den neuen Regeln der Perspektive befremdlich auf die Kunden gewirkt. Doch auch Velázquez griff zu ähnlichen Techniken, kopierte aber auch Teile fertiger Gemälde einfach in neue hinein.

Hockney lässt offen, wann die Revolution begann. Er datiert den ersten Einsatz optischer Hilfsmittel auf die Zeit um 1430 in der flämischen Malerei, findet aber auch in zwei Jahrzehnte früher in Florenz entstandenen Fresken von Masaccio Indizien dafür. Sein Interesse für das Thema ist übrigens kein Zufall. Auch die Fotografie setzte gewaltige Veränderungen der Malerei in Gang und die Auswirkungen der jetzigen technischen Revolution auf die bildende Kunst seien schon gar nicht abzusehen.

GEHEIMES WISSEN

Verlorene Techniken der Alten Meister wieder entdeckt von David Hockney

Verlag Knesebeck, München 2001

296 Seiten, 402 farbige Abbildungen, Ln., e 51,94 /öS 715,-

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