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Die „Vaticana“ während des Krieges

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Rom, Mai 1947 Wieder betrete ich die Renaissanceräume 1 der „Bibliotheca Vaticana“ und wie vor 25 Jahren, als ich sie zum ersten Male sah, bemächtigt sich meiner ein Gefühl tiefer Ehrfurcht. Vor meinem geistigen Auge erscheinen jene Großen, die diese Bibliothek zu dem gemacht haben, was sie heute ist: Sixtus V., der diese Räume geschaffen, der gelehrte Kardinal Angelo Mai, der als erster Bibliothekar der Welt wissensdiaftliche Methoden einführte, Kardinal Ehrle S. J., der diese Bibliothek zum Muster aller Bibliotheken machte, und, last but not least, Pius XL, der Papstbibliothekar, der dieser Sammlung seine besondere Liebe zuwendete, den modernen Katalog schuf und ihr eine Bibliothekarschule angliederte. Wiederholt hat er die Hörer dieser Schule bei sich empfangen und stets hatte er ein Scherzwort für sie auf den Lippen. Einmal meinte er, als Bibliothekar hätte er es leichter gehabt wie als Pontffex, denn ein Buch, das man auf seinen Platz gestellt habe, bleibe auch dort, während die Menschen ..., dann aber korrigierte er sich: „Nein, nein, die Bücher sind wie die Menschen: auch von diesen stehen manche auf dem Kopf.

Aber stehen die Männer, denen heute die Bibliothek anvertraut ist, so weit hinter jenen Großen zurück? Da ist, um nur einige zu nennen, vor allem der greise, gelehrte Bibliothekar Kardinal Mercati selbst, dessen Name als Historiker wohl weltbekannt ist, dann der Präfekt der Bibliothek, P. Anselm Albareda O. S. B., dessen Werke über spanische Geschichte und spa-nisdie Spiritualität und dessen Bibliographie der Regeln des heiligen Benedikt allen Fadv kreisen bekannt sind, der im Vorjahre ernannte Vizepräfekt De Vreesse, der größte lebende Forscher byzantinischer Handschriften, Monsignore Pelzer, der berühmte Kenner mittelalterlicher Scholastik, der Orientalist Kanonikus Lantschoot, Don Borina, der Verfasser der Geschichte von Montecassino und noch so viele andere.

Was macht die „Vaticana“ zur unbestritten ersten Bibliothek der Welt? Sicherlich nicht die Anzahl ihrer Bücher, denn ihre 700.000 Bände nehmen sich gegenüber den fünf Millionen der Library of Congress in Washington aber auch gegen das British Museum oder die Pariser Nationalbibliothek recht bescheiden aus. Auch ihre 8000 Inkunabeln sind nodi lange kein Rekord, denn hierin wird sie von München und Leipzig (oder was von diesen übrigblieb) übertroffen, und ebenso nicht ihre 65.000 Manuskripte. Ihre große Bedeutung liegt im hohen Alter und der besonderen Seltenheit eines großen Teils ihrer Bestände. Wir finden einzigartige Handschriften in syrischer, hebräischer, arabischer, koptischer, armenischer und altägyptischer Sprache aus allen Wissensgebieten. Um den Laien einen Begriff zu geben, seien das weltbekannte, mit herrlichen Miniaturen bedeckte Vergilius-Manuskript aus dem 4. Jahrhundert, das eigenhändige Manuskript Petrarcas seines „Canzoniere“, die verschiedenen mit Miniaturen geschmückten Dante-Handschriften, die Bibelmanuskripte aus den ersten Jahrhunderten der Kirche oder aber die drei Gutenberg-Bibeln erwähnt, die einzigen Exemplare, die sich noch in Europa befinden, wovon zwei auf Pergament gedruckt! (Amerikanische Museen zahlten bereits vor 20 Jahren für ein Exemplar auf Papier gedruckt 25.000 Dollar.).

Der Krieg war natürlich Neuerwerbungen wenig günstig; auch Italien war vom Auslande abgeschnitten. Immerhin gelang es, in den Jahren 1938 bis 1946 die Bibliothek um 60.000 Werke zu bereichern. In dieser Zahl sind einige Privatbibliotheken von großem Werte enthalten, so die Bibliothek des Kardinals Merry del Val, die juridische Bibliothek des Professors Segre, die Musikalien Monsignore Casimiris und andere. Eine wertvolle Bereicherung bildeten die Bücher und Manuskripte aus dem Nachlasse des großen Kunsthistorikers Kardinal Ernst Steinmann, die sich sämtlich auf Michelangelo beziehen. Die Zahl der im Krieg erworbenen Manuskripte beträgt 250; ein besonderes Interesse besitzen Autogramme Michelangelos und zeitgenössische Dokumente über seine Person, Briefe Pier delle Vignes in einer ^Abschrift aus dem 13. Jahrhundert, einige dem Carlo Maratta zugeschriebene Porträts von Persönlichkeiten, die aus Siam nach Rom kamen, musikalische Autogramme Maestro Perosis und andere.

Ein überaus erfreuliches Bild zeigt das Inventar der von der Bibliothek während des Weltkrieges veröffentlichten wissensdiaftlichen Werke. Die geringere Frequen-tierung der Bibliothek gestattete eine intensivere wissenschaftliche Tätigkeit. So haben von den insgesamt 130 Bänden der bekanntesten unter der Ägide der „Vaticana“ erscheinenden Sammlung „Studi e Testi“ allein 50 Bände während des Krieges die Druckerpresse verlassen; die letzten sechs Bände beinhalten auf 3000 Seiten Publikationen zur Feier des 80jährigen Geburtstages des Bibliothekars Kardinal Giovanni Mercati („Misceilanea Mercati“). Ebenfalls während des Krieges wurde auch eine Sammlung „Monumenta carthographica Vaticana“ begonnen, photographische Wiedergaben alter Atlanten aus dem Besitze des -Vatikans, von den bisher der erste Band erschienen ist. Zu den photographischen Wiedergaben einzelner vatikanischer Schätze haben sich im Kriege die photographische Wiedergabe der zwei alten Leihregister der Bibliothek mit den Autogrammen der Leihenden, einer großen Zahl von Gelehrten und Berühmtheiten aus den betreffenden Jahrhunderten gesellt, ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der Studien und der historischen Forschung; weiter Wiedergaben der Weltkarte des berühmten Chinareisenden P. Ricci S. J. aus dem Jahre 1602, der Siegel des Vatikanischen Archivs, der Gegenstände der vatikanischen Museen aus Elfenbein und Bein, der Miniaturen des Syriacus und andere. Für uns Österreicher sind zwei in der jüngsten Vergangenheit erschienene Veröffentlichungen von besonderem Interesse: eine Karte der Donauländer aus dem Jahre 1546 und die Reisebeschreibung des Paolo Santonino, Mitglieds einer päpstlichen Sondergesandtschaft in Steiermark, Kärnten und Krain aus den Jahren 1485 bis 1487. In den nächsten Wochen wird übrigens eine bis auf die letzten Veröffentlichungen ergänzte Neuauflage des Verzeichnisses sämtlicher Publikationen der Bibliothek erscheinen, ein Werk, das in den Fachkreisen und von den zahlreichen Verehrern dieser großartigen Sammlung mit Freuden begrüßt werden dürfte.

Wenn von der Tätigkeit der „Vaticana“ während des Krieges die Rede ist, können auch ihre Verdienste um Rettung fremder Kunstschätze nicht vergessen werden. Der Vatikan wurde als eine Stätte betrachtet, in der Kunstschätze eine relative Sicherheit genießen und so strömten von allen Seiten aus gefährdet angesehenen Orten die Bestände von Bibliotheken und Museen in die Vatikanische Bibliothek. Es würde zuweit führen, alle Sammlungen anzuführen, die hier Zuflucht fanden, es sei lediglich an die weltbekannten Schätze der Abtei von Monte Cassino erinnert, die hier Rettung vor der sicheren Zerstörung fanden. Es handelte sich bei diesen Buch- und Kunstwerten nicht nur um fachgemäße Aufbewahrung, sondern häufig auch um umfangreiche, sehr heikle Restaurierung von Schäden, die durch unfachgemäße Verpackung und Transport entstanden waren.

Die Vatikanische Bibliothek ist ein Instrument, das meisterhaft funktioniert. Im Einklänge mit der Library of Congress und anderen großen Bibliotheken hat Papst Pius XI. den Katalog in Diktionärform eingeführt, in dem alle Bücher nach ihren Autoren, nach dem Gegenstande und nach dem Titel in einer einzigen alphabetischen Serie geordnet sind und auf Grund dessen auch ein Laie ein gewünschtes Werk rasch finden kann. Die bei der Katalogisierung anzuwendenden Regeln wurden von der Vatikanischen Bibliothek in einem stattlichen Bande „Norme per il catalogo degli stampati“ vereinigt; er ist während des Krieges in zweiter, stark vermehrter Auflage erschienen und auch in verschiedene fremde Sprachen übersetzt worden. Er wird heute schon von zahlreichen Bibliotheken, auch außerhalb Italiens, als Richtlinie benützt. .

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