6576946-1950_48_10.jpg
Digital In Arbeit

Die verborgene Kunst

Werbung
Werbung
Werbung

Im Ablauf des Jahres gibt es einige „Tage“, die in einer zwischen Erinnerungsruf und Warnungstafel geteilten Funktion auf den immerhin noch vorhandenen Besitz geistiger und seelischer Güter hinweisen. Zu ihnen gehört der Tag der Kirchenmusik und erinnert, wie der Tag des guten Willens, der Tierschutztag und vor allem der Muttertag, zunächst an eine Zeit, die dieser „Tage“ nicht bedurfte, weil das durch sie Bezeichnete nicht Erinnerung, sondern lebendigste Gegenwart war, Vordergrund des Lebens und unver-drängbar aus der seelischen Haltung. Die innere Ruhe und Sicherheit jener Zeiten der Menschenwürde sind längst der Unruhe und Angst gewichen, von denen unser heutiges Erleben bestimmt ist, das nur mehr kalendermäßig, also von außen her, auf die inneren Werte gestoßen wird, deren Verlust die Menschheit in die Barbarei zurückwürfe.

Daß die Kirchenmusik in erster Linie zu jenen Gütern gehört, erhellt aus ihrer Berufung zum liturgischen Dienst, zur Mitgestaltung der höchsten sakralen Feier, ein Vorzug, den sie als einzige unter allen Künsten genießt; aus ihrer unmittelbaren Beziehung zum Religiösen also, zum Gottesdienstlichen. Freilich ist damit jene Kirchenmusik nicht gemeint, deren konzertantes Wesen sie selbst jenes Vorzugs beraubt, was allerdings stets durch die Ausführung mitbedingt erscheint.

Die Kirche selbst hat sich niemals eineT Musik verschlossen, soweit sie der Würde und Heiligkeit ihrer Aufgabe entsprach, sah sich hingegen im Laufe der Jahrhunderte wiederholt genötigt, die ins allzu Weltliche Ausgeschwärmte, durch Gesetze und Reformen ihrer heiligen Bestimmung wieder zuzuwenden. Man hat für Palestrina,, den größten Meister dieser Kunst, das Prädikat „Retter der Kirchenmusik“ geprägt, doch gab es lange vor Palestrina bereits kirchenmusikalische Reformen. Das ständige Widerspiel von Neuerung und Bewahrung,, von Fortschritt und Tradition ist hier in seiner Wechselwirkung von entscheidenderer Bedeutung als auf allen anderen künstlerischen Gebieten. Denn die Kirchenmusik muß nach den ; Forderungen der Kirche „heilig, allgemein und wahre Kunst“ sein, bei aller Entwicklung und Erneuerung daher etwas Statisches, Unveränderliches bewahren. Ihr Wesen ist im Gregorianischen Choral am vollkommensten ausgedrückt, das Verhältnis zu diesem daher ein Kriterium jeder kirchenmusikalischen Komposition. Im Spannungsfeld zwischen dem kühnsten Vorstoß in Neuland und dem äußersten Punkt des Beharrens liegen Impulse und Vielgestaltigkeit des zeitlichen, also auch des gegenwärtigen Schaffens. Mit froher Befriedigung darf sich das Werk österreichischer Komponisten an die Spitze kirchenmusikalischer Entwicklung, auch der Gegenwart, stellen. Unsere Heimat ist wieder zum Mittelpunkt kirchenmusikalischen Lebens und kirchenmusikalischer Erneuerung geworden. Vom Doyen 4er heimischen Kirchenkomponisten, Vinzenz G o 11 e r, bis zum jüngsten Pionier des Neuen, Anton Heiller, führt eine bei.aller Vielfalt der Gesichter nirgends unterbrochene einheitliche Linie der Entwicklung.

Aber, was weiß die Allgemeinheit von dieser verborgenen Kunst, die sich niemals aufdrängt, keine Reklame oder Propaganda treibt, die kein Geschäft, sondern für Schaffende und Ausführende, von außen gesehen, Opfer und Entsagung bedeutet und verlangt? Vielleicht ist sie deshalb so rein und selbstlos, des Subjektiven gleichsam entäußert, wie es von ihr gefordert wird. Auch ist sie nicht für ein „Publikum“ geschrieben, sondern für die gläubige Gemeinde, nicht kulinarischer Genuß, sondern Bestandteil der Liturgie. Ihre Wiedergabe im Konzertsaal ist unnatürlich und bedeutet um so tiefere Entzauberung, je vollkommener sie ihr sakrales Amt erfüllt. Wohl gehen immer noch mehr Menschen in die Kirchen als in die Konzerte, aber viele davon betrachten das Hochamt als „liturgisches Konzert“ und beurteilen die Kirchenmusik in diesem Sinne, also falsch. Und leider muß gesagt werden: Viele Kirchenmusiker musizieren sie in diesem falschen. Sinne. Immer noch gibt es „Einlagen“, , die mit der Kirchenmusik nicht das Mindeste zu tun haben; immer noch .liest man bei gpttesdienstlichen Aufführungen lange Listen prominenter und müiderprominentpr. Sänger und, Instru-mentalisten Propaganda anstatt Opfer, Beruf statt Berufung, Selbstsucht für Demut. Das macht die Kirchenmusik so, weltlich, nicht die Messen von Mozart und Haydn und nicht die von Schubert bis Strawinsky.

Freilich sind die großen Messekpmpo-sitionen trotz Umfang und instrumentalem Aufwand an kirchlicher Aussage oft ärmer als ein schlichtes Choralamt. Die. Kirchenmusik soll daher nicht in der einseitigen Pflege eines Stiles bestehen, vielmehr wird jeder gut geführte Chor eine Universalität erstreben, wie sie in dem unübersehbaren Schatz von Meisterwerken aller Zeiten geboten ist, und dabei der zeitgenössischen Produktion als der uns unmittelbar nächsten den ihr gebührenden Platz einräumen. Dies um so mehr, als ihm heute bereits im Editionswerk unseres tapfersten und größten Kirchenmusikverlages (Styria, Steirische Verlagsanstalt) eine Fülle echter und empfehlenswerter Kirchenmusik zugänglich gemacht ist.

Der Tag der Kirchenmusik aber soll sein: ein Tag der Besinnung auf unsere heiligste Kunst und ihre sakralen Werte, und der Vorsatz, sie, ausführend oder empfangend, vor Verweltlichung, Ver-konzertierung und damit verbundener Verflachung- bewahren zu helfen; zum andern aber sei dieser Tag ein Tag des Dankes an alle jene, die, wie etwa der Nestor der Wiener Kirchenmusik Doktor Andreas Franz X. Weißenbäck, dessen 70. Geburtstag am 26. November beziehungsvoll mit dem Tag der Kirchenmusik zusammenfällt, in selbstlos opferfrohem Dienst an dieser K u n s t eine Lebensaufgabe sehen und vollbringen, im kleinsten Dorf nicht minder als auf den Domchören, nicht nur am Tage der Kirchenmusik, sondern das ganze Jahr und das ganze Leben hindurch.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung