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Die Wiener Musikinstrumentensammlung

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Es ist keineswegs allgemein bekannt, daß Wien unter seinen zahlreichen Sammlungen an Kunstwerken und Altertumswerten auch das Kleinod einer Musikinstrumentensammlung von europäischer Bedeutung in seinen Mauern birgt. Ein Teil dieser Schätze, und zwar der jüngere Teil, wurde von der Gesellschaft der Musikfreunde aufgeschichtet, ein Bestand von 335 Nummern, welche die Gesellschaft zum Teil aus sehr alten Quellen bezog, so daß wir hier äußerst wertvolle Stücke bewundern können.

Die staatliche Sammlung wurde während des ersten Weltkrieges geschaffen. Ihren' Grundstock bildeten die Bestand der Kunstkammer Erzherzog Ferdinands von Tirol (gestorben 1596) aus Schloß Ambras, deren ältestes Inventar für das Sterbejahr des Herzogs verbürgt ist. Die zweite Quelle der staatlichen Sammlung ist der aus Liebhaberei zusammengetragene Besitz der Familie Obizzi auf Schloß Catajo bei Padua. Schon im 17. Jahrhundert begann Marchese Pio Enea degli Obizzi zu sammeln! die Instrumente kamen nach dem Tode von Tommaso Obizzi (1805) an das Haus Este zu Modena und wurden endlich 1870 den Herrschern in Wien übertragen. Diese 80 Nummern konnten an Quantität mit Köln, Berlin, Paris und Brüssel nicht konkurrieren, wohl aber an Qualität. Die Ambraser Instrumente kamen erst 1916 nach Wien.

Wie steht Wiens Instrumentenbesitz heute im Verhältnis zu dem des übrigen Europa? Die sonstigen österreichischen Bestände des Carolino-Augusteum in Salzburg, des Franzisco-Carolinum in Linz und des Ferdinandeum in Innsbruck sind nicht sehr reich. Italien besitzt in Ferrara und Venedig namhafte Schätze aus alter Sammlertradition. In Deutschland waren in dieser Beziehung Berlin und Köln reiche Schatzhäuser, der zweite Weltkrieg hat sie vernichtet. Die Kölner Sammlung von zirka 2600 Nummern, welche von dem Großindustriellen

Wilhelm Heyer (1849/1913) zusammengetragen worden war, stellte das bayrische Museum und die Besitze in der Stadt Nürnberg vollkommen in den Schatten. Nur Brüssel überragte mit zirka 3000 Nummern die Heyersche Sammlung.

Die von Heyer angehäuften Werte, die nach seinem Tode von der Stadt Leipzig aufgekauft wurden, sind nicht mehr. Nach diesen und anderen schweren Verlusten an deutschen Kulturgütern besitzt nunmehr Wien die größte Instrumentensammlung im deutschen Sprachgebiet. Unter den Wiener Unika finden wir Lauten aus dem 17. Jahrhundert, die große gotische Baßzista aus Ambras, die für Erzherzog Ferdinand gearbeitete Zista des Girolamo de Virchis, die Maria-Theresia-Geige von W. Kowansky, das Ambraser Glockenklavier und viele andere. Als Erinnerungsgegenstände an die größten Meister verwahrt Wien die Tasteninstrumente der drei Wiener Klassiker. Seltenheiten sind der Gitarrone des M. Tiefenbrucker, die Gambenterzette des Gaspar da Salo, eine Kollektion Dulciane und Krummhörner, elfenbeinerne Paukenschlägel des 16. Jahrhunderts aus kaiserlichem Besitz, chinesische Singkugeln und eine Eilfenbein-oboe.

1938 wurden die staatlichen Bestände mit denen der Gesellschaft der Musikfreunde vereinigt und im Palais Palla-vicini aufgestellt. Die Sicherungsmaßnahmen während des Bombenkrieges zersprengten aber bald diese einheitliche

Aufstellung. Derzeit finden wir nur eine Auswahl öffentlich zugänglich, jene in der Neuen Burg. Der Besuch dieser Ausstellung ist sehr lohnend. Die Betrachtung dieser Schätze ist lebendigster Anschauungsunterricht. Abgesehen von dem rein visuellen Eindruck, den wir an exotischen Formen, an geschnitzten und kunstvoll gedrechselten Instrumententeilen, an eingelegter Arbeit an den Cembali und sonstigen Tasteninstrumenten gewinnen, erschließt sich uns gleichsam die ganze Geschichte der Instrumente. Wir verfolgen die Fortbildung unserer Streichinstrumente von der Wallisischen Crewth an, wir sehen den Wandel von den alten Zinken bis zum modernen Klappenhorn, wir sehen verschiedene Liebhaberstücke, wie ein Spinett mit eingebauter Nählade für Hausfrauen. Manchmal bringt bei Führungen der Kustos der Sammlung einzelne der alten Instrumente wieder zum Erklingen. Alte Zeiten werden vor uns lebendig. Wollen wir hoffen, daß bald der gesamte Besitz an Instrumenten in Wien öffentlich zu sehen sein wird.

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