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Die Wiener Symphonie

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Hier in unserer Stadt ist sie entstanden, hier fand Haydn den Übergang vom strengen kontrapunktisch gebundenen Stil zur freien melodischharmonischen Satzweisej hier schufen die großen Meister des 18. und 19. Jahrhunderts — und hier starb vor knapp zehn Jahren ihr letzter großer Meister, Franz Schmidt. Mozarts symphonische Form geht kaum über die seiner großen Vorbilder hinaus. Das Neue war eine verfeinerte, sensitivere Melodik und die individuelle Behandlung, die Beseelung der Orchesterstimmen. Unter seinen 47 Symphonien ragen die drei Meisterwerke des Jahres 1788 hervor, die in dem unvorstellbar knappen Zeitaum von zwei Monaten entstanden sind: die Symphonien in Es-dur b-moll und C - d u r. Immer wieder wollte man ihren Charakter mit Schlagworten umschreiben: die erste als Mozarts „Schwanengesang“ oder die sonnig-heitere, die zweitei als die tragische, die dritte als die der olympischen Klarheit und Vollendung („Jupitersymphonie“). Hört man die drei Mcistersym- phonien in einem Konzert nacheinander, so treten mehr als die stimmungsmäßigen Gegensätze ihre schwesterlich-gemeinsamen Züge zutage: die sinnliche Anmut des Rokoko, der handwerksmeisterliche Geist des Barock, die Reinheit und Größe der frühen Klassik. Dunkle und helle Farben (die man allerdings nicht mit Moll und Dur verwechseln darf), Weitläufiges und Hintergründiges erzeugen jenes Zwielicht, das für Mozarts Kunst so überaus charakteristisch ist. Wir hörten die drei Symphonien in einem Konzert der Wiener Symphoniker unter Karl Böhm. Ein klare Disposition, richtige Zeitmaße und eine gewisse Präzision mögen anerkannt werden. Alles andere: Nuancen Zwischentöne und Beseelung fehlten vollständig. Man hatte den Eindruck, daß sich das Orchester nach gründlichen Proben auch ohne Dirigenten ganz gut geholfen hätte.

Es wäre vermessen, in wenigen Zeilen sagen zu wollen, was in der Reihe der großen klassischen Symphonien Beethovens IX. bedeutet: musikalisch — als das letzte Werk des größten Meisters der klassischen Symphonie, geistesgeschichtlich als Nachklang der Ideen der idealistisch-individualistischen Philosophie und ihrer Überwindung in dem Durchbruch vom Ich zum Wir, zur Menschheit, zum Göttlichen. Beethoven selbst hatte seiner Neunten nicht jene Ausnahmestellung zuetkannt wie die spätere Zeit. Wir wissen aus der Entstehungsgeschichte der Symphonie, daß die Einbeziehung der Menschenstimmen im letzten Satz nicht von Anfang an vorgesehen war, daß gerade dieser letzte Satzt dem die Sym phonie ihre Ausnahmestellung verdankt, Beethoven nicht voll befriedigte, ja daß er an eine rein instrumentale Umformung dachte und daß er eine X. Symphonie plante, die ein Bekenntnis zu Bach sein sollte und in welcher er sein letztes, endgültiges Wort zu sagen beabsichtigte. Doch vergessen wir auch die vorausgehenden Teile nicht! Die gewaltige Dramatik des ersten Satzes, die schon Bruckner vorwegnehmende rhythmische Vitalität des Scherzos, die fast redende Ausdruckskraft des Adagios: Die Verbindung des Extrem-Individuellen mit dem Notwendig- Natürlichen der musikalischen Form verleihen jeder Aufführung der Neunten etwas Festliches und Aufregendes, im äußersten Falle etwas Sensationelles. Wie werden der Dirigent das Orchester, der Chor, die Solisten vor dem Riesenwerk bestehen? Herbert von Karajan dirigierte die Philharmoniker und den Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde. E. Schwarzkopf, E. Höngen J. Patzak und Hans Hotter waren die Solisten. Wir hörten eine gründlich studierte, eindrucksvolle Aufführung. Alle Details waren von kaum zu überbietender Präzision und Ausdrucksgewalt. Ohne als Musiker einen Einwand machen zu können, wurde manchem der Gesamteindruck dadurch getrübti daß die Persönlichkeit des Dirigenten zuweilen vor die gewaltige Gestalt Beethovens trat. Möglicherweise ohne Absicht Jedenfalls hat es Zuhörer gegeben — zu denen auch der Referent zählt —, die ihr Urteil in die unbeholfenen Worte kleideten: ihnen sei bei dieser Aufführung „nicht warm“ geworden.

Um wieviel komplizierter und problematischer die symphonische Form und ihre Meister geworden sind, möge man schon daraus ersehen, daß Mozart seine drei Symphonien in zwei Monaten schrieb, Bruckner zu seiner Achten volle fünf Jahre brauchte. Die Ausdehnung der einzelnen Sätze mit ihrer gewaltigen Tonarchitektur erklärt diesen Unterschied nur zum Teil. Auch dieses Werk ist ein Prüfstein für Dirigenten und Orchester. Josef Krips ging an seine Aufgabe mit einer gewissen Unbefangenheit und natürlichen Musikalität, ohne an die Hintergründe des Werkes zu rühren. Sein Klanggefühl entzündet sich an der seelenvollen Melodie und an der leuchtendprunkenden Harmonik. Ihm und den Symphonikern gelang auf diese Weise eine schöne im ganzen befriedigende Aufführung, die nicht gerade überwältigte aber auch keine grundsätzlichen Einwände auslöste.

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