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Die Wohnung des Steinzeitmenschen

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Man ist gemeinhin gewohnt, den Menschen der Altsteinzeit, des „Paläolithikum“, als Höhlenbewohner anzusprechen, doch liegt es nahe, daß er auch andere Wohnungen benützt haben müsse. Denn Höhlen fehlen in manchen Gebieten, die- urgeschichtliche Hinterlassenschaften geliefert haben, gänzlich und kommen in anderen nur spärlich vor. Die Forschungen der letzten Jahre haben nun unsere bisher sehr dürftigen Kenntnisse in dieser Richtung nicht unwesentlich erweitert.

Schon im Jahre 1920 hat J. Bayer in Langmannersdorf am Perschling, Gerichtsbezirk Herzogenburg, bei Ausgrabungen die Grundrisse von Bauten festgestellt, die man wohl als prähistorische Wohnanlagen bezeichnen muß Sie gehören dem Aurignacien und somit dem jüngeren Abschnitte der Altsteinzeit, dem Jungpaläolithikum an. (Dr. R. Pittioni, Urgeschichte, S. 136. Wien, 1937, F. Deuticke.) In den Jahren 1932 bis 1935 hat dann O. Skala in Ober-Thumeritz, Gerichtsbezirk Geras, d-ei Grabungen bis auf den in 175 Zentimeter Tiefe anstehenden Felsen niedergebracht Allerdings hat Skala den von ihm angeschnittenen Schichtenverband nicht zu-

treffend beurteilt. Es handelt sich keineswegs um Abfallgruben, sondern um typische Grubenwohnungen des paläolithi-schen Jägers. 9o hat offenbar eine vom Urmenschen aufgegebene und dem Verfalle überlassen e Wohngrube ausgesehen. Auch diese Funde gehören, entgegen der Ansicht des Ausgräbers, dem Aurignacien, nicht dem grobgerätigen Mesolithikum, an. („Mitteilungen der anthropologischen Gesellschaft“, Wien, 1937, S. 156 st.) Zu den Fundumständen von Ober-Thumeritz hat übrigens auch F. Kießling, wenn auch nach anderer Richtung hin, Stellung genommen. Er bezweifelt nämlich die ursprüngliche Lagerung der gefundenen Kohlenreste, Knochen und Silices in den angegebenen Tiefen. (A. a. O., S. 351 st.) Man versteht diese Stellungnahme Kießlings, wenn man weiß, daß Kießling das Wort „Plateaulehm des Waldviertels“ geprägt hat. Er versteht darunter einen Lehm, der sich durch Zersetzung des Untergrundes gebildet hat, so daß sich nur in oberen Partien desselben Petrefakte finden können. Es gibt solchen Eluviallehm, aber lji dem in Betracht kommenden Gebiete überwiegen weit die tertiären Schwemmlehme, so daß Kießlings Einwand nicht stichhältig ist. In den

Schichten von Ober-Thumeritz wurden Kohlenreste von Zirbelkieferholz festgestellt, einer Charakterpflanze, die in der Krummholzregion bei einer Jahrestemperatur von 5 bis 2 Grad Celsius gedeiht.

Viel Licht ist in die bisher fast ungeklärte Wohnkultur der Altsteinzeit durch umfangreiche Grabungen in russischen Fundgebieten gekommen. Obenan stehen da die gesicherten Funde von Wohngruben auf dem jungpaläolithischen Siedlungsplatze Timonovka bei Briansk an- der Dfcsna, die uns eine ziemlich genaue Vorstellung von der Wohnkultur dieses Zeit-absdanittes geben. Die hier aufgedeckten Wohnbauten sind rechteckige Gruben von 6 bis 12 Meter Länge und je zirka 3 Meter Breite und Tiefe. Die senkrechten Wände lassen Spuren von Holzverkleidung erkennen. Sie hatten ein aus Querbalken gebildetes flaches Dach, auf welchem eine 20 Zentimeter dicke Erdschichte lag. Zwei von den aufgedeckten Gruben waren heizbar, an einer derselben wurde ein aus Lehm und Rindenstücken hergestellter Rauchabzug in Form eines Kegelstumpfes festgestellt. In das Innere gelangte man durch einen gedeckten, einen Meter breiten Gang, der ohne Stufen in die Tiefe führte. Gegenüber dem Eingange lag der Herd. Andere Wohngruben hatten den Herd an der Schmalseite des Baues im Freien. Zu jeder Wohngrube gehörten eine oder zwei kegelförmige Vorratsgruben mit einem oberen Durchmesser von 3,50 bis 4 Meter und einer Tiefe bis zu 2,80 Meter. Bei zwei Wohngruben fanden sich Werkplätze des Urmenschen mit Steinunterlagen (Ambossen), Schlagsteinen, mehr oder minder fertigen Feuersteingeräten und Abfallstücken. Die Stufe von Timonovka ist gleichzeitig mit dem mittleren Magdalenien Mitteleuropas anzusetzen.

Etwas älter sind die Gemeinschartshäuser von Kostjenki (I und IV) und Puskari (I). Ersteres liegt am Don. südlich von Woro-nesch, letzteres im Gebiete von Czern:gow am rechten Ufer der Desna. Diese Gemeinschaftshäuser standen in flachen Mulden und waren bis zu . 40 Meter lang und 17 Meter breit. Sie weisen, gewöhnlich in der Längsachse liegend, mehrere — bis zu acht Herde auf, die überwiegend mit Knochenasche gefüllt sind. Es kann daher kein Zweifel darüber sein, daß fast ausschließlich tierische Knochen als Brennmaterial Verwendung fanden. Wiederholt fand man um die Herde abgebrochene Knochen des Mammuts mit den Gelenkspfannen nach oben in den Boden gesteckt, welche somit zweifellos als Gefäße Verwendung fanden. Es wurden feiner zahlreiche runde, bis 1 Meter breite Öffnungen bloßgelegt, die sich als Kochgruben oder Werkstoffgruben erwiesen haben. Nicht besonders tiefe, k'ine, über den ganzen Wohnplatz verstreute Gruben waren gewiß Pfostenlöcher für die Dachstützen. Diese letzteren wurden durch große Knochenstücke im Erdreich verkeilt, eine Beobachtung, die auch in Langmannersdorf gemacht wurde.

Es ist nun sehr aufschlußreich, daß sich um das Gemeinschaftshaus von Kostjenki I ein förmlicher Ring' von zugehörigen Wohn- und Vorratsgruben findet. Sie liegen 4 bis 5 Meter voneinander entfernt und weisen verschiedene Größen auf. Die Wohngruben sind Dopp-dkammern, deren eine zwei Herde aufwies. Die Vorratsgruben haben einen gegen das Gemein-schafeshaus gerichteten Stufeneingang. Es handelt sich also bei der ganzen Siedlung um eine planmäßige Anlage. Sie muß von einer größeren, bereits weitgehend seßhaften Jägergruppe bewohnt worden sein. Auch die Deutung ist naheliegend, daß es sich bei dem Gemeinschaftshaus um die Sommerwohnung, bei den Wohngruben um die Winterquartiere handelt. Die Stufe Kostjenki I gehört dem späten Aurignacien an, ist also mit den niederösterreichischen Fundplätzen von Willendorf, Krems und Drosendorf fast gleichaltrig und ergänzt unser Wissen um diese.

Reste von solchen Wohngruben wurden in ziemlicher Anzahl verschiedentlich festgestellt, darunter eine mit aufrechtstehen-den Steinplatten und Mammutknochen als Wandstützen in Gagarino am Don. (Quartär, IV. Bd , S. 125 ff.)

Schließlich wurden in dem slowakischen Fundorte Morovany im Waagtale zwei Hüttengrundrisse im kleineren Ausmaße von 2.50 X 1,40 Meter gefunden, die ebenfalls dem Aurignacien angehören.- Auch hier hat man die Zirbelkiefer in den Kohlenresten festgestellt. (A. a. O., S. 193 ff.) Man darf dies als neuen Beweis dafür an-

sehen, daß das Aurignacien aus dem Osten nach Mitteleuropa gekommen ist. Das Vorhandensein solcher Wohngruben im jüngeren Paläolithikum ist aber auch deshalb von großem Interesse, weil sie sich auch im älteren Neolithikum finden, so daß ein ununterbrochener Kulturverlauf zwischen diesen beiden Abschnitten der Menschheitsgeschichte nicht mehr angezweifelt werden kann. Von einem zeitlichen Abstand zwi-

schen Paläolithikum und Neolithikum kann daher keine Rede mehr sein.

Diese verschiedenen Hüttenanlagen des Jungpaläolithikums haben, soweit dies die erhaltenen Reste noch erkennen lassen, die größte Ähnlichkeit mit d;n Wohnbauten der Eskimo und ähnlicher Völkergruppen, besonders der Binnen-Selisch, deren Lebensverhältnisse denen der Jungpaläolithi-ker annähernd gleichen.

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