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Die zauberhafte Quell

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Vor einigen Wochen fand, etwa 12 Kilometer westlich von Jerusalem und 200 Meter von der Hauptverkehrsstraße nach Tel Aviv entfernt, eine kleine Feier statt: die israelische Nationalparkbehörde hatte zur Eröffnung einer neuen Parkanlage eingeladen, die den römischen Namen Aqua B e 11 a trägt und die an einer Stelle liegt, die sich auch in dem an religiösen und historischen Erinnerungsstätten so reichen Heiligen Lande durch eine besondere Fülle solcher Reminiszenzen auszeichnet: Kanaa-niter, Juden, Römer, Araber, Kreuzfahrer und Türken haben hier auf engstem Raum ihre Spuren hinterlassen. Heute leben hier jüdische und mohammedanische Bauern friedlich miteinander und mit den Geistlichen der benachbarten katholischen Kirchen.

Im alten Zeiten ging es hier allerdings nicht ganz so friedlich zu: vor etwa 3200 Jahren karn Josua, der Nachfolger Mosis, in diese Gegend, deren geographisch-strategische Lage seit Urzeiten bis zum heutigen Tage von ganz besonderer Bedeutung ist: Hier endet der Engpaß, der von der Küstenebene zum judäischen Hochland führt, auf dessen steilster Kuppe die Hauptstadt des Landes, Jerusalem, liegt. Von den durch Jasua eroberten Ortschaften sind zwei erwähnenswert: Kirjat-Jearim und Moza. Von der ersten, der „Waldstadt“, sind keine Reste erhalten, aber man weiß aus der Bibel, daß sich dort ein kanaanitisches von Josua zerstörtes Baalsheiligtum befand. An seiner Stelle erhebt sich heute eine zu Anfang unseres Jahrhunderts errichtete katholische Kirche, die den bezeichnenden Namen Notre-Dame de l'Arche d'Alliance trägt — Unsere Liebe Frau zur Bundeslade, denn es war hier, daß die Bundesüade, das Wanderheiligtum der Israeliten, in dem sich auch die Gesetzestafeln befanden, für 20 Jahre einen 'provisorischen Stämdort fand, bis sie dann etwa im Jahre 1000 vor Christi durch König David unter dem Jubel des Volkes nach Jerusalem gebracht wurde.

Ein anderer von Josua eroberter Ort ist das benachbarte Moza, das heißt der Ausgang, nämlich der westliche Ausgang von Jerusalem. Hier sieht man die spärlichen Reste eines alten Palastes im herodiani-schen Stil. Der arabische Name von Moza, „Das Schloß des Königs der Juden“, besteht also zu Recht, und dieser König war kein anderer als der prachtliebende Bauherr Herodes der Große, der von drei bis vier vor Christi regierte. Heute ist Moza ein malerisches Dörfchen, und zwar die schon 1859 gegründete und damit erste jüdische landwirtschaftliche Siedlung in dem damals türkischen Palästina. An Stelle eines Königs-palastes erhebt sich dort ein Erholungsheim der jüdischen Arbeitergewerkschaft. Tempora mutamtur.

Nicht weit von Moza, aber durch eine tiefe Talschlucht getrennt, befinden sich die Reste des arabischen Dorfes Kalunja. Hinter diesem Namen verbirgt sich das alte römische Colonia, ein Militärstützpunkt, dem die Sicherung der Straße nach Jerusalem oblag. Ein anderer römischer Müitärposten befalnd sich auf einem benachbarten Berg, bis heute Kastell, das ist Castellum, benannt und mehr nach Westen ein dritter, dessen lateinische Bezeichnung nicht erhalten ist und der den hebräischen Namen Kirjat-Anawim trägt (auf arabisch Karjat-el-Anab — so ähnlich sind sich die beiden semitischen Sprachen!). Beides heißt die Traubenstadt. Waldstadt und Traubenstadt — das deutet auf eine Oase der Fruchtbarkeit in dem sonst so kahlen judäischen Hochland schon in alten Zeiten. Auch heute zeichnen sich das arabische Dorf Karjat-el-Anab, jetzt Abu-Gosch genannt, und der ihm gegenüberliegende, 1920 ger gründete Kibbuz Kirjat-Anawim durch dichte Waldungen und blühende Obstpflanzungen aus.

Die Fruchtbarkeit dieser Gegend muß auch die Kreuzfahrer angelockt haben, und es waren die Mitglieder des Benediktinerordens, die innerhalb der Gelbmarkung des heutigen arabischen Dorfes gleich zwei Klöster errichteten — für Mönche und'Nonnen. Auch hier, wie so oft im Heiligen Lande, bauten sie auif den Grundlagen, die frühere Eroberer oder Bewohner hinterlassen hatten. Im Kellergeschoß des Mönchsklosters befindet sich nämlich ein Stein mit der Inschrift VEXIL-LATIO LEG (ionis) X FRE (tensis), das heißt nichts anderes, als daß dort einmal die Fahnenkompanie der berühmtem römischen Zehnten Legion kaserniert war, jener Legion, deren Rekrutierungsbezirk die Gebiete rings um die Straße von Messina (fretum) umfaßte und die sich im Jüdischen Krieg der Jahre 66 bis 70 nach Christi bei der Belagerung Jerusalems und der Zerstörung des Tempels besonders ausgezeichnet hatte. Es ist dieselbe X. Legion, die dann später in das befestigte Lager von Vindobona verlegt wurde. Die Reste eines römischen Wachtturmes an der Ecke Rabensteig und Seitenstetten-gasse, ganz nahe der Alten Synagoge, geben noch heute Zeugnis davon. Les extremes se touchent.

Die Kirche des Mönchsklosters, in spätromanisch-frühgotischem Stil erbaut, wurde dann von den Mohammedanern teilweise zerstört und erst 1899 mit französischer Hilfe wiederaufgebaut. Wie schon vordem erwähnt, trägt das Dorf nicht mehr seinen ursprünglichen Namen, sondern den einer arabisch-moslemischen Familie, Abu-Gosch, die sich dort nach der Eroberung Palästinas durch die Türken im Jahre 1517 ansiedelte und die sich bald nicht nur die Herrschaft über das Dorf und seine Umgebung, sondern vor allem über die von Jaffa nach Jerusalem führende Straße anmaßte und von christlichen und jüdischen Pilgern einen Wegzoll erhob. Der Einfluß der Familie Abu-Gosch war so mächtig, daß sich ihm auch die türkische Regierung beugen mußte. Das ging sogar so weit, daß, als in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts so hochgestellte Persönlichkeiten, wie etwa die Kronprinzen von England und Preußen und im Jahre 1869 Kaiser Franz Joseph, das Heilige Land besuchten, der Sultan gezwungen war, den Wegzoll, der in diesem Fall natürlich besonders hoch war, aus seiner Privatschatulle zu begleichen. Franz Joseph schreibt in seinen entzückenden tagebuchartig geführten Briefen an Kaiserin Elisabeth über seinen Besuch in Abu-Gosch am 11. November 1869: „Sehr bald (nach dem Abmarsch aus Jaffa) begegneten wir dem Kronprinzen von Preußen mit seiner Karawane und begrüßten uns nur kurz“ und fährt am 13. fort: „Nachdem wir die Preußen überstanden hatten (die bittere Erinnerung an den Krieg von 1866 klingt hier noch nach) setzten wir unseren Marsch fort... Durch einen engen Gebirgspaß mit vielen und großen Olivenbäumen, der vom Monde romantisch beschienenwar, stiegen wir weiter und langten endlich um halb 9 Vhr bei dem für uns, in der Nähe des Dorfes Abu-Gosch, aufgeschlagenen Lager an... Nach dem Diner wurden mir... die Haupt Schelks (Chefs)... vorgestellt, die ich nach einem kurzen cercle mittels Dolmetsch, gnädig entließ. Jeder von diesen Leuten hat eine Menge Morde und Verbrechen auf dem Gewissen, es smd aber doch sehr noble und einflußreiche Leute.“

Heute, fast genau 100 Jahre, nachdem diese Worte geschrieben wurden, darf der Chronist mit Befriedigung feststellen, daß Morde und Verbrechen in Abu-Gosch nicht häufiger sind als anderswo und daß die dortige Bevölkerung zu den loyalsten Bürgern des Staates Israel seit seiner Begründung zählt. Aus diesem Grunde hat auch die Jerusalemer Chorvereinigung, die aus Musikliebhabern besteht und die sich die Pflege der klassischen Vokalmusik zum Ziele gesetzt hat, die alte Benediktinerkirche von Abu-Gosch mit Erlaubnis und der tätigen Mithilfe des dortigen Pfarrers zum Schauplatz ihrer alljährlich einmal stattfindenden Festkonzerte gemacht. Im letzten Jahre wurde zum ersten Male im Staate Israel Bachs Matthäuspassion zu Gehör gebracht. Bei dieser Gelegenheit' beendete der Pfarrer seine Begrüßungsansprache mit den schönen und tiefempfundenen Worten:

„Es ist etwas Wunderbares und Tröstliches um die Tatsache, daß hier ein protestantisches Oratorium in einer katholischen Kirche, die sich in einem mohammedanischen Dorfe befindet, von Juden und vor einem beinahe ausschließlich jüdischen Publi-kum aufgeführt wird.“

Von demselben Geist der Versöhnlichkeit zwischen den Angehörigen verschiedener Religionsbekenntnisse im Heiligen Lande zeugte die eingangs erwähnte kleine Feier, die umlängst, ein paar hundert Meter von der Benediktinerkirche entfernt, stattfand. Die Stelle heißt im arabischen Volksmund Ikbala, und das ist wiederum nichts anderes als das lateinische Aqua Bella — Schönes Wasser, im Hebräischen dagegen Ejn Chemed — die zauberhafte Quelle. Der Ort ist in der Tat bezaubernd: aus gelbem Sandstein entspringt das Wasser und fällt in Kaskaden in ein weites Becken, an dessen Rand sich die mächtigen Ruinen des ehemaligen Klosters der Benediktinerinnen erheben. Die israelische Nationalparkbehörde hat durch Anpflanzung von Bäumen und Rasenflächen und durch die Anlage von Wegen und Pfaden und letztlich durch die Wiederherstellung des früheren Refektoriums einen Platz der besinnlichen Erholung und freundschaftlichen Begegnung für Juden, Christen und Mohammedaner geschaffen. Mit Recht konnte der Vorsitzende der Nationalparkbehörde, der frühere israelische Generalstabschef und weltbekannte Archäologe, Professor Jlgael Jadin, in seiner Eröffnungsansprache die Kreuzfahrer für ihr besonderes Talent loben, die schönsten Plätze des Landes ausfindig gemacht und ihrem Zweck zugeführt zu haben.

Die Zeiten und die Zwecke haben sich gewandelt, und alte Feindschaften weichen, den Bemühungen .um gegenseitiges Verständnis. Heuer folgt Pfingsten unmittelbar dem jüdischem Schawuot-Feste wie Sonne auf Mond und Mond auf Sonne, auf deren Ablaufbahnen die Kalender dreier großer Religionen: Judentum, Christentum und Islam, basiert sind. Schawuot ist der Offenbarung Gottes am Berge Sinai, Pfingsten der Ausgießung des Heiligen Geistes geweiht. Beide Feste entspringen dem gleichen Fels: Ejn Chemed, Aqua Bella, Akbila — eine zauberhafte Quelle.

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