"Die Zeichnung ist ein Urschrei"

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Die Sammlung Krugier-Poniatowski in der Albertina: Eine Hommage an die Opfer und eine sehr spezifische Grafik-Auslese.

Schlimme Lebenserfahrungen bleiben niemandem erspart. Manche davon lassen sich relativ einfach wegstecken, an manchen hat man ausgiebiger zu kauen und manche brechen als ausgewachsene Katastrophen herein. Jede dieser Erfahrung verlangt nach Strategien der Überwindung und der Aufarbeitung, um wieder eine neue Lebensperspektive zu erringen.

Eine mit nichts vergleichbare Katastrophe brach über den halbwüchsigen Jan Krugier während der Nazizeit herein. Die Eltern und der Bruder werden Opfer des Holocaust, er selbst entgeht diesem Schicksal im allerletzten Moment. Seine Art, mit diesen traumatischen Erfahrungen umzugehen, mündete in eine intensive Beschäftigung mit Kunst. Zuerst als Künstler, dann als Kunstberater und Galerist und schließlich gemeinsam mit seiner Frau als äußerst umsichtiger Sammler grafischer Werke. So sieht Krugier die nun in der Albertina gezeigte Sammlung als "eine bescheidene Hommage an die Opfer des Holocaust" an. Es stellt sich ein neuer Blickwinkel ein, die Kunst kann sich als das entfalten, was sie ist, sie wird zum Lebensmittel.

Auslese aus 150 Jahren

Die Ausstellung bietet einen Überblick über hundertfünfzig Jahre Geschichte der Kunst, und zwar jenen Ausschnitt, der nach wie vor für das Denken und die Probleme unserer Zeit der entscheidende Impulsgeber war. Und es ist auch nicht eine Anhäufung künstlerischer Werke, in der Hoffnung, dass sich daraus höhere monetäre Werte entwickeln würden. Es ist eine mit geschickter Hand und noch mehr mit präzisem Auge zusammengetragene Auslese an Meisterwerken. Krugier bemerkt auf die Frage nach seinen Auswahlkriterien: "Gemeinsam ist den Arbeiten eine innere und zeitlose Qualität, eine allgemein gültige und zugleich einzigartige Sicht der Welt und der Dinge. In gewisser Weise war es auch eine Reise in unser Innerstes, eine leidenschaftliche Suche nach unseren Vorlieben und künstlerischen Ansprüchen, die nicht so sehr den üblichen Kriterien der Kunstgeschichte folgten, sondern eher dem Motto Sehen ist Wissen'." Gerade die Kombination aus einer mit Leidenschaft vollbrachten Sammlung, die trotzdem keine wichtige Station für den Sammlungszeitraum auslässt und kluge Schwerpunkte setzt, macht den Reiz dieser Präsentation aus.

"Sehen ist Wissen"

Neben der geschickten Hängung, die Einblicke in den geschichtlichen Entwicklungsstrang der Kunst gewährt, erzeugt die Unmittelbarkeit der künstlerischen Technik der Zeichnung eine angenehme Betroffenheit, wie auch Marie-Anne Krugier-Poniatowski ausführt. "Die Zeichnung ist ein Urschrei, sie spricht zu uns in einer Sprache des Unbewussten, die sich ständig erneuert. Das Unausgsprochene ist in ihr so stark spürbar, dass sie uns erlaubt, das Dargestellte zu bezeichnen' und uns gleichzeitig darüber hinwegzusetzen. Die Zeichnung legt das Innerstes bloß und lässt daher keine Täuschung zu." Was man aus den Kritzeleien während eines Telefonates aus eigener Erfahrung kennt, gilt bei den großen Könnern der Technik umso mehr.

Und sie sind auch alle versammelt, die großen Könner der Zeichenkunst. Mit Goya eröffnet einer der großen Ahnherren der Moderne am Ende des 18. Jahrhunderts den Reigen, seine zeichnerischen Schilderungen der menschlichen Abgründe besitzen auch heute noch volle Gültigkeit. Mit Ingres und Delacroix wird den Besuchern der Streit um die größere Wichtigkeit von "Linie" oder "Farbe" direkt vor Augen geführt. Turners innovative Sicht auf die Natur trifft auf die "Plein-Air-Maler", die im Freien, vor dem Motiv hinter den Lichtreflexionen her waren. Andererseits bietet das 19. Jahrhundert aber auch den realistischen Blick auf den tristen Alltag sozialer Randgruppen, der Arbeitswelt und dem ländlichen Leben, wie man vor allem bei Millet, Courbet und Daumier nachvollziehen kann.

Verdichtung des Sichtbaren

Mit Arbeiten von Seurat begann 1968 die Sammlung, die von Seurat vorgenommenen Verdichtungen des Sichtbaren nehmen erst durch die Imaginationskraft des Betrachters ihre volle Form an. Cézanne kümmert sich nicht um ein Abbild des Motivs, sondern analysiert dessen Struktur mit Zylinder, Kugel und Kegel. Durch Matisse ist auch ein Großmeister der klassischen Moderne prominent vertreten. Trug ihm seine zutiefst antiklassische Haltung in der Frühzeit den Titel des "Wilden" (Fauve) ein, so avancierte er später zur Symbolfigur einer ornamentalen Malerei im besten Sinn des Wortes. Seine zur höchsten Perfektion gesteigerten Linienzeichnungen führten schließlich zu den "Papiers découpés", Papierschnitten, was Matisse als "mit der Schere zeichnen" bezeichnet hat. Picasso ist mit Arbeiten aus allen seinen unterschiedlichen Stilperioden vertreten. Mit Bacons Papstbild, das auf Velázquez Bezug nimmt, schließt sich wieder die Klammer zum Ausgangspunkt im Spanien des Francisco Goya. Die vorgestellten Blickweisen auf die Wirklichkeit sind mitunter sehr gegensätzlich, dennoch hat jede Art ihre überzeugenden Aspekte. Gerade weil hier kein Einheitsbrei, der auf eine fade Realität schließen ließe, präsentiert wird, gilt das Motto, dass Sehen Wissen ist, umso mehr.

Von Goya bis Picasso

Meisterwerke der Sammlung

Jan Krugier und Marie-Anne

Krugier-Poniatowski

Albertina, Albertinaplatz 1, 1010 Wien

Bis 28. 8. tägl. 10-18, Mi 10-21 Uhr

Katalog: Klaus A. Schröder, Christine Ekelhart (Hgg.), Goya bis Picasso. Meisterwerke der Sammlung Jan Krugier und Marie-Anne Krugier-Poniatowski, Wien 2005, 415 Seiten

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