Die Sechsundsechzig Jahre des Lebens der Malerin Maria Anna Angelika Katherina Kauffimann, die am 30. Oktober 1741 in Chur, der Hauptstadt des Kantons Graubünden, als einziges Kind des aus dem Bregenzerwald stammenden Malers Josef Johann Kauffimann und seiner Frau, einer Einheimischen namens Cleophas Luiz oder Lucin, gebaren wurdeį umspannen eine erregende Zeit europäischer Geschichte. Als sie das Licht der Welt erblickte, stand Maria Theresia gerade im Bündnis mit England und den Niederlanden gegen Frankreich, Spanien, Preußen und Bayern im österreichischen Eiibfcflgekrieg, der Österreich zwar die Grafschaft Gflatz und ganz Schlesien kosten sollte, Frankreich aber schließlich um seine nordiamerilkanischen Besitzungen brachte. Als sie starb, am 5. November 1807 in Rom, war der große Korse Napoleon auf dem Höhepunkt seiner Macht angelangt, die Schlachten bei Austerlitz, Jena und Auerstädt waren von ihm siegreich geschlagen worden, und Kaiser Franz der II. hatte seine Kaiserkrone niedergeleigt. Dem Zeitalter des Rokoko und der Aufklärung war der Donnerschlag der ganz Europa erschütternden Französischen Revolution gefolgt, und der Klassizismus in der Kunst schickte sich gerade an, in die Romantik überzugehen, beziehungsweise in ihr einen Widerpart zu erhalten. Jean Antoine Houdon, der große französische Bildhauer, wird im selben Jahr wie Angelika geboren, es ist gleichzeitig das Todesjahr von Johann Josef Fux, dem bedeutenden österreichischen Komponisten und Musiktheoretiker. Die begabte Musikerin wächst mit der Musik von Rameau, Bach, Händel und Mozart, den sie um 16 Jahre überlebt, heran, und Goethe gibt nach 1788 ihr zu Ehren in Rom „ein entzückendes Konzert in einer lieblichen Sommernacht“ von Werken Cimarosas, die sie leidenschaftlich gerne hören wollte.
Ihr Geburtsjahr ist gleichzeitig auch das Todesjahr von
Georg Raphael Donner, in dessen Werk das Rokoko schon deutlich klassizistische Züge trägt, während anderseits Jean Honore Fragonard, ein wesentlicher Maler des französischen Rokoko, erst ein Jahr vor ihr stirbt. Goya wird 1746 geboren, Jacques Louis David 1748; der große Chardin wirkt noch bis 1779, G. B. Tiepolo dekoriert die Würzburger Residenz (t 1770), die „Wies“ von Domenikus Zimmermann entsteht, das kleine Trianon von Jacques-Anges Gabriel, „Vierzehnheiligen“ nach den Plänen von Balthasar Neumann, Canaletto, Guardi und der ,.Kremser-Schmidt“ arbeiten noch,
Philipp Otto Runge hat 1906 seine Eltern gemalt und „Die vier Tageszeiten“ vollendet und Beethoven 1907 vier Symphonien und die C-Diur-Messe.
Davon ist in dieser ambitiösen Ausstellung, die anläßlich der Bregenzer Festspiele heuer zusammengestellt wurde, nur wenig zu spüren. Zu einseitig sind die Gewichte auf die künstlerisch keineswegs bedeutende Angelika Kauffimann, die die Vorarlberger gerne zu den ihren zählen, verschoben. Nicht nur, daß die ohnehin reduzierte Ausstellung in Wien unter einem geradezu verhängnisvollen Platzmangel leidet und wesentliche Werke im Dunkel hängen müssen, einige wirklich große Zeitgenossen, sieht man von David und Prudhon („Francois Devienne“ und „Bildnis eines jungen Mannes“!) und den Engländern Reynolds, Gainsborough, Höppner, Raeburn, Höppner (Bildnis F. J. Haydn!), Romney und Copley und so interessanten Bildern wie die des Bildhauers Canova, von Bossi oder Appiani und einigen Zeichnungen ab, sind gar nicht oder'nicht mit jenen kapitalen Werken vertreten, die ihrer wirklichen Bedeutung entsprechen. Damit verfälscht sich leider das Bild der Epoche, aber keineswegs, wie vielleicht beabsichtigt war, zugunsten einer Malerin, die auf dem Gebiet des Porträts und der Dekoration manchmal gefällige, aber keineswegs profunde Leistungen, im Bereich der Komposition meist nur peinliche Schöpfungen, hervorbrachte; die zwar eine faszinierende Persönlichkeit, aber keine bedeutende Künstlerin war. Daran kann auch der erstaunlich leichtfertig gearbeitete, aber umfangreiche Katalog nichts ändern, der im Abbildungsteil hervorragend (mit Ausnahme der meist schlecht photographierten Plastiken), im Textteil mit willkürlichen Zuschreibungen (Nr. 19 und 229!) nicht geizt und außer den zusammenfassenden . „Bemerkungen zur Graphik des 18. Jahrhunderts“ von Walter Koschatzky nur fragmentarische, zum Teil vorzügliche Untersuchungen bringt und die Zeitgenossen mit knappen Daten abspeist. Man wird das Gefühl nicht los, daß die Konzeption dieser Ausstellung die Kräfte der Vorarlberger Veranstalter überstieg, sosehr es auch zu begrüßen ist, daß sie zum Anlaß wurde, einige sonst kaum erreichbare Werke, vor allem der englischen und französischen Malerei, nach Österreich zu bringen, die es wieder unbedingt notwendig machen, sie zu besuchen.
Wer aber war nun Angelika Kauffimann wirklich? Welche Faszination ging bis ins Alter so sehr von ihr aus, daß sie ein Liebling der englischen Gesellschaft wurde, gekrönte Häupter bei ihr ein und aus gingen, Winckelmann, Goethe, Herder und Wieland von ihr schwärmten, ihr schnell verblassender Ruhm einmal unbestritten bestand?
Angelika begann zu zeichnen, während sie schreiben lernte. Ihre Familie war von Chur nach Morbegno übersiedelt, der Vater ein wandernder Maler im Dienst der Kirche, als sie anfing, aus ihren Schreibvorlagen die Ornamente zu kopieren. Am liebsten blieb sie — nach ihrem ersten Biographen Rossi — im Atelier des Vaters und zögerte nicht, bald nach den Gipsfiguren kleine Köpfe mit Blei oder Feder zu zeichnen. Der entzückte Vater ermutigte dais augenfällige Talent, indem er ihr Stiche aus seiner Sammlung vorlegte und sie zum Kopieren anregte und gleichzeitig die Vorzüge der Vorlagen erklärte und sie dann im Gebrauch der Ölfarben zum Arbeiten nach seinen Gipsmodellen unterwies. Er forcierte die Begabung des willigen Kindes in einem solchen Maß, daß sie im Alter von elf Jahren bereits das Bildnis des Bischofs von Como malte, in einer Zeit, die sie später die glücklichste ihres Lebens nannte. 1754 übersiedelte die Familie nach Mailand, wo Angelika in der Galerie des Herzogs von Modena kopierte und a‘ls unerhörtes Wunderkind die Aufmerksamkeit des Herzogs und seiner Gemahlin’erregfe. Der Hof nahm sie mit Begeisterung auf, die Aufträge häuften sich, und sie lernte hier im zartesten Alter sowohl jene bezaubernden Umgangsformen wie jenes Selbstvertrauen, die sie später auszeichneten, kennen, aber auch schon die Versuchungen, die in einem zu leichten, zu frühen Erfolg liegen. Dazu starb ihre Mutter im März 1757, und Angelika blieb einem Vater überlassen, der sich der Schwere seiner Verantwortung gegenüber seinem Kind wohl nicht ganz bewußt war, von Stolz und Eitelkeit verblendet wurde. Ein Auftrag, die Pfarrkirche von Schwarzenberg im Bregenzerwald zu dekorieren, rief ihn in seinen Heimatort, und Vater und Tochter führten gemeinsam die Aufgabe aus. Uber Meersburg und Konstanz kehrten sie aber 'bald nach Italien zurück, Angelika nun ein blühendes Mädchen, groß gewachsen und graziös, äußerst intelligent und sensibel mit großen blauen Augen und einem beweglichen weiten Mund, gefühlvoll und von einem Charme, den sie selbst bis zum Ende ihres Lebens nicht verlor. Sie war eine so hervorragend begabte Musikerin, die eine Stimme von großer Süße und Biegsamkeit besaß und das Cembalo ausgezeichnet spielte, daß ihr damals ihre Freunde rieten, die Malerei aufzugeben und eine Opernkarriere einzuschlagen. Moralische Bedenken gaben schließlich den Ausschlag, und Angelika Kauffimann setzte über den Weg Bologna, Parma, Florenz ihre Studien in Rom fort, auf dem ganzen Weg mit Aufträgen überhäuft. Rom wurde zu ihrer ersten Schicksalsstation. Hier lernte sie Winckelmann kennen, den sie malte, und der ihr nachsagte, daß sie Deutsch wie eine Sächsin spreche und der sie im Sinn der klassischen griechischen Kunst, der griechischen Mythologie beeinflußte. Gleichzeitig lernte sie aber in Rom, Venedig und Neapel die englische Aristokratie kennen, zu deren gesellschaftlichen Status damals die .grand tour“ Europas und die Protektion eines oder mehrerer Künstler gehörte, und eine dieser manchmal echten, manchmal zweifelhaften Mäzene, Lady Wentworth, nahm sie mit sich nach London, während der Vater nach Morbegno zurückkehrte.
Im 18. Jahrhundert war England, wie heute Amerika, das
Eldorado der Künstler, wie Frances A. Gerard schreibt, und Angelika kam 1766 mit den größten Hoffnungen nach London. Ihr Talent und die Faszination, die von ihr ausging, machten sie auch tatsächlich in Kürze zum Liebling der englischen Gesellschaft. „Sie teilte mit Reifröcken von äußerster Weite, Toupees und überströmendem Blumenreichtum, Absätzen des grellsten Scharlachrot und Porzellanmonströsitäten von äußerster Häßlichkeit das Privileg, Mode zu sein“, schreibt ein Zeitgenosse. Sie schloß Freundschaft mit Sir Joshua Reynolds, dem bedeutenden Maler, mit dem man ihr wahrscheinlich unbegründeterweise zärtlichere Beziehungen nachsagte, und flirtete mit den Malern Nathaniel Dance und Johann Heinrich Füssli, in beiden Bitterkeit hinterlassend. 1767 kamen ihr Vater und die Tochter seiner Schwester zu Angelika nach London. Sie selbst stand im Zenit ihres englischen Erfolges, mit Aufträgen des Hofes und der internationalen Aristokratie für Portraits und Dekorationen für englische Interieurs. Angelika gab damals ihren Bildnissen, so sagt ein Zeitgenosse, „viel ihrer eigenen Grazie und Würde“. Das mag stimmen, heute aber sind eher ihre Mängel — die Weichheit der Zeichnung, die unter dem Gesicht keine Knochen, unter dem Gewand keinen Körper spüren läßt, die meist langweilige Farbgebung und die mangelhafte Komposition zu deutlich sichtbar. Besonders ihre klassischen Kompositionen lassen die dem Geschmack der Auftraggeber huldigenden Kompromisse, die Unfähigkeit, einem Gegenstand die ihm eigene Würde zu geben, erkennen.
Heimlich nach männlichen nackten ModeUeh'zeidfnfend war es ihr doch nicht eigen, Kraft und Anmut auäzüdrücken,'und alle ihre Helden sehen — wie ebenfall ein Zeitgenosse schon bemerkt — nach verkleideten Frauen aus.
England wurde aber auch zum Ort einer persönlichen Katastrophe, ihrer Heirat mit einem Hochstapler, der sich als Graf Horn ausgab und in Wirklichkeit wahrscheinlich der bereits verheiratete Bastard des wirklichen Grafen Hom aus Schweden und einer Kellnerin war, ein diebischer Diener, der den gesellschaftlichen Ehrgeiz Angelika Kauömanns und ihres Vaters benutzte, um sich zu etablieren. In kurzer Zeit entblendet und ihres Vermögens beraubt, trug sie dieses Unglück mit größter Tapferkeit und Würde, von unermüdlichem Arbeitseifer und ihrer tiefen religiösen Überzeugung beseelt, die sie jede Wiederverheiratung ablehnen ließ, ehe nicht dieser Abenteurer in der Fremde kläglich gestorben war. Sie wurde zum Gründungsmitglied der Royal Academy (auf dem Bild von Zoffany Allerdings gemeinsam mit Mary Moser als Portraits an die Wand verwiesen) und regelmäßig an deren Ausstellungen beteiligt und damals schon von nicht wenigen negativen Kritiken heimgesucht. Trotzdem wurden ihre Werke immer wieder gestochen und publiziert, ihre Dekorationsentwürfe vervielfältigt, weil sie dem sentimentalen Geschmack des Publikums entsprachen. 1780 endlich starb der falsche Graf Horn, und 1781 heiratete sie Antonio Zucchi, einen alten Familienfreund und Maler, der von nun an ihr Manager wurde.
Angelika Kauffmann verließ 1781 London, um über Schwarzenberg nach Venedig zu gelangen, wo ihr Vater 1882 starb. Venedig und die nächste Station Neapel wiederholten die großen Erfolge Londons, und das Bild der königlichen Familie von Neapel war die geeignete Einführung für Rom, für Aufträge von Joseph II., Katharina von Rußland und andere erlauchte Häupter. Angelika arbeitete wie immer unermüdlich, und ihr Haus im Arco di Regina wurde zum Treffpunkt der Wissenschaftler, Künstler und Adeligen, ein Museum, reich an Kunstschätzen und geistreicher Unterhaltung. Hier, lernte Goethe sie kennen — 1786 —, sie wurde seine „beste Bekanntschaft hier in Rom“, und es entwickelte sich eine Zuneigung, die ihn, den sieben Jahre jüngeren, kurze Zeit fast dazu verlockt hätte — wäre sie frei gewesen —, sie zu heiraten, und bei ihr Empfindungen erzeugte, die in ihren Briefen ergreifenden Ausdruck finden. Nach Goethe war es Herder, der dem unvergänglichen Charme dieser Frau verfiel und seiner Gattin reichlich naiv-schwärmerische Briefe über sein sentimental-platonisches Verhältnis zu Angelika Kauffimann schrieb, bis er sich, wie Goethe, in die Kühle des Nordens und kühlere und grausame Distanz zurückzog. Angelikas Gatte starb 1796. Sein Testament ist aber der Racheakt an einer Frau, die er wohl geschätzt, aber nicht geliebt hatte. Sie trug auch diesen Schlag mit Fassung. Ja, ihre Bilder wurden dezenter, geordneter und besser. Ihre Religiosität, die sie ihr Leben lang begleitet hatte, vertiefte sich und half ihr über alle Enttäuschungen, wie die vergeblich ersehnte Rückkehr Goethes nach Rom, hinweg. In einer erschütterten Welt, in der nun der Korse in Italien einbrach, bewahrte sie ihren Gleichmut, bis sie starb, keine große Malerin, aber eine große, faszinierende Frau, deren Bedeutung weniger in ihrer sogenannten schöpferischen Leistung als im Stimulans ihrer Existenz lag.