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Die Ziege zierte das Bühnenbild

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Im Jüdischen Theater von Moskau hatte Marc Chagall 1920 den Zuschauerraum mit Wandgemälden geschmückt. In Depots überdauerten sie siebzig Jahre Kommunismus und sind nun Mittelpunkt der Chagall-Ausstellung in Wiens neuem Jüdischem Museum.

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Im Jüdischen Theater von Moskau hatte Marc Chagall 1920 den Zuschauerraum mit Wandgemälden geschmückt. In Depots überdauerten sie siebzig Jahre Kommunismus und sind nun Mittelpunkt der Chagall-Ausstellung in Wiens neuem Jüdischem Museum.

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Über Helsinki und Jerusalem ist diese bemerkenswerte Schau nach Wien gekommen, die vom 11. März bis 12. Juni im Jüdischen Musetmi zu _ sehen ist. Die Leihga-

ben stammen in erster Linie aus der Tretjakow-Galerie in Moskau und aus dem Russischen Museiun in St.Petersburg, aber auch von Privaten.

Chagall, 1887 im russischen Witebsk geboren, studierte von 1910 bis 1914 in Paris und kehrte dann nach Rußland zurück. 1920 erhielt er vom Staatlichen Jüdischen Kammertheater Moskau den Auftrag für Bühnenbild- und Kostümentwürfe. Dabei faszinierte ihn die Arbeit fürs Theater derart, daß er sich selbst anbot, auch die Wände des Zuschauerraiunes mit Gemälden zu schmücken.

In einem drei Meter hohen und acht Meter langen Wandgemälde stellte er die Wurzeln und die Geschichte des jüdischen Theaters dar. Auch sich selbst hielt er darauf fest, wie er auf den Schultern von Abraham Evros, dem Leiter des Jüdischen Theaters, ins Theater getragen wird. Das Wandgemälde hat, so der Kurator der Wiener Ausstellung Werner Hanak, viele versteckte Anspielungen, die erst ein fundierter Katalogbeitrag einer israelischen Kunsthistorikerin näher erläutert.

Chagall hat dann fast den kompletten Zuschauerraum ausgemalt. Seine Motive sind der „Tanz" in der Gestalt einer jüdischen Heiratsvermittlerin (Büd), die „Literatur", symbolisiert dxu-ch einen Thoraschreiber, das „Theater", dargestellt durch den Badchen, den Spaßmacher bei jüdischen Festen, xmd die „Musik", wo sich Chagalls berühmter Geiger fmdet. Em weiteres Fries gibt eine Hochzeitstafel wieder.

Chagall wollte die Schauspieler als Objekte der bildenden Kirnst in seine Bühnenbildentwürfe einbeziehen, er verfolgte keine räumhche Gestaltung der Bühne, das Schauspiel sollte zu einer Kategorie der bildenden Kunst werden. Chagall war als Bühiienbildner für die Eröffnungsvorstellung des Moskauer Jüdischen Theaters engagiert worden, das waren drei Einakter von Scholem Alejchem. Da sein erstes Bühnenbild aber höchst umstritten war, schied er nach dieser ersten Produktion aus. Seine Arbeit wurde nie bezahlt.

Chagall hat natürhch auch das Irrationale in sein Bühnenbild gebracht, beispielsweise die für ihn charakteristische verkehrt schwebende Ziege. Sein Stil ist trotz seines Ausscheidens dem Theater erhalten gebüeben. Es näherte sich wieder mehr dem russischen Volbtheater an, entwickelte sich weg vom Naturalismus, von den westlichen Einflüssen.

Moskaus Jüdisches Theater befand sich m ehemaligen Wohnräumen und faßte nur 90 Zuschauer.

Bis Ende der zwanziger Jahre blieben diese Theaterbilder an Ort und Stelle, übersiedelten dann mit dem Theater mit, in den neuen Räunüichkeiten waren sie bis 1937. Den Krieg haben sie im Theaterdepot überdauert, bis sie ein Chagall-Fan in die Tretjakow-Galerie brachte.

Noch in den fünfziger Jahren zeigte eine in französischem Besitz befmdliche Skizze Chagall an dem Theaterentwurf malend, die Bilder selbst wähnte man verschollen.

Als Chagall 1973 erstmals auf Einladung der Kulturministerin wieder nach Moskau kam, signierte er die Bilder nachträghch in der Tretjakow-Galerie. Dann verschwanden die Werke wieder im Depot und erst Mitte der achtziger Jahre wurde ihre Restaurierung in Angriff genommen, mit-fmanziert von der Frankfurter Kunsthalle Schim.

Die Werke sind auf Leinwand gemalt und werden gerollt transportiert. Im Jüdischen Museum werden sie in einem dem Theater nachempfundenen Raum aufgestellt.

Im zweiten Stock werden vor allem Werke aus Chagalls Heimatstadt und aus der Welt des „Schtetls" präsentiert, die dem Künstler nach seiner Rückkehr aus Paris neue Impulse verliehen. Erinnerungen mischen sich in diesen Bildern mit seinen Pariser Avantgarde-Erfahrungen.

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