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Die zwei Kardinalaufgaben der Wiener Stadterneuerung

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Wenn von Stadtplanung um unser liebes Wien die Rede ist, soll man sich immer wieder des Goethe Wortes erinnern: „Mag man doch immer Fehler begehen — bauen darf man keine“. Im Publikum sollen deshalb abwegige oder undurchführbare Ideen nicht Fuß fassen. Aus diesen Gründen: ein offenes Wort zu den im Rathaus gezeigten Entwürfen für Verbauung von Stephansplatz und Karlsplatz.

Für den Karlsplatz liegt eine Fülle an Konstruktionen vor, doch keine schöpferische Idee. Die große Fläche bietet ja Raum für allerlei Arten von Verbauung. Eine wirklich große Idee wird jedoch unter allen Umständen den Geist Fischer von Erlachs zu wahren haben, der den großen Dom, auf weite Sicht über die Glacis von Wien, in die Landschaft gesetzt hat. Man soll sich also der alten Veduten aus Aquarellen und Stichen entsinnen und diese Blickfelder über die alte Elisabethbrücke oder aus der Canovagasse her, nicht noch weitgehender verstümmeln, als dies bereits geschehen ist. Für Anwendung neuer Ideen ist beim Karlsplatz vom Standpunkt wirklichen Kunstsinnes wenig Gelegenheit. Hier gilt es nicht auf Wundervolles noch „Wundervolleres“ auf-zupropfen, das neben dem herrlichen Barockwerk nur wunderlich wirken könnte.

Drei Fragen sind hier zu lösen und sozusagen naturgegeben:

Erstens: Die derzeitige ungeordnete Steppe dieses Stadtraums richtig zu umformen und innerhalb dieses Rahmens gärtnerisch und verkehrstechnisch derart zu gestalten, daß die Wirkung des herrlichen Baues von allen Seiten gewahrt wird.

Zweitens: Fehler der Vergangenheit ästhetisch auszugleichen: Zu diesen Fehlern gehört der Aufbau der technischen Hochschule, 'die überdies in ihrer Baulinie zu weit vorgeschoben erscheint. Beides läßt sich nicht mehr ändern. Zu den grundsätzlichen Forderungen der ardiitektonischen Ästhetik gehört Symmetrie und Ruhe. Diesem Anspruch wird ein einziger Entwurf gerecht, der zum räumlichen Gleichgewicht an der Ostseite des Kirchenbaues einen der technischen Hochschule entsprechenden Monumentalbau vorsieht. Es ist dies gewiß keine originelle Idee, aber eben durch ihren echt künstlerisch empfundenen Verzicht auf Sensation, wegen der Einordnung in die höhere Aufgabe eines richtigen Rahmens für den Barockbau verdienstvolle Lösung, und eben deswegen eine noch edlere Projektierung als die heute schon vergessenen, vor vier Jahrzehnten der Wiener Öffentlichkeit in Modellen vorgeführten Entwürfe von Wagner und Schachner.

Die dritte Aufgabe liegt in dem Abschluß des Platzes gegen die Wiedner Hauptstraße. Hier kann ohne allzu arge Gefährdung des architektonischen Ansehens des Dombaues den Bedürfnissen des Gechäftslebens und des Verkehrs Raum gegeben werden. Nur darf wohl im Sinne einer ästhetischen Geschlossenheit der Platzgestaltung die Forderung erhoben werden, daß dem Barock oder Klassizismus diametral entgegengesetzte Fassadegestaltung mit ausschließlicher Flächen- oder Linienwirkung, nüchterner Fensteraufreihung und schreiendem Verputz unterbleibe, wie derartiges jetzt mit einer Kopfwendung am Karlsplatz wahrzunehmen ist. Im Zuge der großen Verkehrslinie und des alten Wienflußbettes bei der ehemaligen Elisabethbrücke wird hier der freundliche Aspekt vorn . und gegen den Getreidemarkt zu wahren sein. Im übrigen kann gärtnerische Gestaltung mehr an Geltung und Wiedergutmachung leisten als man gemeiniglich annimmt!

Ganz anders liegt das Problem S'tephansplatz: In Fassaden der unglückseligen „zweiten Renaissance“ mit altdeutschen Türmchen und Giebeln hatte sich hier spekulative und in Stilistik mehr ehrgeizige als glückliche Bauweise der Gründerzeit des vorigen Jahrhunderts ausgetobt. Hang des Wienens zum Gewohnten ließe 'hier in erster Linie daran denken, im großen und ganzen die alten Bauten in abgeklärter ruhiger Fassadierung mit Weglassung geschmackloser Zierlichkeiten zu rekonstruieren. Es wäre dies vielleicht die am wenigsten angefochtene Methode. So-ferne aber an Neubau und großzügigere Gestaltung geschritten werden muß, ist es doch wirklich ein Gebot der Ehrfurcht vor echter, alter Baukunst und Geschichte, eine nicht nur gefühlsmäßig, sondern von den unwandelbaren Gesetzen der Ästhetik diktierte Forderung, daß hier keine „M odebauten“ entstehen. Mode kann durch Geschmack und Dauer des Gefallens zur Kunst werden. Man darf aber nach dem vermerkten Goethe-Wort nicht voreilig sein. Mode, in Kleidern wie Bauten bleibt ein relativer Begriff. Mißgriffe in der Wahl von Kleidung werden nach Herkommen verurteilt. Krasse Gegensätze in der Architektur jedoch unterliegen der Kritik von Jahrzehnten und Jahrhunderten. Man d'arf also aus unserem Stephansplatz keinen Koistümball machen! Man darf ihn auch rieht nach einer Seite in einen Glaskäfig setzen oder eine Wachstumskonkurrenz zwischen Steffel und einem Eisenbetonturm veranstalten! Ebensowenig besteht eine Notwendigkeit, ihm mit Balustraden in die Flanke zu kommen. Niemand hat noch emplundcn, daß der Stil des Erzbischöflichen Palais oder des Churhauses den Dom beeinträchtigt hätte. Es ist wohl die Errichtung von Bauten im Stile des Erzbischöflichen Palais oder Churhauses die erfreulichste und ruhigste Platzgestaltung, die es überdies ermö glicht, den Platz zu verbreitern und die jetzige Jasomirgottgasse und mit ihr den Blick auf das Riesentor zu erweitern. Auch eine Verbreiterung der Rotenturmstraße, zu-mindestens die Verlegung des Gehweges in Lauben, läßt sich hier verwirklichen. Für •beide Plätze, sowohl für den Rahmen des prachtvollen kirchlichen Barockbaues von Fischer von Erlach, wie für unseren ehrwürdigen gotischen Dom bleiben die klassischen Gesetze des Aristoteles in Geltung: „Das Schöne muß in allen Teilen seine richtige Zusammensetzung haben, Einheit in der Mannigfaltigkeit. Das Schöne muß anschaulich sein und darf nichts Widersprechendes enthalten.“ Konstruktive Schönheit eines Bauwerkes ist eine soziale Angelegen-hei. Taktvolle Anpassung, schickliche Zurückhaltung und Einordnung sind im Bilde von Straßen und Plätzen, von Städten noch schwerwiegendere Gebote als im Leben ihrer Passanten. _ _

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