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Diskussion um Salzburg

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„Das Salzburger Land ist das Herz vom Herzen Europas. Es liegt halbwegs zwischen der Schweiz und den slawischen Ländern, halbwegs zwischen dem nördlichen Deutschland und dem lombardischen Italien, es liegt in der Mitte zwischen Süd und Nord, zwischen Berg und Ebene, zwischen dem Heroischen und dem Idyllischen; Salzburg liegt als Bauwerk zwischen dem Städtischen und dem Ländlichen, dem Uralten und dem Neuzeitlichen, dem barocken Fürstlichen und dem lieblich ewig Bäuerlichen. Mozart ist der Ausdruck von alledem. Das mittlere Europa hat keinen schöneren Raum, und gerade hier mußte Mozart geboren werden.“ — Dies ist, mit den unübertrefflichen Worten Hofmannsthals gezeichnet, der Raum der Salzburger Festspiele. Und dies war der Leitgedanke des Aufrufes, mit dem sich 1917 die Festspielhausgemeinde an die Öffentlichkeit wandte: „Nebelverhüllt ist die Welt, und endlos scheint der Weg des schrecklichsten aller Kriege. Niemand weiß, was die Stunde bringt. Trotzdem sei es gewagt, heute den Gedanken eines dem Frieden, der Kunst, der Freude geweihten Salzburger Festspielhauses zu denken. Wer an die Macht der Kunst glaubt und daran, daß die Werte und Werke der Kultur das einzig Bleibende sind im ewigen Wechsel der Dinge, der komme zu ups und helfe uns, im Tieichen Mozarts eine Stätte schaffen, an der wenn einst die nachtdunklen Wolken des Weltverhänznisses verflogen sind und die Landschaft wieder im hellen Licht der Sonne ‘Ruhe und Frieden atmet, die Kunstfreunde aller Länder in festlicher Freude sich wiederfinden.“

Nicht also in einer Zeit der Ruhe und Geborgenheit, sondern in einem Augenblick, der den Menschen von damals wohl noch verschatteter erschienen sein mag als uns Heutigen die Jahre, die wir durchleben — in einem solchen Augenblick wurde der Gedanke der Salzburger Festspiele geboren und in die Tat umgesetzt In einer durch den ersten Weltkrieg zerrissenen und verarmten Welt hatte diese Idee ihre Feuerprobe zu bestehen, und auch heute wieder muß sie unter ähnlichen äußeren Verhältnissen den Beweis für ihre Richtigkeit und Lebenskraft erbringen. Diesen Beweis ist uns Salzburg während der vergangenen Jahre wahrlich nicht schuldig geblieben. Aber während die Festspiele gegenüber dem vorigen und vorvorigen Jahr einen eindeutigen, unbestreitbaren künstlerischen und materiellen Fortschritt zu verzeichnen haben und sich bald wieder auf der Höhe der Jahre vor 1938 befinden werden, mehren sich die kritischen Stimmen, welche entweder den traditionellen Grundbestand der Festspiele — etwa unter dem Titel „Der chronische Jedermann“ — angreifen oder gar den „Festspielen ohne Volk“ die Daseinsberechtigung absprechen. — Das hohe, unübertroffene künstlerische Niveau der Veranstaltungen wird zwar zugegeben, ober man macht Einwände gegen das Programm und lehnt die Festspiele auch wegen der hohen Kartenpreise sowie der hohen Lebenshaltungskosten in Salzburg »ab. So stichhaltig die letzteren Einwände materieller Natur sein mögen, so könnten sie wohl gegen jede Art von Festspielen — zumindest was die auswärtigen Gäste betrifft — erhoben werden, ob sie nun in Prag oder in Edinburgh stattfinden. Und Millionen Menschen wird durch die Radioübertra- giungen ein Kunstgenuß geboten, wie er in solcher Vollkommenheit von anderen Radiostationen wohl kaum gespendet werden kann.

Das Programm der Salzburger Festspiele unterscheidet sich von dem anderer Festspielstädte zunächst dadurch, daß es «ich so organisch ausgeformt hat wie kaum das einer anderen künstlerischen Unternehmung . Aus lokalen Mozart-Spielen herausgewachsen, erweiterte sich das Repertoire allmählich über die Standardwerke „Jedermann", „Salzburger Großes Welttheater", „Faust", „Fidelio", „Falstaff“, „Rosenkavalier“ und umfaßt heute einen Großteil der klassischen Opern, Sprechstücke und Orchesterwerke. Doch auch vor dem zeitgenössischen Schaffen hat es nicht haltgemacht: bereits 1925 wurden Melis „Apostelspiel“ und Vollmöllers „Mirakel“ sowie — bis 1938 — fast alle Opern von Richard Strauß gegeben, und seit dem vergangenen Jahr nimmt man sich auch des Opernschaffens der Jüngsten an. Es ist nicht wahr, daß

Man verfolge diese Entwicklung in den beiden Darstellungen von R. Tenschert (Salzburg und seine Festspiele, Österreichischer Bundesverlag) und Wolfgang Schneditz (Das Buch von den Salzburger Festspielen, Job. Sdiön- leitner-Verlag, Linz, Wien, München).

man so tut, als sei zwischen 1938 und 1948 nichts geschehen. Doch wichtiger, als immer neue Forderungen aufzustellen, ist, die alten einmal wirklich zu erfüllen. Die nationale Buntheit der Orchesterkonzerte ist kaum zu überbieten: österreichische und deutsche, französische und italienische, slawische und ungarische Kompositionen erklingen bei allen Festspielen; freilich sind diese Veranstaltungen andererseits nicht das geeignete Forum künstlerischer Experimente und Avantgardekunst. Denn sie haben eine repräsentative Funktion — und es muß nicht immer und überall Altes und Neues zu gleichen Teilen geboten werden. Die Forderung nach einer Modernisierung des Salzburger Programms kann gerade an dieser Stelle zurückgewiesen werden, wo im Rahmen der Kunstreferate über Theater und Musik, Film und bildende Kunst immer wieder dem zeitgenössischen Schaffen breiter Raum gegeben und für seine Förderung eingetreten wurde. Läßt man vollends die Namen der Ausführenden an seinem Auge vorüberziehen, so ergibt sich eine unabsehbare Reihe glänzender, berühmter Künstler aus allen Ländern und Zonen.

Ist es da nicht sehr merkwürdig, daß gerade jene Seite, die so laut die Internationalität der Kultur predigt, daß gerade jene Seite gegen das völkerverbindende Forum Salzburgs Sturm läuft? Es ist auch kein Zeichen gesunder demokratischer Gesinnung, wenn man Kunstwerke, wie etwa den „Jedermann“, wegen ihres weltanschaulichen Gehalts angreift, zumal es sich um ein Stüde handelt, dessen Wert nicht mehr erwiesen zu werden braucht, ein Werk überdies, welches von oberösterreichischen und Schweizer Bergbauern in ihre Mundart übersetzt wurde und wie eines ihrer eigenen alten Spiele dargestellt wird, also auch nicht gut als „eklektisch“ bezeichnet werden kann. Andererseits unterläßt man es, das Bemühen der Festspielleitung um die Förderung des zeitgenössischen Schaffens gebührend zu würdigen. Ob die Wahl der beiden letzten Opern werke, „Dantons Tod" und „Der Zaubertrank",

eine glückliche war oder nicht und ob sie sich in den Rahmen der Festspiele füget!, ist eine andere Frage, die jederzeit diskutiert werden kann. Undiskutiert sollte aber die - Grundthese Hofmannsthals bleiben: „Salzburg, als Geist genommen, schließt das Festliche ein, aber nicht nur das Heiter- Festliche. Was es ausschließt, wenn man es deutlich aussprechen will, ist das Finstere ohne Hoffnung und Aufschwung, das innerlich Gewöhnliche, das völlig Weihelose.“

Nicht ohne Schuld an den gegen Salzburg gerichteten Angriffen waren einige Auslassungen der lokalen Presse: Wenn etwa die Hoffnung ausgesprochen wird, daß von Salzburg „die geistige Wiedergeburt des Abendlandes" ausgehen könne oder, wenn Salzburg — nachdem Weimar und Wien in den „östlichen Machtbereich" gefallen sind und als „düstere Symbole des abendländischen Niederganges“ bezeichnet werden — die Funktion erfüllen soll, „das Tor des besseren Deutschland zu werden“. Es ist wohl nicht notwendig, die Kenner der Salzburger Festspiele daran zu erinnern, daß diese ohne Wien, ohne dessen Oper, Orchester, Burgtheater und Spielleiter nicht möglich wären. Auch das Konzept von Salzburg als einem der drei Bollwerke — dem letzten übriggebliebenen — widerspricht durchaus einem Grundgedanken der Festspielgründer: daß nämlich Salzburg für alle seine Gäste, Künstler und Festspielbesucher, aus welcher Richtung der Windrose sie kommen mögen, für die Dauer ihres Aufenthaltes eine Insel des Friedens und geistige Heimat sein möchte. Kein Gedanke mag Hofmannsthal, dem geistigen Vater des Festspielgedankens, fremder gewesen sein als der der Entzweiung, des Trennens und Grenzenziehens, des Aufreißens von sozialen, nationalen und politischen Gegensätzen. So möge man auch darin seinem Konzept folgen. Hier ist die Welt bei Österreich zu Gast, hier empfängt sie unser Bestes, und hier nehmen auch wir dankbar die Gastgeschenke der ausländischen Künstler entgegen. Gibt es jemand,‘der hiezu nein sagen könnte?

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