Bernhard Palme: Don Quijotes Altpapier

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Er entziffert griechische Papyri, kämpft beherzt gegen ihren Verfall - und zieht für humanistische Bildung gern zu Felde: Bernhard Palme.

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Er entziffert griechische Papyri, kämpft beherzt gegen ihren Verfall - und zieht für humanistische Bildung gern zu Felde: Bernhard Palme.

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Das Fetzchen bleibt leicht unbemerkt. Kaum handtellergroß und ausgeblichen verliert es sich zwischen den Vitrinen. Gegen den großen Renner des 'Wiener Kinderferienspiels", die bunten Mumienporträts, hat das kleine Fragment keine Chance. Nur ein Mann mit prächtigem Don-Quijote-Bart steuert geradewegs darauf zu. 'Das ist das Glanzstück des Museums", doziert er im Untergeschoß der Österreichischen Nationalbibliothek am Wiener Heldenplatz. 'Es überliefert ein Chorlied aus dem ,Orestes' des Euripides."

'Das Glück bleibt keinem Hause treu", ist darauf in griechischen Lettern zu lesen. 'Wie des Seglers Tuch, so schleudert ein Dämon es hoch und schwemmt es hinunter in die Ängste des Meers, in den Abgrund der drohenden Wogen." Nicht nur die Verse sind düster - auch die Töne, die aus dem beigelegten Kopfhörer dringen. 'Das Besondere an diesem Fragment von ca. 200 v. Chr. ist, dass man darauf auch Musiknotationen findet", erklärt der Mann mit leuchtenden Augen. 'Das ist eine der ältesten Partituren."

Römer statt Rock

Kein Wunder, dass Bernhard Palme sein Herz daran verloren hat. Schließlich ist Musik die zweite, große Leidenschaft des 45-jährigen Papyrologen. 'Ich habe zwölf Jahre lang in Rockbands Schlagzeug gespielt", erzählt er später einen Stock höher in seinem Büro. 'Irgendwann hat aber mein Interesse für das Altertum die Musik als Aktivum aus meinem Leben verdrängt."

Unten, im Museum und in der Papyrus-Sammlung, sind Palmes Neugier keine Grenzen gesetzt: 180.000 ägyptische Objekte - überwiegend Papyri, aber auch Wachstafeln, beschriebene Steine, Knochen und Textilien aus der Zeit zwischen 1500 vor und 900 nach Christus - umfasst die Sammlung. So divers wie die Gegenstände sind auch die darauf verewigten Sprachen: neben Ägyptisch auch Koptisch, Lateinisch, Hebräisch, Syrisch, Aramäisch, Pehlevi (Mittelpersisch) und Arabisch.

Allein 60.000 Papyri sind in griechischer Sprache abgefasst: Cornelia Römer, Direktorin der Sammlung, nimmt vor allem die literarischen Texte unter die Lupe. Bernhard Palme hat indes die 'Alltags"-Papyri im Blick: Urkunden, Verträge, Briefe, Steuererklärungen. 'Das ist das antike Altpapier", meint er mit einem Augenzwinkern.

Dass dieses Altpapier ausgerechnet hier gelandet ist, ist einer Reihe glücklicher Fügungen zu verdanken: Es war in den 1870er Jahren, als südlich von Kairo tausende Papyrus-Dokumente im Wüstensand gefunden wurden. Zufällig stieß der Wiener Antiquitätenhändler Theodor Graf auf dieses Material, brachte es in seine Heimat - und verkaufte sie Erzherzog Rainer, nach dem die Sammlung bis heute benannt ist. 1899 gelangte sie schließlich als Geschenk an Kaiser Franz Joseph, der sie der Hofbibliothek zuwies. Fortan waren die Papyri also in Expertenhänden.

Alkohol statt Feuchtigkeit

Kein Vergleich freilich mit der Sorgfalt, die man ihnen heute angedeihen lässt: 'Nachdem die Papyri meist stark verschmutzt und zerknüllt sind, wird jedes einzelne Papyrus-Stück mit Wasser oder einer alkoholhältigen Flüssigkeit gereinigt und geglättet", erklärt Palme, während er der Restauratorin über die Schulter schaut. 'Dann werden die Objekte zwischen Glasplatten gepresst und im entfeuchteten und abgedunkelten Magazin der Nationalbibliothek aufbewahrt". Licht und Feuchtigkeit seien für den Schreibstoff aus dem Mark der Papyrus-Staude schließlich tödlich. Wenn alles gut geht, bleibt ein konserviertes Blatt auch nach 120 Jahren unverändert. Wenn nicht, kann die Karbon-Tinte verblassen - und der Jahrtausende alte Text auf immer verloren gehen.

Ein Desaster für die Forschung - und erst recht für Bernhard Palme, dessen Faszination für das Altertum bereits in seiner Kindheit wurzelt: 'Ich habe sehr früh Schwabs klassische Sagen gelesen und mir in meiner Phantasie eine große Welt des Altertums aufgebaut", erinnert sich der Papyrologe. Seine Lateinlehrerin am Bundesrealgymnasium in Wien-Liesing habe dieses Faible für Geschichte und alte Sprachen weiter gefördert. 'Sie hat auch mein Vorhaben unterstützt, irgend etwas in dieser Richtung zu studieren - ungeachtet aller Warnungen, dass das brotlos sei."

Alltag statt Literatur

Es wird das Studium der Alten Geschichte, Geschichte und Archäologie an der Universität Wien. Der junge Student konzentriert sich auf die Griechen und Römer, perfektioniert sein Griechisch, lernt die Hieroglyphen - und trifft schließlich auf jenen Mann, der ihn entscheidend prägen wird: Hermann Harrauer, Direktor der Papyrussammlung. 'Die Dokumente des Alltags haben mich schnell gefangen genommen, weil sie eine ganz neue Sichtweise auf die antiken Lebensverhältnisse bieten", erzählt Palme.

Nach dem Doktorat geht der aufstrebende Forscher mit einem Stipendium der Humboldt Stiftung nach Heidelberg. 'Das war für uns Papyrologen besonders attraktiv - vor allem durch Dieter Hagedorn, der als Gelehrtenpersönlichkeit prägend für mich war", erinnert er sich. 1994 nimmt er mit Hilfe des 'Austrian Program for Advanced Research and Technology" (APART) seine Habilitation in Angriff - eine Analyse der Verwaltung im spätantiken Ägypten.

Schließlich wird seine Arbeit im Jahr 1997 mit dem 'START-Preis" - und 1,09 Millionen Euro für sechs Jahre - gekrönt. 'Das war wohl das Schüsselereignis in meiner Karriere", denkt er zurück. 'Damit habe ich die Möglichkeit bekommen, ein eigenes Team aufzubauen". Der junge Spitzenforscher holt drei exzellente junge Kollegen aus Deutschland, Italien und Griechenland nach Wien - und nimmt sein riesiges Projekt in Angriff: Die Sichtung und weitgehende Edition des griechischen Bestandes der Papyrussammlung.

Arbeit statt Muße

Tatsächlich stößt er auch bei der Revision bereits gelesener Papyri fast in jeder Zeile auf Fehler. Aber auch einzigartige Texte werden aufgestöbert: Etwa ein Papyrus, der eine Passage aus dem Hebräer-Brief des Paulus beinhaltet, ein Fragment des Kirchenvaters Amphilochios von Iconium oder der sensationelle Beleg einer Osteramnestie des oströmischen Kaisers Leo. Über 200 Publikationen bringt das START-Team bis 2005 hervor. 'Das bedeutet Arbeit", stöhnt Josef Stadler, der Archivar der Papyrus-Sammlung, 'aber es sorgt auch für Bewegung."

Gottlob, schließlich sind die Geheimnisse der Papyrussammlung lange nicht erschöpft. Umso glücklicher ist Palme, dass es gelungen ist, neben der Sammlung eine Lehrkanzel für Papyrologie an der Universität Wien zu installieren - die er nunmehr selbst inne hat. Auch an der Akademie der Wissenschaften ist es gelungen, eine Stelle für dieses Fach einzurichten. 'Ich hoffe, dass die Papyrologie auf diesem Dreibein fest stehen wird."

Und noch etwas hofft der Altertumsforscher: dass das humanistische Bildungsideal - und der Lateinunterricht an den Schulen - nicht noch weiter schrumpft. 'Die klassische Antike ist ja die Wurzel jeder abendländischen Kultur", betont Palme. Dass er in diesem Punkt gegen die Windmühlen des Zeitgeistes kämpfe, gehöre wohl zu seinem 'Don-Quijote-haften Wesen".

Genauso wie sein Bart. 'Der begleitet mich schon 20 Jahre lang", gesteht der Mann von der schlaksigen Gestalt, während er ins Papyrusmuseum hinunter schlendert. 'Das ist eine der kleinen Macken, die ich mir gönne."

Nächste Woche:

Gerhard Widmer

Geisteswissenschafter abseits?

1,09 Millionen Euro sind viel Geld. Zu viel Geld für die Entzifferung alten Papiers? 'Als Bernhard Palme 1997 den START-Preis bekommen hat, haben sich manche gefragt: Was denkt sich die Republik, so viel in Papyrologie zu investieren?", erinnert sich Arnold Schmidt, ehemaliger Präsident des Wissenschaftsfonds FWF, der das START-Programm im Auftrag des Wissenschaftsministeriums abwickelt. 'Aber wir waren stolz darauf, dass sich die internationale Jury, obwohl sie von Naturwissenschaftern beherrscht war, eisern daran gehalten hat, einfach die Besten der Besten zu fördern."

Insgesamt nimmt sich freilich die bisherige Zahl von START-Preisträgern aus dem Bereich der Geistes-und Sozialwissenschaften mit sieben von 49 Prämierten eher bescheiden aus. 'Diese Anzahl entspricht aber der Zahl der Anträge", meint der aktuelle FWF-Präsident Christoph Kratky. Erschwerend sei aber, dass Geisteswissenschafter durch das Erlernen von Sprachen oft älter seien, bis sie Spitzenleistungen vollbringen könnten. Ein Umstand, dem man nun Rechnung tragen will: 'Wir überlegen, das START-Höchstalter von 36 Jahren in solchen Fällen anzuheben", erklärt Christoph Ramoser vom Wissenschaftsministerium.

Auch Bernhard Palme hatte die Alters-Hürde seinerzeit nur knapp gemeistert: Er war 35. DH

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