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Ein „alter Meister“ mit 27 Jahren

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Die Galerie St. Stephan, Wien I, Grünangergasse 1/11, die durch ihre zielbewußte Leitung besonderen Ruf erlangte, zeigt jetzt eine sehr exquisite und exklusive Ausstellung: fünfzehn Gemälde des siebenundzwanzigjährigen Malers Ernst Fuchs.

Ernst Fuchs, dessen — wie es auf der Einladung heißt — „oeuvres rėcents" wir nun sehen, wurde 1930 in Wien geboren. Schon mit fünfzehn Jahren kam er an die Wiener Akademie der bildenden Künste und bezog die Klasse Albert Paris Gütersloh. 1946 fand seine erste Ausstellung statt, die Preise blieben nicht aus. Sie galten nicht nur dem malenden „Wunderkind“, sondern auch und vor allem dem einmaligen Künstler, der beinahe vom ersten Tage an nicht nur in der Manier, sondern auch mit dem Können der alten Meister zu malen begann.

Die phänomenale technische Begabung Ernst Fuchs' ließ ihn von Anfang an jenen Weg gehen, auf dem er dieses Talent am augenfälligsten darbieten konnte: nämlich den des Surrealismus. Wer Kunst daran erkennen möchte, daß er auf den Bildern jedes Haar auf dem Kopf, jedes Härchen im Pelz und jedes Federchen im Vogelgefieder ausmachen und zählen kann, wird an den Bildern von Ernst Fuchs helle Freude haben — soweit er nicht durch den surrealen Gesamteindruck, durch die fremdartige Perspektive der Weltanschauung dieser Gemälde erschreckt wird.

Im ganzen ist die Malerei Ernst Fuchs’ seit ihren Anfängen die gleiche geblieben, im einzelnen hat sie sich sehr entwickelt. Sie ist immer bewußter und raffinierter geworden.. Schon hat er den genialen Imitator altmeisterlicher Akribie, Salvador Dali, hinter sich gelassen. Längst hat er die Anonymität des allgemeinen Surrealismus — meist ein Schauerkabinett möglichst vieler divergierender Scheußlichkeiten — verlassen und sich seine eigene Ausdrucksform, seine persönliche Spielart des Surrealismus geschaffen: Surrealismus durch Untertreibung. Irgendeine — wenn auch oft zentrale — Kleinigkeit ist aus ihrem Zusammenhang genommen, aus ihrer Ordnung gerückt, und durch diese Nuance dringt das Unheimliche ins Bild ein. Es genügt, daß ein Hut nicht auf den Kopf paßt, oder die Ueberfülle des Haares nicht zum Gesicht — schon geraten die Dinge durcheinander und werden mit sich selber uneins.

Die Kunst Ernst Fuchs’ ist immer die eines Wunderkindes geblieben: gekonnt, virtuos, überlegt, eiskalt. Eine Kunst, hinter der kein Mensch steht, und die darum nie reifen kann.

Von Ernst Fuchs weiß man, daß er sich in letzter Zeit entschieden zum christlichen Glauben bekennt. Die Ehrlichkeit dieses Bekenntnis „jseį.. jįj ht , m,t. mindesten in Zweifel gezogen. Aber es scheint, daß es zwischen dem Menschen Fuchs und dem Künstler Fuchs keine Verbindung gibt, daß es für seine Malerei gleichgültig ist, ob der Mensch, der sie hervorbrihgt, etwas glaubt und was er glaubt. Diese Malerei kommt sosehr aus den Randschichten des Menschlichen, daß sie von dem, was sich im Innern des Menschen abspielt, gar nicht berührt wird. Gerade an den — fast mit verzweifelter Anstrengung und verschwenderischer Gestik — gemalten Christusbildern wird das deutlich. Wird auch in ihnen bewußt auf alle Mätzchen verzichtet, so unterstreicht das nur die innere Leere, die sich hinter der Vielfalt der bis ins Kleinste aus-

getuhrten Details auftut. Eine Kunst, die nur aus dem Können kommt und unabhängig ist von Glauben oder Wollen des Künstlers, wird immer diese Leere verbreiten.

Die Bildidee, die hinter einer Christuskreuzigung steht, ist die gleiche, wie sie ein Kitschmaler haben kann. Daß die Darstellung Ernst Fuchs’ dann nicht Kitsch wird, sondern Kunst — daß ist seinem Können zu danken: er kann gar nicht ungenau malen. Jeder Engel, wird so bis ins kleinste Detail realisiert, daß nirgendwo Platz für den Kitsch bleibt. Und die Tatsache des Kitsches erkennen wir ja gerade am Detail, das nicht stimmt. Hier ist nur die innere Vorstellung die des Kitschlers. Die Ausführung ist genial.

Das zeigt, daß es in der Malerei nicht auf das „was" und letztlich auch nicht auf das „wie“ ankommt. Ein Gedanke an den Teufel- und Höllenspuk bei Bosch, Breughel, Grünewald macht das klar. Auf was es ankommt, ist die Einordnung des Bildes in den Kosmos — also auf das Nicht-Gemalte, auf das, was unsichtbar hinter den Bildern steht. Auf die innere Welt des Künstlers, deren Niederschlag das Bild ist.

Fuchs malt, sagten wir, mit dem Können eines alten Meisters. Viele Partien seiner Bilder hätten von einem Künstler des ausgehenden Mittelalters oder der Renaissance kaum besser gemalt werden können. Nur der Stahlhelm oder der Maschinengewehrgurt im Bereich des Schrecklichen, und die Spiegelnden Augengläser im Porträt deuten auf unsere Zeit. Die Wirklichkeit abzuschildern, wie vor vierhundert Jahren, dabei diese Wirklichkeit ganz anders zu erleben und ihr zugleich fremder und souveräner gegenüberzustehen — das zeigt schon die Zwiespältigkeit der Situation, in der Ernst Fuchs sich befindet. Auch der Surrealismus ist da kein Ausweg. Fuchs ist auf keinen Fall ein Schwindler oder Hochstapler, wofür ein erschrockener Bürger ihn halten mag. Er ist ein begnadeter Künstler. Aber er war von Anfang an zu begabt, um aus dieser Gnade mehr machen zu können als ein blendendes Spiel. Er häuft vol] Akribie Detail auf Detail, aber er ringt nicht um echte Präzision. Mit 27 Jahren ein „alter Meister" zu sein, ist eine furchtbare Bürde.

In Schicksal und Werk Ernst Fuchs’ erkennen wir ein Beispiel echter Tragik. Es sind Glanz und Elend Tantalos’, die wir hier finden. Doch müssen wir, um diese Behauptung zu präzisieren, eine kleine Variante des alten Mythos erfinden.

Tantalos, der die Geheimnisse der Götter verraten hatte, mußte in der Unterwelt in einem Teiche stehen. b..,sDoch erreichte seih Mund niemals'ldaS Wasätfy dar um sein Kinn spielte. Bückte er sichfi nach ihm, werrr schwand es, und Schlamm starrte ihm entgegen. Auch konnte seine Hand nie die Feigen, Granaten, Oliven und Aepfel erreichen, die über ihm hingen. Um seine Qual zu erhöhen, dachten sich die Götter nun folgenden Fluch aus: sie ließen seine Hand von Zeit zu Zeit Wasser schöpfen und eine der Feigen oder Oliven erreichen. Er durfte sie auch zum Mund führen. Indem er sie aber mit der Zunge berührte, verwandelte sich alles in nichts, und er kostete statt des Wassers und der Früchte nur den Geschmack des Hungers und das Brennen des Durstes.

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