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Ein Dorf namens Akkon

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DÜSTER UND DUNKEL STEIGEN die steilen Felswände der Pylae Ciliciae empor. Durch dieses ge-schichtsträchtige Felstor braust der Tschakytfluß, hat Menschenhand schon vor Jahrtausenden einen Pfad in den Stein gegraben, hat moderne Technik eine Autostraße gesprengt.

Die Fahrt ist voller wilder, berauschender Schönheit und blendet in ferne Zeiten zurück. Hier zogen Königin Semiramis und der Perserkönig Darius, Alexander der Große, byzantinische Heere und Harun al Raschid, führte Gottfried von Bouillon die ersten Kreuzfahrer zur Eroberung Jerusalems.

Erwartungsvoll fahren wir den heiligen Stätten in Nahost entgegen. Wir ahnen noch nicht, daß uns die Spuren der Kreuzritter bis In den tiefsten Süden begleiten werden und monumentaler und augenfälliger sind, als die Spuren der Bibel. Die mächtigen, fränkischen Trutzburgen

— man kann trotz Zerstörungen durch Kriege und Erdbeben kaum von Ruinen sprechen — beherrschen heute noch Gebirgspässe, Karawanenstraßen und die Küste. Wer diese versteinten Epen zu lesen versteht, dem erschließt sich eine phantastische Welt, in der sich abendländische Ritter und mörgenländische Sultane kämpfend gegenüberstanden, eine Welt, in der christliche und islamische Ritterideale eine glückliche Synthese eingingen und das Abendland die Begegnung mit den alten Kulturen des Mittelmeeres erlebte.

Im flirrenden Sonnenglast der fruchtbaren kilikischen Ebene wacht eine wohlerhaltene Frankenburg über die Baumwollfelder um Adana und die Heerstraße der Kreuzfahrer

— heute eine asphaltierte Prachtstraße — zur Hafenstadt Iskenderun (Alexandrette) und zu dem in reizvoller Landschaft ruhenden Antakya (Antiochia). Wir stoßen auf die Namen edelster abendländischer Geschlechter: Balduin, nachmals erster König von Jerusalem errichtete die Grafschaft Edessa, Tankred von Hauteville, Held von Tassos „Befreitem Jerusalem“, regierte das Fürstentum Antiochia, und die Familie Laroche erbaute ihre Burg im Vorgebirge von Hinzum.

EIN STRATEGISCH WOHLDURCHDACHTES Verteidigungssystem schützte die fränkischen Fürstentümer. Immer waren zwei Burgen so angelegt, daß sie sich mittels Leuchtsignalen verständigen konnten. Drohte Gefahr, so flammten Gebirge und Küste vom majestätischen Krak des Chevaliers im Norden bis Akkon und Cäsarea im Süden. Zwei, durch Türme verstärkte Mauerringe umschließen das Kernwerk der Festungen: Burgkapelle. Großen Saal, Wohnräume und den hohen Wachtturm. Die tiefen Gewölbe faßten ungeheure Vorräte. Man war für die Versorgung einer mehrere tausend Mann und Pferde zählenden Besatzung während einer langen Belagerung wohlgerüstet! Die elegante Architektur des Innenhofes, edles Maßwerk. Spitzbogenportale und Fresken zaubern ein Stück der fernen Heimat in das Land zwischen Meer und Wüste. Wir dürfen uns Wandbehänge, kostbare Teppiche und Möbel vorstellen und auch farbige Lichtbündel, die durch die bunten Fenster fielen. Man hatte ja die orientalische Kunst, farbiges Glas herzustellen, rasch gelernt. Die wei: teri Höfe widerhallten vom Waffen -geklirr der Turniere und wenn unter dem sternenbestickten Schleier südlicher Nächte die Becher klangen, so sangen wohl Troubadours und Minnesänger die neuesten Epen vom Hl. Gral oder von Isolde Weißhand und priesen die Reize der schönen Melysinde von Tripoli, der „Prinzessin aus der Ferne“. Denn schon waren große Damen, die französische Königin Eleonore, Sybille von Flandern und die Gräfinnen von Bloislmd Toulouse ihren Gatten gefolgt und verwandelten die wehrhaften Schlösser in Zauberreiche des Luxus und der Heiterkeit.

Orientalische Moden und Sitten drangen in die fränkischen Reiche ein. Man liebte es, gehüllt in Beduinengewänder, auf Teppichen hok-kend zu speisen und das Fürstentum Antiochia ließ Münzen „im Namen des Groß-Emirs Tankred“ prägen. Der Wappenspruch der Troubadours: „Prou et courtois“ — —„Stolz und höflich' war ein Geschenk der Wüste.

HERZSTÜCK DES „LATEINISCHEN ORIENTS“ war die mit Hilfe der Genuesen errichtete Grafschaft Tripoli. Raymond de Saint Gilles, Graf von Toulouse, hielt im Jahre 1104 triumphalen Einzug in die immer noch sehenswerte romanisch-gotische Kathedrale „Notre-Dame de Tortosa“. Tartus (Tortosa) bietet uns einen Blick auf die nahe Insel Ruad mit dem erst 1302 übergebe-nen letzten fränkischen Stützpunkt und die in Dreiecksform angelegte Zitadelle Margat

Die von Graf Raymond auf dem Pilgerberg im heutigen libanesischen Tripoli erbaute Festung Sanschill diente nach ihrer Eroberung durch die Araber lange Zeit als Steinbruch und verrät nichts mehr von jenen glanzvollen Tagen, als die von exotischem Duft umwehte Melysinde. die „minnigliche Frouwe“ Hof hielt und zur Heldin eines höfischen Ro-manes wurde. Die Marienkathedrale der Feste ist verschwunden, im nahen Jabail aber, dem Giblet der Kreuzzüge, rufen immer noch die Glocken der herrlichen Johanniskirche aus dem frühen 13. Jahrhundert fromme Maroniten zum Gebet. In vollendeter Harmonie vereinen sich an diesem Gotteshaus romanische Säulen und das fränkische Südportal mit arabischen Stilelementen. Aus den Steinen phönizischer und römischer Tempel bauten die Ritter das mächtige Kastell. Jebail, das uralte Byblos, ist ein ärmliches Fischerdorf, während das zwei Autostunden weiter südlich gelegene Saida — einst das durch die Purpurgewinnung berühmte phönizische Sidon — als Endstation der Pipeline zu neuem Leben erwacht. Eine abendliche Stunde am Ufer Saidas zu verträumen, zählt zu den erlesen-nen Vergnügen einer Reise ins Hl. Land. Die sinkende Sonne verwandelt die See in flüssiges Kupfer und vergoldet die fränkische Meeresburg Saint-Louis auf einem nahen Eiland Zwischen Saida und Tyrus, in dessen Kathedrale ein Teil der Gebeine Friedrich Barbarossas zur ewigen Ruhe gebettet wurden, reckt im Landesinneren Schloß Beaufort seine klobigen Türme in das tiefe Blau des palästinesischen Himmels.

UNHEILVOLL SCHNEIDET DER EISERNE Vorhang das Heilige Land in zwei Teile. Wir können nicht direkt in das rund 30 km entfernte israelische Akkon gelangen, sondern nur durch das Mandelbaumtor in Jerusalem israelischen Boden betreten. Mit der sagenumwobenen Kreuzritterfestung Akkon, einem der größten Bollwerke der Welt, schlagen wir das blutigste Blatt im ritterlichen Epos der Kreuzzüge auf. Seit altersher wichtiger Handels- und Hafenplatz, war Akkon in der christlichen Ära bis zum Einfall der Araber Bischofsitz. 1104 kamen die Kreuzritter und bauten St. Jean d'Acra, wie es nun hieß, zum bedeutendsten Landeplatz aus. Als aber Sultan Saladin in der mörderischen Schlacht bei den Hattins-hörnern das christliche Heer vernichtend schlug und König Guido von

Lusignan gefangennahm, da ging im ersten Schrecken auch Akkon verloren. Schon zwei Jahre später landete ein riesiges europäisches Heer — der Dritte Kreuzzug, der Kreuzzug der Könige nahm seinen Anfang. War auch Friedrich Barbarossa im kleinasiatischen Fluß Salef ertrunken, so führten Richard Löwenherz und Ludwig der Heüige schwerbewaffnete Reisige heran, die unter dem Befehl des freigelassenen Königs Guido das nunmehr arabische Akkon einschlössen. Die Moslems waren zäh. Während der zweijährigen Belagerung werden die Begebenheiten des kriegerischen Alltags zu Sagen und Legenden, die Troubadours im fernen Europa einer atemlos lauschenden Ritterschaft vortrugen. Die Beziehungen zwischen den sich bekämpfenden Heeren waren ritterlich und beinahe freundschaftlich. So ließ der großherzige Saladin dem erkrankten König von Frankreich Brathühner und dem hitzeempfindlichen englischen König einen Kühltrank senden. Das endlich eroberte Akkon wird, da Jerusalem endgültig an Saladin verloren war, zur Hauptstadt des Königreiches Jerusalem. Hier residierten König und Patriarch, hatten die Temoler und Johanniter ihren Sitz, wurde der Deutsche Ritterorden gegründet. Am Palmsonntag 1192 schlägt Richard Löwenherz den Bruder Saladins, den er aus politischen Gründen zum Gemahl seiner Schwester ausersehen hatte, zum Ritter und schließt mit Saladin Frieden.

In dieser glücklichen Epoche landete Franz von Assisi in Akkon und gründete den ersten Franziskanerorden im Heiligen Land. Seit dieser Zeit wachen die Brüder über die heiligen Stätten und haben ihre Treue nur allzuoft mit ihrem Blute bezahlt — man schätzt die Zahl ihrer Märtyrer auf 4000.

Nur ein Jahrhundert blieb Akkon ein Hort der Kreuzfahrer. Zwietracht, Habgier und der persönliche Ehrgeiz geistlicher und weltlicher Fürsten unterhöhlten die ritterliche Gesinnung. Die Todesstunde Akkons und damit auch die des abenteuerlichen Unternehmens der Kreuzzüge schlug, als der ägyptische Sultan 1291 mit einem gewaltigen Heer heranrückte. Die islamischen Sieger metzelten 60.000 Christen nieder.

DAS HEUTIGE AKKON IST EIN malerisches arabisches Dorf mit allem Zauber, aber auch mit allem Schmutz des Orients. Die Mauern der Zitadelle — die Irrenanstalt des Staates Israel — bleichen im Sonnenlicht, ein paar Palmen halten still ihre Kronen in die Mittagsglut, und der Ruf des Muezzins tönt durch die lange Bazargasse. Die große Moschee steigt wie ein lichtes Wunder aus den Blüten und Palmen des Vorhofes. Der prachtvolle Marmor stammt vom antiken Ruinenfeld von Cäsarea Maritima, der luxuriösen, römischen Weltstadt. Noch umschließen massige Mauern den Raum der Kreuzritterstadt Cäsarea, die aber niemals die Größe der römischen Metropole erreichte. Noch stehen die Trümmer des byzantinischen Klosters, in dem die Ritter den Hl. Gral fanden, jene kostbare Schale, aus der Jesus beim letzten Abendmahle getrunken und “Joseph von Arimathea das Blut des Gekreuzigten aufgefangen haben soll. König Balduin I. brachte das vielbesungene Kleinod nach Europa.

Es ist still geworden im Hafen von Cäsarea. Wie vor acht Jahrhunderten schäumt die Brandung um moosbewachsene Bastionen und um die von Kreuzfahrern aus römischen Säulentrommeln und Pilastern erbaute Mole. Doch wo die Kreuzflagge über der stolzen Flotte und den mit orientalischen Köstlichkeiten beladenen Seglern aus Venedig und Genua wehte, kreuzen Fischerboote, träumt ein kleines Minarett. Im Jahre 1256 eroberte der Mamelukensultan Bay-baras die wie für die Ewigkeit gebaute Burg und ließ die Stadt zerstören. Nie wieder ist sie auferstanden und das Epos der Kreuzzüge, das die mittelalterliche Welt in Atem hielt ist verklungen.

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