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EIN ERINNERUNGSBLATT

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TJine Ludwig-Mestler-Gedenkausstellung wurde in der Joan-Peterson-Gallerie in der Newberry Street, dem Bostoner Kohlmarkt, eröffnet. Nicht ohne ein Gefühl tiefen Schmerzes kann ein Freund des Künstlers diese Räume betreten, dessen erster Gedanke dem in Elend und Armut zugrunde gegangenen Menschen gilt. Dennoch ist diese Ausstellung gerade ein Sieg, den der Künstler am stärksten angestrebt hat.

Ludwig Mestler, der am 25. August 1891 in Wien geboren wurde, hat es sich nicht leicht gemacht. Er war von seiner Sendung als Künstler und Mensch überzeugt, sein Leben und Werk nur nach dem Gesetz, das ihm seiner Natur entsprechend erschien, zu gestalten. In seinem künstlerischen Werk blieb er einem Realismus verpflichtet, der seine Ahnen im Aquarell Dürers und Rudolf von Alts hat. Im Leben führte ihn seine Kompromißlosigkeit in eine Einsamkeit, wo oft Wahrheitssuche als irritierende Selbstgerechtigkeit erschien. Seine Lebenslinie war keine gerade, aber der Künstlerwille in ihm überwand alle Hindernisse. Menschliche Liebe und wirkliche Anerkennung leuchteten sehr selten in seine soziale und künstlerische Isolierung; er blieb mit seinem Werk, an das er fanatisch glaubte, allein.

T udwig Mestler absolvierte die Wiener Technik und diente als Offizier im ersten Weltkrieg. Nach dem Krieg wanderte er nach Amerika aus und arbeitete als Architekt in den Jahren der großen Prosperität und Prohibition in New York. Er zeichnete und malte; mit einem leichten Pinsel setzte er Figuren und Landschaft aufs Blatt, gemalte Tagebuchblätter. Aber er wußte, daß Künstlertum eine andere Schule verlangt, und mit seinen Ersparnissen kehrte er 1931 in seine österreichische Heimat zurück und inskribierte an der Akademie der bildenden Künste. Er begann seine neue Lehrzeit unter Arthur Paunzen und wurde in Karl Sterrers Meisterklasse •aufgenommen. Hunderte von Skizzen zeugen noch von diesen Lehrjahren. Aus den frühen dreißiger Jahren finden wir viele heitere Erinnerungsblätter an Ferienaufenthalte: Como, St. Wolf gang, Mauthausen — konventionelle Aquarelle.

Um 1934 tauchten die ersten Arbeiten auf, in denen Mestler einen Stil zu entwickeln beginnt, der seinem Werk einzigartige Signatur gibt. Mestlers Bestreben ist, die unheimliche Variation der Farbennuancen, die die kleinste Fläche in der Landschaft bietet, im Aquarell zu spiegeln und die Gesamtstruktur des ausgewählten Gegenstandes zu bewahren. Die Sorge und Liebe, mit der der Weinbauer und Schrebergärtner jeden Stock und jede Stelle Grund umhegt, ist dieselbe, mit der der Künstler seinen Gegenstand im Aquarell erfaßt. Es ist, diese direkte Beziehung zu seinem Objekt, die Mestlers Blättern eine Intensität zu verleihen beginnt, die sich von da an immer mehr steigert. Vertraut und doch in künstlerischem Schaffensakt verwandelt, begegnet uns in Mestlers Aquarellen die bekannte Landschaft, die Vorstadt, die sich fast unmerklich im Wienerwald auflöst, die Häuserzeilen an den Ufern des Donaukanäls, Brücke und Schiff. Mestler arbeitete mit leichten, ganz kurzen Pinselstrichen, „nachimpressionistisch“, und es gelang ihm, in verhältnismäßig kleinen Bildrahmen Nahes und Fernes zu bannen. Er stellte nur wenige menschliche Figuren in die Landschaft, und ihre einzige Funktion ist, die Eigenart der Gegend hervorzuheben. Die Dynamik, die seine Bilder bewegt, erzielt Mestler mit den sparsamsten Mitteln, durch einen kleinen hellen Farbblock, oft durch die Führung eines Zaunes. Keinen anderen Gegenstand hat Mestler in seinen Bildern öfter verwendet als den schlichten Zaun, und es wäre nicht ganz verfehlt, ihn den Meister des Zaunes zu nennen.

Neben den Aquarellen entstehen zahllose Zeichnungen und Radierungen. Was von den Aquarellen gesagt wurde, gilt auch von den Radierungen. In ihnen wirbt er oft um die weiche Schneelandschaft; die Härte seiner Linienführung und das kraftvolle, tiefe Schwarz der Drucke geben diesen Radierungen einen besonderen Reiz.

Die Machtergreifung, 1938, trieb Mestler zurück nach Amerika. Vor seiner Abreise wagte er noch einen letzten Besuch in die Steiermark, um die geliebte Landschaft noch einmal in atemberaubend schönen Zeichnungen festzuhalten.

~\A estlers Entscheidung ist damals gefallen; er war von seiner ••*-“ - Berufung zum Künstler überzeugt und nicht mehr gewillt, einen Augenblick seines Daseins einer anderen Arbeit zu geben. Er siedelte sich in den Vororten Bostons (Brookline und später Cambridge) an, malte und zeichnete. Das Auge des Zeichners und Architekten entdeckte die klaren und einfachen Linien der puritanischen Kirchen, und es entstand eine bedeutende Serie von Radierungen. Wiederum zog ihn die Winterlandschaft an, aber diese von scharfen Gegensätzen von ,.Feuer und Eis“, ein Bild des heimatlichen Dichters Robert Frost, gezeichnete Landschaft, stellte neue Anforderungen an Mestler. Eine innere Affinität zwischen dem Menschen und Künstler Mestler und der Landschaft erklärt vielleicht am besten diese Phase seines Schaffens. Zunächst gestaltete er die Landschaft in Radierungen; eine von diesen „New England Winter Loneliness“ (New England Wintereinsamkeit) ist hier wiedergegeben. Die kaum aufeinander bezogenen, isolierten Stämmchen stehen im weißen, durch wenige gewölbte Linien angedeuteten, Schneefeld. Die Ökonomie der Darstellung erinnert an orientalische Zeichnungen, ist aber bedingt durch den Charakter der Landschaft

Mestler entdeckte die Küstenstriche nördlich von Boston und die Farmsiedlungen im wiesen- und waldreichen Vermont. Stahlhartes Licht enthüllt die New-England-Landschaft in unerbittlicher Klarheit, setzt Baum, Fels und Gras gegeneinander ab. Weiß angestrichene Balken rahmen die roten und grauen Holzhäuser ein, grenzen sie vom blauen Himmel scharf ab. Dieses Landschaftsbild, das eine besondere Reinheit und spröde Schönheit auszeichnet, entsprach dem kompromißlosen und einsamen Wahrheitssucher. In zäher und erschöpfender Arbeit vervollkommnete Mestler die Aquarclltechnik, die er in Österreich zu entwickeln begonnen hatte. Mit winzigen Farbziegeln baute er seine Aquarelle auf, und man könnte von einem verwandelten Pointiiiismus oder von Mosaiktechnik sprechen — und doch ist damit Mestlers Stil nicht definiert. Nichts Schematisches haftet seinen Darstellungen an, und die Farbziegel erleben die phantasievollsten Verwandlungen, die manchmal in der Formwelt Klees zu Hause sein könnten. Es ist einer der überraschendsten Aspekte seines Werkes, daß dieser traditionsverwurzelte Künstler eine ganz neue und originelle Komposition schuf.

Die Museen zollten Ludwig Mestler eine gewisse Anerkennung, und in den zwei bedeutendsten Sammlungen Bostons, im Harvard-Fogg-Museum und dem Museum Fine Arts, ist er mit Aquarellen und Radierungen vertreten. (Meines Wissens besitzt keine öffentliche österreichische Sammlung eine Arbeit Mest-lers.) Das Museum zeitgenössischer Kunst in Boston, das Worchester Museum of Fine Arts und das Atheneum in Hartford stellten seine Werke aus. Aber all dies und die spärlichen Privatankäufe ermöglichten ihm nicht, seine materielle Existenz zu sichern. Mestler zog es vor, die schmalen Renten, die ihm kaum Wohnstatt und tägliches Brot sicherten, aus den Händen der Armenversorgung entgegenzunehmen, als seine Zeit und Energie auf Gelderwerb zu verwenden. 1955 schrieb er in sein Tagebuch: ..Eines Tages, wenn ich nicht mehr bin, werden meine Arbeiten meine Lebensführung erklären und verteidigen.“

Der Hauptstrom künstlerischen Schaffens in Amerika in diesen Jahren ging eine andere Richtung. Einerseits beschäftigten die Maler die sozialen Themen, die oft in riesigen Wandgemälden ihre Darstellung fanden, anderseits begannen die Jungen ganz neue Wege zu gehen, die in den großen abstrakten Werken Jackson Pollocks, Philip Gustons und Jack Wolfes ihren bedeutenden Ausdruck finden.

Für Mestlers Anliegen gab es damals wenig Geduld und Verständnis. Er stand als Künstler und Mensch allein. Einer seiner jüngeren Malerkollegen bemerkte einmal: „Mestler trennt eine Glaswand von uns, diese unsichtbare Glaswand hat er in seinen Selbstbildnissen sichtbar gemacht.“

Tn den fünfziger Jahren wendete sich Mestler der Musik zu.

Eine Augenkrankheit lähmte seine Schaffenskraft als Zeichner und Maler. Am 20. März 1959 starb Ludwig Mestler, er hatte sich bei einem Fall auf dem Eis verletzt, und sein von Entsagung und Kämpfen aufgeriebenes Herz konnte nicht weiter.

Nicht immer reichte Mestlers Kraft, seinen großen Ansprüchen gerecht zu werden, aber die Blätter, in denen er sein Ziel erreichte, sind von wirklicher Originalität und großer Schönheit. Trotz seiner tiefen Verbundenheit mit der Landschaft New Englands starb er im Exil. Österreich hat ihn vergessen — und doch gehörte er zur europäischen Tradition. In seinem Werk schlug er eine Brücke vom Alten zum Neuen, eine zwischen, zwei Welten, deshalb soll hier an ihn erinnert werden.

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