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Ein Franzose über Zentraleuropa

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Mit Kritik an „Maastricht-Europa“ spart der französische Professor Pierre Behar nicht, nicht zuletzt deshalb, weil es die die Geopolitik gegenüber der Ökonomie vernachlässigt.

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Mit Kritik an „Maastricht-Europa“ spart der französische Professor Pierre Behar nicht, nicht zuletzt deshalb, weil es die die Geopolitik gegenüber der Ökonomie vernachlässigt.

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Pierre Behar, Universitätsprofessor für deutschsprachige Literatur und Kultur und zentraleuropäische Geopolitik, ist überzeugt, daß eine stabile Ordnung in „Zentral- und Balkaneuropa“ nur unter Berücksichtigung der geschichtlichen Erfahrung und kulturellen Besonderheiten der Völker hergestellt werden kann. Dementsprechend ausführlich behandelt der — interessantere - Teil seines Buches die Entwicklung der Völkerschaften in Zentral- und Mitteleuropa in den vergangenen Jahrhunderten, eine Geschichte, die von gegensätzlichen Interessen und irrationalen, heute noch virulenten Leidenschaften geprägt ist.

Nun sind die alten Ordnungen, einst vom Osmanischen Reich, dann von den Habsburgern und schließlich vom russischen Imperium getragen, zerstört. Die „alliierte Unordnung“ der Pariser Vororteverträge, die „monströse künstliche Gebilde“ schufen, wie auch die Vereinbarun gen von Jalta und Potsdam haben „rauchige und sperrige Ruinen“ (F. Fejtö) hinterlassen.

Jetzt gilt es, unter Berücksichtigung der geopolitischen Gegebenheiten und geostrategischen Erfordernissen ein neues, kontinental orientiertes Europa zu schaffen, das seine atlantischen Bindungen berücksichtigt, zugleich aber auch der neuen Herausforderung durch gesicherte Beziehungen zum euroasiatischen Rußland mit seinen elf Zeitzonen und zur türkischen Welt Rechnung trägt.

Behar erkennt die Notwendigkeit einer europäischen Zusammenarbeit an, verwirft aber das Modell eines europäischen Superstaates. Die „Erbsünde“ der Maastricht-EU bestünde im Versuch, „in jämmerlicher geistiger Beschränktheit … die ökonomischen Prinzipien, die beim Aufbau Europas maßgeblich waren, auf die politische Ebene zu transponieren“. Dieser Weg führe zur „De- strukturierung“ Zentral- und Mitteleuropas. Notwendig seien vielmehr „politische, diplomatische und mi litärische Abkommen …, die nach außen hin eine gemeinsame Diplomatie und eine gemeinsame Sicherheitspolitik festlegen und nach innen gutnachbarliche Beziehungen“ unter Wahrung von Minderheitenrechten „garantieren“. Die österreichisch-ungarische Monarchie sei dabei hilfreiches Beispiel.

Wie allerdings eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik angesichts der sehr unterschiedlichen Interessen ohne Souveränitätsverzicht der Länder in einem Staatenbund zustande kommen könnte, bleibt unklar. Der französische Professor meint, daß dazu ein politischer Wille vorhanden sein muß. Wie die Tragödie am Balkan zeigt, ist aber gerade dieser politische Wille — vielleicht mangels akuter externer Bedrohung - nicht vorhanden.

ZENTRALEUROPA IM BRENNPUNKT

Analysen und Perspektiven.

Von Pierre Behar.

Aus dem Französischen von B. und R. Kellermayr.

Styria Verlag, Graz/ VieniKöln 1994. 248 Seiten, öS 320,-.

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