Ein Kosmos der Weltkunst

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In München lockt die Ausstellung "Kunst über Grenzen".

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In München lockt die Ausstellung "Kunst über Grenzen".

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Seit Eröffnung des Musee Barbier-Mueller in Genf 1977 ist die kostbare Sammlung afrikanischer Kunst einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Daß sie aber nur Teil eines umfangreichen Kunstbesitzes ist, blieb - wie auch der Besitzer selbst - eher verborgen. In seinem Heimatort Solothurn gewährte der leidenschaftliche Sammler Josef Müller (1887 bis 1977) nur wenigen Zutritt zu seinen Werken der Klassischen Moderne, der Klassischen Antike und der außereuropäischen Kunst.

Worum sich namhafte Museen seit Jahren bemüht haben, ist Christoph Vitali in München gelungen: eine fast 400 Werke umfassende Auswahl ins Haus der Kunst zu holen, die auch Neuerwerbungen der nachfolgenden Sammlergenerationen in der Familie einschließt. Dem Titel der Ausstellung "Kunst über Grenzen" könnte man ein Zitat Josef Müllers hinzufügen, dessen weitgespannten Kunst-Horizont es hier zu bestaunen gilt: "Kunst ist Mensch, Mensch ohne Erklärung." Es ist gleichsam das Credo eines Mannes, der sein Leben der Kunst verschrieben hat, jenseits aller wissenschaftlichen Kriterien oder ethnologischen Interessen, allein auf die ästhetische und künstlerische Aussage des einzelnen Werkes vertrauend.

Von Jugend an pflegt er den Umgang mit Künstlern. Schon als Ingenieur-Student (wider Willen) zieht es ihn in die großen Museen, Sammlungen und Galerien, und mit dem Ankauf seines ersten Bildes des Schweizer Cuno Amiet 1908 läßt ihn die Kunst nicht mehr los. Für ein Jahr dessen Maler-Schüler, entscheidet er sich aber für den Dialog mit der Kunst, oft unterstützt von seinen gleichfalls kunstbegeisterten Schwestern. Enge Freundschaft verbindet ihn mit Cuno Amiet wie mit Ferdinand Hodler, später mit Giovanni Giacometti, mit Georges Rouault, schließlich mit Yves Tinguely. Hodlers "Eiger, Mönch und Jungfrau" hat ihm "den Kopf verdreht", 1909 erwirbt er dessen großformatige, damals "anstößige" Tafeln "Liebe" (1907/08).

1911 entdeckt der 24jährige Cezanne: durch Vermittlung von Amboise Vollard erwirbt er später "Portrait des Gärtners Vallier". Es folgt Renoir, herausragend "Die bulgarische Bluse". In Amerika, wo er sich von 1912 bis 1914 aufhält, wird Josef Müller wahrscheinlich die legendäre Amory Show 1913 in New York gesehen haben; vor allem aber begegnet er bei Arthur Jerome Eddy erstmals Werken von Kandinsky: "Ich wußte nicht, was es war, aber es war etwas." Die zeitgenössische Kunst hat ihn wie ein Blitz getroffen, und er reagiert sofort. Zurück in Europa, läßt er sich von Waldens Galerie Der Sturm in Berlin zwei Kandinskys zur Ansicht schicken: "Komposition V" ("Auferstehung"), jenes Bild, das 1911 zum Eklat in der Neuen Künstlervereinigung München geführt hatte, und "Improvisation 31" ("Seeschlacht") von 1913. Josef Müller behält beide Werke, die ersten abstrakten Bilder, Inkunabeln der Klassischen Moderne.

Das Gespür des Schweizers für herausragende Qualität wie sein Mut zu Innovationen bestimmen den Aufbau seiner Sammlung. So kauft er neben den frühen Picassos auch Werke des analytischen Kubismus, auch von Braque. Er entdeckt für sich den noch jungen Surrealisten Miro, nach dem Krieg erwirbt er Werke der Art Brut Dubuffets, darunter den berühmten "Kohlenhändler" von 1946.

Für seine Sammlerleidenschaft ist er stets zu Opfern bereit, so bringt er für Cezannes "Badende" das Einkommen eines Jahres auf. In seinem Pariser Atelier lebt er von 1922 bis 1942 ohne jeglichen Komfort in drangvoller Enge inmitten der Bilder, Skulpturen und Objekte. Bedingt durch die zunehmend schwierige Wirtschaftslage weicht Müller zunehmend auf Bereiche aus, die schon früher sein Interesse geweckt hatten. Seine einzige Afrika-Reise 1923 bleibt ohne Erwerbungen, aber seit Mitte der dreißiger Jahre und vor allem nach seiner Rückkehr in die Schweiz gelingt es ihm, eine der herausragendsten Sammlungen außereuropäischer Kunst aufzubauen.

Müllers Sammlung ist im engsten Kontakt mit dem Beginn und der Entwicklung der modernen Kunst entstanden. Dem allgemeinen Zeitgeschmack voraus, verband ihn mit den Künstlern die Suche nach der Reduktion der Formen. Er fand sie in den zeitgenössischen Werken der europäischen Kunst, aber auch in archaischen Bildwerken wie in Artefakten außereuropäischer Kulturen. Die Ausstellung versucht nicht, die Erscheinungsform dieser einzigartigen Sammlung nachzuzeichnen. Aber es gelingt ihr vorzüglich, einen in sich lebendigen Sammlungsorganismus in ungewöhnlichen Gegenüberstellungen zu präsentieren, die spannungsvolle Dialoge über Epochen und Kulturen hinweg entstehen lassen. So nehmen etwa Werke von Picasso und Modigliani eine Senufo-Figur in ihre Mitte, Picasso und Braque sind Masken aus Gabun und dem Kongo nahe, Ozeanische Statuen treten in Beziehung zu der großen Werkgruppe von Leger, Japanische Rüstungen des 17. Jahrhunderts begleiten Fontanas stählernen "Concetto spaziale". Ein überraschender Kosmos der Weltkunst und eine brillante Hommage an das Lebenswerk Josef Müllers.

Bis 30. Mai Täglich 10 bis 22 Uhr Haus der Kunst, München, Prinzregentenstr. 1

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