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Ein Künder und Deuter der Zeit

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In einer Zeit, in der die politischen und geistigen Ideen und Grundsätze aufeinanderprallen, sucht man Menschen, die im Leben und im Werke ein in sich geschlossenes Persönlichkeitsideal verkörpern, die keine Bruchlinien aufweisen und die „auf einer höheren Warte als auf der Zinne der Partei stehen" Freiligrath. Frankreich kann in der Gegenwart auf Persönlichkeiten weisen, die zwar von verschiedenen Weltanschauungen ausgehen, aber doch ihren Beitrag zur Kunde und Deutung der Zeit bieten, wie etwa der 1945 verstorbene feinsinnige und schwer verständliche Individualist Pau! Valery geboren 1871, der vielgewandte Andre Gide geboren 1869, für die europäische Einheit eintretend, und Paul Claudel, der aus innerster Überzeugung in Wort und Tat sich für die katholische Weltanschauung in ihrer ganzen Weite kompromißlos einsetzt.

Am 6. August 1868 geboren, ist er herangewachsen in der Zeit der Dritten Republik, einer Epoche, die im Positivismus und Materialismus nur das Nachweisbare und Greifbare gelten ließ, von Metaphysik und Religion aber nichts oder nicht viel wissen wollte. In der Literatur und im Geistesleben pflegte diese Zeit nach Überwindung der Romantik und der besonders die künstlerische Form -betonenden parnaßdichtung den Realismus und Naturalismus Mau- passant, Zola, Manche Dichter, wie die genialen, aber im Leben hin- und hergeworfenen Verlaine und Rimbaud, waren zum Symbolismus gelangt. Andere kamen auf verschiedenen Wegen zu einer sich zwar katholisch nennenden konservativen Dichtung, welche die durch jahrhundertelange Verbindung von Königtum und Kirche traditionelle Stellung der Hierarchie als Ordnungsmacht zwar bewunderte, wie etwa Bourget, oder zu einem ästhetisierenden Katholizismus, wie Huysrnans, niemals aber die katholische Totalität zu erfassen imstande waren.

In dieser Zeit ist Claudel gereift, hat sich aber nach seinem Weihnachtserlebnis 1886, als ihn der Strahl der Gnade traf, und in dem nachfolgenden Ringen zur vollen Verkündigung der christlichen Lehre in ihrer ganzen Weite durchgekämpft und ihr sein künstlerisches Schaffen geweiht. Er ist lange im aktiven politischen Leben gestanden und hat als weitgereister Diplomat seinem Vaterlande im Fernen Osten China und Japan wie in Amerika USA und Brasilien gedient und so weltaufgeschlossen die Einrichtungen und Sitten vieler Völker studiert und betrachtet. Auch daraus gewinnen seine Werke eine eigene weltweite Note.

Claudel ist ein Dichter von tiefempfundener religiöser Lyrik, von Hymnen und liturgisch inspirierten Gedichten, die Diesseits und Jenseits, Menschliches und Göttliches in engste Verbindung setzen und verherrlichen. Zugleich ist er der Schöpfer gewaltiger Dramen. Seine Werke stellen entweder die schweren Folgen der Verletzung ewiger Wahrheiten und Gesetze dar, wie etwa „L’Etange" „Der Tausch“, 18934 oder die Trilogje „L’Otage" „Der Bürge", 1911, „Le Pain dur“ „Das harte Brot“, 1918 und „Le Pere humilie" „Der gedemütigte Vater“, 1920, oder er hebt die Macht jenes Glaubens hervor, der sogar Wunder zu bewirken imstande ist, wie in der mehrfach von 1892 bis 1940 immer wieder umgeürbeiteten „L’Annonce faite a Marie“ „Die Verkündigung“, oder aber er schafft ein überzeitliches metaphysisches Spiel, das Natur und Übernatur zur Einheit gestalten will, wie in seinem „Soulier de Satin“ „Der Seidenschuh“, 1927. Dis Drama ist die Claudel eigenste Kunstform, wie er ja in seinem zusammenfassenden philosophischen Werke „Art poetique“ 1907 den Menschen als Schauspieler und Mitwirker des ganzen Weltgeschehens betrachtet. Dieser Gedanke ist seit der Antike durch das Mittelalter zu verfolgen, hat bei Calderon im „Großen Welttheater“ eine gültige Form gefunden, bis Hugo von Hofmannsthal 1922 ihm in seinem „Salzburger Großen Welttheater“ die für unsere Zeit wertvollste Fassung gegeben hat.

Claudel zeigt in seinem philosophischen Werk „Art poetique", wie der Kosmos,, den Gott schafft und den der Dichter nachzuschaffen und zu gestalten sich bemüht, als einheitliche Schöpfung von Gott ausgeht und wieder zu ihm zurückkehrt. Alles ist mit allem in Zusammenhang, und wenn diese Ordnung irgendwo gestört ist, dann leiden auch die anderen Glieder. Der Mensch kann vermöge dieses inneren Zusammenhanges auch die übrigen Glieder der Welt erkennen — Claudel verwendet ein unübersetzbares Wortspiel von connaissance und co-naissance etwa Verstehen und Mit-ent- stehen, Innewerden und Zusammen-geboren- werden. Die Aufgabe des Menschen aber ist es, die ihm zugewiesene Rolle im großen Weltenschauspiel richtig darzustellen und so Gott zu dienen. Diesen Ideen hat Claudel auch in verschiedenen kleineren Schriften und Essais Ausdruck verliehen.

Der Dichter und Philosoph ist schließlich auch in die Reihe der christlichen Theologen eingetreten. Besonders in den letzten Jahren hat er in mehreren noch nicht übersetzten Werken, wie „Un Poete regarde la Croix“ „Ein Dichter betrachtet das Kreuz“, 1935, „L’Epee et le Miroir“ „Das Schwert und der Spiegel“, 1939, „Presence et Prophetie" „Gegenwart und Prophezeiung“, 1942 und anderen, in tiefer und gedankenreichen Ausdeutung seine im Laufe eines langen Lebens gesammelten Erfahrungen in weitreichenden und von tiefer Religiosität durchdrungenen Betrachtungen zu einer großen Einheit zu verarbeiten gesucht. So kommt er zu einer wirklich überwältigenden Ausschöpfung der einfachen Bibeltexte für unsere Zeit und zu eine,- Höhe und zu einer vertieften Menschlichkeit. Aus seiner gläubigen und doch im Bewußtsein eigener Felder demütigen Haltung möchte er -allen Menschen von seinem weiten Horizonte aus helfen und sie zu Gott führen. Diese Haltung zeigt auch seine nur wenig bekannte Korrespondenz mit dem französischen Kritiker Jacques Riviere 1886 bis 1926, den er trotz aller Schwierigkeiten nach Zerstreuung aller Zweifel zu wahrer Gottesund Nächstenliebe bringen konnte.

Der Dichter hat, wie Claudel einmal sagt, keinen speziellen, sondern allgemeinen Nutzen zu bringen wie eine Turmuhr. Er hat wie diese am Glockenturm die Zeit zu weisen, unbekümmert darum, ob sie Beachtung findet. So schafft Claudel, unbeküm-mert um Kritik und Beifall, demütig und bescheiden seine Werke. Das Wort in seiner ganzen Bedeutung, das Symbol als künstlerischer Ausdruck — Claudel verweist ausdrücklich auf Rimbaud, der ihn auch gelehrt hat —- wird mit einer scheuen Ehrfurcht verwendet, seine Sprache ist erhaben und getragen und will in ihrer ganzen Form und Bedeutung erfaßt werden.

Mit und nach Claudel setzt in Frankreich der Renouveau catholique, die katholische Erneuerungsbewegung, ein, in der . feinsinnige Lyriker, wie sein Altersgenosse Francis Jammes, Dramatiker, wie Henri Gheon geboren 1875 und Francois Mauriac geboren 1885 und der .-kürzlich verstorbene Georges Bernanos 1888 bis 1948, hervorgetreten sind. Man kann indes nicht von einer Schule Claudels sprechen, denn er jteht unerreicht hoch, aber er hat das ganze irdische Geschehen in den Bereich des Metaphysischen und Religiösen gestellt und dadurch auf die französische und europäische Geistesentwicklung starke Wirkungen ausgeübt.

So steht Claudel, verwurzelt in seinem Volke und seiner ostfranzösischen Heimat, aufgeschlossen dem Fortschritt auf allen Gebieten, vor der Menschheit des 19. und 20. Jahrhunderts, und indem er alles in sein gewaltiges, das Diesseits und Jenseits umfassendes Denken einordnet, zeigt er die Möglichkeit der Verbindung katholischer, aus dem Mysterium der Gnade und der Sakramente erwachsenen Haltung mit den Forderungen der Gegenwart.

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