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Ein Künstlerleben

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„Wenn ich nach Wien komme, führt mich einer meiner ersten Wege hinaus auf den Zentralfriedhof zur Grabstätte von Johannes Brahms. Bevor ich noch diesen riesigen Totenacker betrete, ergreift mich die Rührung bei der Erinnerung an den Meister, der mir Leitstern und Führer wurde für mein künstlerisches Schaffen. An der Stätte, die alles birgt, was an Brahms sterblich war, finde ich die innere Ruhe, aus der mein eigenes Schaffen neue Kraft zieht, wie seine Musik mein eigenes Gestalten immer und immer wieder befruchtet. Auch Heiligenstadt, dort wo Beethoven sein künstlerisches Testament geschrieben hat, bildet für mich ein Refugium der Stille und inneren Einkehr.“

In diesem Bekenntnis liegt der Schlüssel zu ,der künstlerischen Gesamtpersönlichkeit Joachim-Carl Friedrichs, in der sich der Graphiker und Maler mit dem Musiker zu außergewöhnlich starker Einheit zusammengefunden hat, zu einer Harmonie, wie sie nur ganz selten zu finden ist. Sie Lst in seinem Werdegang begründet.

In Berlin am 19. Februar 1904 als Sohn eines Wissenschaftlers geboren, einen Tag nach dem Tode Feuerbachs, war er bis zu seinem neunten Lebensjahre ein Durchschnittsjunge, der das ihm anbe/oh'ene Klavierspiel verabscheute, bis beim Anhören der drei Intermezzi (op. 17) von Johannes Brahms die große Wende in der Entwicklung des Knaben eintrat, die ihn zur Musik führte. Als er später der e-moll-Symphonie des Meisters lauschen durfte, wurde ihm dieses Werk zur Schicksalsmelodie im wahrsten Sinne des Wortes. Er absolvierte in seiner Vaterstadt die Hochschule für Musik sowie die Akademie der bildenden Künste und vertiefte und erweiterte seine künstlerische Ausbildung während eines längeren Aufenthaltes in München, wo er in Adolf Schindler einen ausgezeichneten Lehrer fand. Auf seinen Rat begab er sich nach Wien, um an der Albertina zu kopieren und die Meisterblätter alter Graphik genau zu studieren. Wien als langjähriger Aufenthaltsort seines geliebten Brahms bildete für ihn auch weiterhin einen Hauptanziehungspunkt. Seit etwa drei Lustren verweilte er zumeist auf österreichischem Boden in verschiedenen Orten, bis er vor sechs Jahren in E h r w a 1 d seinen ständigen Aufhalt nahm.

Der zweite Weltkrieg hat auch Friedrich für einige Jahre seiner künstlerischen Tätigkeit entzogen, Verfolgungen politischer Art blieben ihm gleichfalls nicht erspart. Nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst widmete er sich mit ungebrochener Kraft seinen künstlerischen Aufgaben. Eine von der österreichischen Kulturvereinigung für die nächste Zeit geplante A u s s t e 11 u n g von Werken dieses Künstlers wird auch der Wiener Öffentlichkeit Gelegenheit bieten, einen Maler und Graphiker kennenzulernen, der in mehr als zwanzig Galerien und Museen bereits mit Proben seines Schaffens vertreten ist.

Der Grundzug seines künstlerischen Gestaltens ist eine außerordentliche Musikalität. Friedrich ist nicht nur selbst ausgezeichneter Musiker, der als Konzertpianist, zumeist im Vereine mit dem Klingler - Quartett, erfolgreich aufgetreten ist, sondern die Musik durchpulst und befruchtet auch sein graphisches und malerisches Schaffen in ungewöhnlich hohen Ausmaße. Aus dem musikalischen Erlebnis heraus entwickelt sich seine graphische und malerische Gestaltung. Dies zeigt sich nicht nur in der Wahl seiner künstlerischen Motive, sondern auch in der Art der Durchführung.

Aus der musikalischen Grundhaltung der Künstlerpersönlichkeit Friedrichs ergibt es sich auch, daß er vor allem Graphiker ist. Im Rhythmus der Linien, im Aufbau der Bildkonstruktion tritt der musikalische Charakter seiner Kunst stark hervor, seine graphischen Kompositionen sind Zyklen, gleichsam in symphonischen Sätzen aufgebaut, oder auch Einzelblätter, die wie stimmungsvolle Lieder anmuten. Romain Rolland sagt so schön von seinem Jean-Christophe: „Alles, was ihn umgibt, wird ihm zur Melodie.“ Dieser Ausspruch gilt auch für Friedrichs Zeichenkunst. Seine Naturstudien, ein paar einfache Bergblumen, ein Wiesenhang, der Wildbach, der sich zwischen Felsblöcken hindurchzwängt, mit altmeisterlicher Feinheit und vollendeter Technik gezeichnet, atmen geradezu die Musikalität der Naturausschnitte, sie bringen uns nicht nur die mit den Augen erfaßbare Schönheit der Landschaft zum Bewußtsein, sondern es klingt aus ihnen auch der ganze Zauber der beseelten Natur heraus, dieses Summen, Raunen und Rauschen, das uns umgibt, wenn wir an stillen Sommertagen in der Bergeinsamkeit für die Natur ganz aufgeschlossen sind.

Während Friedrich in diesen Blättern in liebevoller Detailzeichnung schwelgt, betont er in seinen Bildniszeichnungen vor allem das Wesentliche der dargestellten Persönlichkeit. Über sechshundert Porträtgraphiken schuf er in mehr als zwanzig Jahren; darunter finden wir eine Reihe der wichtigsten geistigen Persönlichkeiten Deutschlands vor 1933. Die Dichter Kellermann, Arno Holz, Heinrich und Thomas Mann, Däubler, Gelehrte wie Max Planck und der Gräzist Teubner, der Maler Liebermann, der Pianist Kaan, das Busch- und Klingler-Quartett, die er nicht nur in Porträtzeichnungen, sondern ( auch als künstlerische Körperschaft festhielt, sie bilden neben vielen anderen Persönlichkeiten des deutschen Kulturlebens eine Porträtschau, die kaum ihresgleichen hat.

Porträt- und Landschaftsstudien sind die Voraussetzungen für Friedrichs graphische Zyklen, so die Brahms-Zyklen, darunter das zwischen 1924 und 1936 enstandene herrliche „Requiem“, die „Blätter der Einsamkeit“ nach der TV. Symphonie Anton Bruckners, die „Blätter aus Ostland“ und „Mein Schicksalslied“, das die Brahmsche Vertonung des FIölderlin-Textes zur geistigmusikalischen Grundlage hat. Gegenwärtig arbeitet der Künstler an einem 62 Blätter umfassenden Zyklus „Messe“, in welchem er in drei Teilen, einem landschaftlichen, einem figuralen und einem handelnden Abschnitt, vom Berge Sinai an bis zur Himmelfahrt Christi in einzelnen Stationen das Mysterium der heiligen Messe künstlerisch zu gestalten versucht, wobei auch hier die Musik das Dominierende ist.

Propst Dr. Weingartner, der für diesen Zyklus sein geistlicher Berater war, verschaffte ihm auch den interessanten Auftrag der Ausmalung der kleinen Tiroler

Kirche von Perwald. Hier schuf Friedrich für zwölf freie Wandflächen des Orgel-empores eine künstlerische Darstellung der „Zehn Gebote“, eine Aufgabe, die er in sehr origineller Weise erledigte, indem er den Inhalt jedes einzelnen Gebotes durch Bildmotive aus dem bäuerlichen Leben illustrierte. Die einzelnen Bildlösungen, auch die des einleitenden und des Schlußbildes, sind so vorzüglich der bäuerlichen Denkungsweise angepaßt, daß sie, abgesehen von ihrer künstlerischen Qualität, auch vom seelsorgerischen Standpunkt aus als vorbildlich bezeichnet werden müssen.

Man kann der geplanten Wiener Ausstellung mit großem Interesse entgegensehen.

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