Ein Lied vom Leben

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Zeitgenössische Kunst australischer Ureinwohner: Jedes Zeichen ein Symbol.

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Zeitgenössische Kunst australischer Ureinwohner: Jedes Zeichen ein Symbol.

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Dreamtime - zeitgenössische Aboriginal Art" heißt die aufwändigste Ausstellung, die Sammler Karlheinz Essl je gezeigt hat. Erstmals ist in Österreich ein repräsentativer Querschnitt zeitgenössischer australischer Kunst zu sehen. 80 Werke der letzten 30 Jahre zeigen ein umwerfend breites Spektrum unterschiedlicher Ausdrucksformen von archaisch anmutender, naturverbundener Malerei mit Erdfarben auf abgelöster Eukalyptus-Rinde über Acryl auf Leinwand bis zu Arbeiten auf neuen Medien. Gemeinsam ist allen die Kraft einer jahrtausendealten Kultur, die den Vergleich mit Europa nicht scheuen muss. Die Kunst der australischen Ureinwohner ist eine zutiefst religiöse mit innewohnender Logik. "Diese Ausstellung ist ein Wunder für uns", meint Kurator Michael Eather, der in Brisbane die Fire-Works Gallery leitet. "Aborigines-Kunst ist dynamisch und lebendig und keine ethnografische Kuriosität. Ich möchte, dass die Leute von dieser Kunst so begeistert sind, wie ich es bin."

Sammler Karlheinz Essl ist es. Fünf Wochen bereiste er Australien, besuchte Museen, Galerien und die Schauplätze, an denen Aboriginal Art entstand. "Der rote Felsen des Uluru (Ayers Rock), der heilige Berg der australischen Ureinwohner, erhebt sich wie der riesige Rücken eines Wales in der zentralaustralischen Wüste. Hier spürt man auf Schritt und Tritt die Spiritualität dieses Landes. Der Felsrücken erstrahlt je nach Jahres-und Tageszeit in einem mystischen Licht, von Hellrosa bis Dunkelviolett": mit starken Eindrücken war er heimgekehrt. Nach intensiver Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Aboriginal Art kaufte er 38 signifikante Arbeiten an. "Ich war sehr erfreut, dass der geheimnisumwitterte Sammler, der so viele Bilder telefonisch ersteigerte und jener Herr, der eine sehr ernsthafte Ausstellung plante, ein und dieselbe Person waren", so "Dreamtime"-Kurator Michael Eather.

"Die Götter der ,Dreamtime' erschufen das Land, den Himmel und das Wasser. Sie sandten die Regenbogenschlange, die alles Wasser erschuf, zuletzt den Menschen, den Bewahrer der Schöpfung": so beginnt die Geschichte der Ureinwohner Australiens, die seit über 50.000 Jahren den Kontinent bevölkern. Ihre Kunst ist zutiefst spirituell, in Körper-und Bodenmalerei drückten sie religiöse Riten aus und gaben sie von Generation zu Generation weiter. Diese Annäherung an das Wesen der Welt nennt man "Dreaming". Die einzig erhaltenen Dokumente davon sind uralte Felsen- und Höhlenmalereien. Sie sind bisher das einzige, was die europäischen Kunstgeschichte schätzte. 1971 kam Kunsterzieher Geoffrey Bardon nach Alice Springs und brachte den Aborigines Leinwände und Farbe. Damit begann deren zeitgenössische Kunst, die noch immer die Regenbogenschlange kennt und mit traditionellen Praktiken "Dreamings" erzählt. Die ersten Künstler wurden von ihren Stammesangehörigen noch drakonisch bestraft, weil sie damit ein Sakrileg begangen hatten.

"Ahnenfiguren", der erste Teil der Ausstellung zeigt uralte Schöpfungswesen in zeitgenössischen Bildern. Billy Yirwala malte in Erdfarben auf gepresster Eukalyptusrinde Mythen, etwa "Eine Zikade kam aus der Erde hervor, um ein Lied vom Leben und vom Leben nach dem Tod zu singen".

Eine eigenwillige Darstellungsart entwickelte Charlie Numbulmoore. Er stammte aus Kimberley, wo man an die Wandjinas glaubt. Sie sind an eindringlichen, großen, schwarzen Augen mit Wimpern zu erkennen, ihre Münder weisen auf Regen und die kommende Überschwemmung hin, der uralte Blick der Geister fesselt. Der Mythos des Landes lässt sich auch in moderne Technologien bannen: Leah King-Smith gelang durch intensive Schichtung historischer Aborigines-Photographien aus dem 19. Jahrhundert mit Landschaften ein suggestives Bild, in dem sie ihren vom fotografischen Blick der Weißen erniedrigten Vorfahren ihre Würde zurückgeben will.

Der zweite Teil "Unser Land ist unser Leben" zeigt die starke Verbindung zur Natur. Die berückend schöne, naturalistisch poetische Darstellung "Fische in der Dingo-Quelle" von Lin Onus bildet eine Ausnahme. Die meisten Künstler, wie beispielsweise Abie Jangala, greifen auf die Symbolik ihrer Vorväter zurück: Er hatte von seinem Vater den Status des Regenmachers und "Hüter des Wasserdreaming" geerbt. "Water Dreaming" ist wie alle Kunst aus Australien mehr als ein schön komponiertes, abstraktes Bild. Es erzählt Geschichten, jedes Zeichen ist Symbol, seine tiefste Bedeutung oft nur für Stammesangehörige lesbar.

Auch die Gefährdung des Landes wird thematisiert: Jonathan Kumintjara Brown lebte in Maralinga, wo die Briten zwischen 1953 und 1957 nukleare Sprengköpfe testeten. Sein Bild "Altes-Land - Maralinga Atomtests" zeigt eine vergiftete Erdkruste, dicke, zerfurchte Sandschichten heben sich als Relief ab, Plutoniumteilchen durchsetzen sie, vergiftete Wasserquellen nähren diese Erde.

Berührend auch Vincent Sericos "Die Straße nach Cherbourg": es dokumentiert die Gegenwart in einem Reservat, das Eindringen einer fremden Zivilisation in eine alte Kultur. Westlich naturalistische Darstellung mischt sich hier mit traditionellen Stilformen und erzeugt die Zerrissenheit, unter der moderne Aborigines leiden.

Die große alte Dame der Aboriginal-Kunst ist im dritten Teil "Der Mensch und seine Natur" zu sehen: sieben Bilder der berühmtesten Künstlerin, Emily Kame Kngwarreye aus Utopia bilden das Glanzlicht der Sammlung. In ihrer Heimat erreichte sie Legendenstatus, pointillistische Techniken und viele Schichten bunter Tupfen oder starke Linien charakterisieren ihre großformatigen Werke, die die Motive der Körpermalerei, die tiefere Struktur von Wurzeln, Pflanzen oder Wege, die zu einer Wasserstelle führen und von Emu-Spuren unterbrochen sind, darstellen.

Berühmt ist auch Rover Thomas, der mit Trevor Nickolls 1990 zur Biennale in Venedig geladen war. Ersterer abstrahiert Gegenden in der Wüste und Landschaften zu abstrakt punktierten Linienformen auf erdfarbenem Grund. Trevor Nickolls hingegen kleidet das Grauen ganz unmittelbar in eindringlich leidende, verkrüppelte Gestalten. Seine "Postkarte an einen Politiker" bedarf keiner Erklärung mehr, sie findet ihren Weg direkt in die Betroffenheit.

Bis 30. September

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