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Ein Mann mit Eigenschaften

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ROBERT MUSIL: LEBEN - WERK - WIRKUNG. Im Auftrag des Landes Kärnten und der Stadt Klagenfurt herausgegeben von Karl Dinklage. Amalthea -Verlag. Zürich-Leipzig-Wien. 440 Seiten. Preis 123 S

Das bittere Wort von Robert Musil: er sei in Klagenfurt geboren, habe die Kindheit in Steyr verbracht und in Wien gelebt, aber keines der österreichischen Bundesländer beanspruche ihn für sich — diese Meinung Musils wird jetzt erst, lange nach seinem Tod, da er 80 Jahre alt geworden wäre, widerlegt, zumindest kotrigiert. Im Auftrag und mit Unterstützung der Kärntner Landesregierung und der Stadt Klagenfurt ist nämlich das erste umfangreiche Buch über Robert Musil erschienen. Keine grundlegende Monographie zwar, sondern eine Sammlung von Einzelbeiträgen von unterschiedlichem Wert, geeignet als erste Präsentation, zur Vermittlung dieses bedeutenden Schriftstellers an einen weiteren Kreis. An jenen Kreis also, den Musil sich so oft gewünscht — und an den er nie geglaubt hat. Es obliegt dem Rezensenten eines solchen Werkes, sämtliche Autoren und Titel der einzelnen Beiträge aufzuzählen, damit sich der interessierte Leser ein Bild machen kann.

Nach kurzen Geleitworten des Landeshauptmannes und des Bürgermeisters eröffnet Dozent Marie Luise Roth von der Universität Saarbrücken die Reihe der Musil-Studien mit dem „Versuch einer inneren Biographie“. Prof. Dr. Wilhelm Grenzmann (Universität Bonn) schreibt über die Problematik der Romangestalt des „Mannes ohne Eigenschaften“. Johannes Loebenstein (Technische Hochschule, Wien) untersucht das Problem der Erkenntnis bei Musil. Professor Dr. Johannes Allesch stellt Musil in der geistigen Bewegung seiner Zeit dar. Prof. Dr. Ervin P. Hexner (Universität Pennsylvania, USA) beleuchtet Musils Interessenkreis. Dr. Hajo Bernett schreibt über „Musils Deutung des Sports“. Unter dem Titel „Musil und die Quadratwurzel aus minus Eins“ von Eithe Wilkins und Ernst Kaiser verbirgt sich eine sehr aufschlußreiche Studie über die prätendierte „Genauigkeit“, die Präzision Musils als Schriftsteller. Dr. Joseph Strelka behandelt eine von Musil wiederholt aufgeworfene Frage, die nach dem „rechten Leben“, und versucht, die Entwicklungsstufen von Musils „Religiosität“ aufzuzeigen. Sehr gründlich und dankenswert ist die Darstellung von Musils Herkunft und Lebensgeschichte durch den Klagenfurter Landesarchivar Dr. Joseph Dinklage (den bereits im Titel genannten Betreuer des ganzen Buches). Dann folgt eine Zäsur in dem Buch: etwa 50 Seiten Originalbriefe Robert und Martha Musils, von denen die meisten an den Freund und Vertrauten, Prof. von Allesch, gerichtet sind. Dann ein paar Seiten aus der von Musil redigierten „Soldatenzeitung“. Hierauf die Reihe der Erinnerungen an Begegnungen und Gespräche niit Robert Musil

(hierher gehört auch der im 1. Teil des Buches stehende Beitrag von Armin Kesser).

So wichtig einige der wissenschaftlichen Studien als Beiträge bzw. Prolegomena einer künftigen Musil-Forschung sein mögen, so liegt das eigentliche Interesse, ja man möchte sagen der Wert dieses Buches, in eben diesen persönlichen Erinnerungen. Die Autoren (mit recht ungleichwertigen, aber immer interessanten Beiträgen) heißen: Oskar Maurus Fontana, Luitpold Stern, Franz Theodor Csokor, Karl Otten, Wolfdietrich Rasch, Bruno Fürst, Martin Flinker, Otto Pacht, Valerie Petter-Zeis, Fritz Wotruba und Carl J. Burckhardt. In allen diesen Erinnerungen spiegelt sich eine starke, wenn auch ü vielem enigmatische Persönlichkeit, keineswegs ein „Mann ohne Eigenschaften“, sondern vielmehr einer mit so ausgeprägten, daß ihm das Leben unter seinen Mitmenschen, die er eher mied als suchte, mit den Jahren immer schwerer wurde. Robert Musils Lebenstragödie — denn um eine solche handelt es sich, man wußte es schon aus seinen Tagebuchaufzeichnungen — entstand aus seinem Anspruch an sich selbst, das heißt an sein Werk, und dem an die Gesellschaft, von der er erwartete, daß sie ihm dieses Werk durch Bereitstellung der nötigen Mittel ermögliche. Da Musil zeit seines Lebens zwar ein hochgeschätzter, aber fast völlig unbekannter Autor war, ergaben sich hieraus'die härtesten Konflikte und als Resultat eine Verbitterung, die Musils letztes Lebensjahrzehnt völlig verschattete und ihm wahrscheinlich auch den frühen Tod gebracht hat.

Musil war, was seine Zeit betraf, voller Skepsis, aber keineswegs „nihilistisch“ eingestellt, sondern erschien in den Jahren knapp vor 1933 einem seiner Bekannten „als einer der ruhigsten, in sich selbst sichersten und positivsten Männer, die man damals treffen konnte“. — Der angedeutete Lebenskonflikt wurde verschärft durch einige sehr ausgeprägte Eigenschaften: Musils Menschenscheu, sein Stolz, sein stark akzentuiertes Selbstbewußtsein und die hohe (freilich berechtigte) Einschätzung seiner eigenen Arbeit, seine Unfähigkeit, sich Parteien und Kreisen, seien es politische oder literarische, anzuschließen. — Aus allen diesen Zeugnissen geht hervor, daß Musil zwar ein „Schwieriger“ war, aber keinesfalls ein „Mann ohne Eigenschaften“, wie der Titel seines unvollendet gebliebenen Riesenromans lautet. — Den Abschluß des mit 46 Photographien ausgestatteten Bandes bilden die Zeugnisse der

Übersetzer ins Französische, Englische und Italienische: des hochverdienstvollen Phillippe Jaccottet, Eithe Wilkins, Ernst Kaisers und Anita Rhos.

Zum Schluß aber müssen jene beiden genannt werden, denen, neben der Frau des Dichters, Martha Musil, alle Verehret Robert Musils in der ganzen Welt zu größtem Dank verpflichtet sind. Der eine, der Schweizer Pfarrer Dr. Robert Lejeune, hat Musils letzte Jahre in der Schweiz und damit die Fortsetzung der Arbeit an dem Opus Magnum recht eigentlich materiell ermöglicht und war dem Verzweifelnden eine stete Stütze während der schwersten Jahre. (In dem in diesem Buch abgedruckten Beitrag von Pfarrer Lejeune erweist sich dieser übrigens auch als ein hervorragender Kenner von Musils Werk.) Der andere ist Dr. Adolf Frise, gegenwärtig beim Hessischen Rundfunk, der zunächst mit Martha Musil, dann mit ihrer Tochter und mit dem Rowohlt-Verlag die Herausgabe der drei umfangreichen Dünndruckbände betreut hat: eine Riesenarbeit, die nur der zu schätzen weiß, der die komplizierten edi-toriellen Probleme kennt (oft unlösbar scheinende Schwierigkeiten), welche allein schon durch die vielen hinterlassenen Textvarianten gegeben waren. Kein ernster Musil-Forscher wird es künftig versäumen dütfen, diesen beiden vor allem seine Reverenz zu erweisen.

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