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Ein sichtbares Zeichen in unserer Welt

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SCHON VOR LANGEM hörte man von einem Plan, der Biennale in Venedig eine eigene Schau christlicher Kunst anzuschließen. Dieses Projekt war sehr zu begrüßen, hätte es doch gezeigt, daß christliche Kunst heute mehr denn je auf der Höhe der Zeit möglich ist, und daß alle bedeutenden Hervorbringungen sakraler Gegenwartskunst den strengen Kriterien, die der Besucher der Venediger Biennale an die Leistungen der modernen Kunst anzulegen gewohnt ist, durchaus standzuhalten vermögen. Und doch kamen einem gegen diesen Plan Bedenken — denn die umfangreichste Kunstschau Europas hätte die zahlenmäßig auf jeden Fall schwächer vertretene „christliche Kunst“ zu sehr in den Winkel gewiesen. Lind christliche Kunst ist, schon von der Idee her, mehr als ein bloßes Anhängsel weltlicher Kunst, ja sie steht überhaupt nicht im Gegensatz zu ihr, sondern kann nur auf einer ganz anderen Ebene in ihrem Wesen begriffen werden. Christliche Kunst verdient eine eigene Biennale.

EINE SOLCHE EIGENE BIENNALE für kirchliche Kunst der Gegenwart zu schaffen war der Gedanke von Professor Dr. P. Thomas Michels OSB., Domkustos Prälat Dr. Franz Simmerstätter und den Künstlern Professor Toni Schneider-Manzell und Professor Robert Kramreifer. Für diese Biennale schien von Anfang an Salzburg mit seiner günstigen zentralen Lage zwischen Ost und West, Nord und Süd und seiner reichen abendländischen Geschichte der gegebene Ort; ja, man könnte sich keine andere Stadt vorstellen als Salzburg, in der die Universalität des Barocks Gestalt wurde, die mehr für diese Biennale in Frage käme. Denn Salzburg ist nicht bloß eine Stadt, Salzburg ist beinahe schon ein Symbol. Hier war der Platz für eine Biennale christlicher Kunst, die die übernationale Einheit dieser Welt und ihrer Menschen im Hinblick auf eine andere Welt und auf Gott dokumentieren mußte. Kam noch hinzu, daß eine Biennale hier schon durch die alljährlichen „Salzburger Festspiele“ mit einer großen Publizität und einem internationalen Publikum rechnen konnte.

DER GROSSE GEDANKE fand eine rasche Verwirklichung. Die Veranstalter — Domkusto-die Salzburg, Salzburger Hochschulwochen und Oesterreichische Gesellschaft für christliche Kunst — gingen mit Umsicht und Tatkraft daran, in diesem Sommer erstmalig eine „Internationale Ausstellung kirchlicher Kunst der Gegenwart“ mit Beiträgen aus elf Ländern zusammenzutragen und aufzubauen. Das Ehrenpräsidium übernahm der Erzbischof von Salzburg, Dr. Andreas Rohracher. Diese Ausstellung wird die Basis einer Biennale bilden. In Hinkunft werden wir in jedem zweiten Jahr in den Oratorien des Salzburger Domes eine solche Weltschau neuer christlicher Kunst sehen können. Heuer füllt sie die vier großen Hallen über dem linken Seitenschiff des Domes; in einem Biennium sollen ihr auch die vier auf der anderen Seite gelegenen Räume dienen, so daß die Oratorien geschlossen die Ausstellung beherbeigen weiden; auch der Kreuzgang von Sankt Peter soll später herangezogen werden; in ihm könnten Plastiken vorteilhaft Aufstellung finden.

SOGAR DIE OFFIZIELLE ERÖFFNUNG war ein Ereignis. Während man bei Anlässen dieser Art meist nur Redensarten zu hören bekommt, die den Gegenstand der Eröffnung in einen Raum der Unwirklichkeit abdrängen, der durch einen Schwall aufgeblasener Phrasen verbaut wird, so war das hier ganz anders. Das mitreißende Bekenntnis, das Unterrichtsminister Dr. Drimmel zur Aufgabe des modernen Künstlers in unserer Zeit ablegte, gab der Feierstunde die Weihe, die sie verdiente.

NOCH AM SELBEN TA.GE wurde von den Teilnehmern und offiziellen Vertretern der „Internationalen Ausstellung kirchlicher Kunst“ beschlossen, daß die diesjährige Veranstaltung als die erste einer Reihe von Biennalen zu gelten habe. Dieser Beschluß, einstimmig von den verantwortlichen Delegierten zehn europäischer Länder getroffen, hat für Werke kirchlicher und im weiteren Sinne christlicher Kunst eine Instanz geschaffen, vor der sie auf ihren Wahrheitsgehalt und Verkündigungscharakter zu prüfen sein werden. So erfreulich die Ausstellungen kirchlicher Kunst aus Anlaß des Katholikentages 1952 in Wien und zwei Jahre später in der Wiener Secession waren — als Einzelereignisse mußten sie vorübergehen. Hier aber hat die moderne religiöse Kunst eine berufene Instanz gewonnen, von der sie Impulse empfangen und durch die sie einen Rückhalt gewinnen kann.

EINSTWEILEN sind Belgien, die Deutsche Bundesrepublik, Frankreich, Italien, die Niederlande, Portugal, Oesterreich, Schweden, die Schweiz und Spanien der Biennale beigetreten; Einladungen werden an die anderen europäischen und außereuropäischen Staaten ergehen.

SCHON DIESE ERSTE AUSSTELLUNG, in der auch Beiträge aus England, Irland und den Vereinigten Staaten zu sehen sind, vermittelt tiefe Eindrücke. Zwei Gemälde von Georges Rouault (Nocturne, Passion), die abstrakten Farblithos von Alfred Manessier aus dem französischen Beitrag, der wunderbare Bronze-Kruzifixus von Ewald Matare, sein Bronzerelief „Der verlorene Sohn“, Plastiken von Heinrich Kirchner, Karl Knappe und Gerhard Mareks, Glasfenster von Georg Meistermann und Albert Burkart aus dem deutschen Anteil — all diese Werke hinterlassen unauslöschlichen Eindruck, denn sie sind gültige Zeichen christlichen Glaubens. Sie legen Zeugnis ab für den Herrn. In seiner Geschlossenheit besonders zu loben ist der österreichische Beitrag (wir tun vielen unrecht, wenn wir hier nur die Namen Albert Birkle, Walter Ritter, Rudolf Szyskowitz, Toni Schneider-Manzell erwähnen; letztgenannter beweist durch seinen Zyklus von Bronzetafeln „Kreuzweg“, daß ein Mann, der als innerlich und äußerlich engagierter Mitveranstalter tätig ist, nicht zum Manager werden muß, sondern Künstler bleiben darf).

DIE RELIEFS und die Gegenstände für den kultischen Gebrauch sind die klarsten Zeugnisse christlichen Glaubens, die die Ausstellung zeigt. Manches in ihr ist freilich schwach, wenn nicht sogar abstoßend. Die Oelbilder Sörensens, die Fresken Gehrs, Schillings Zement-Madonna mit Kind, die Plastiken Ferreiras, Gabinos und insbesondere Lapayeses, um einige krasse Fälle herauszugreifen, scheinen üble Machwerke zu sein. Wenn christliche Kunst gestaltgewordener Glaube ist, so ist „christlicher“ Kitsch weniger Ausgeburt künstlerischen Unvermögens als Ausdruck mangelnder Glaubenskraft. — Bei der ersten Biennale sollte kein Land, das einen Beitrag anbot, gekränkt werden; späterhin wird aber auf reinliche Scheidung von echt und unecht zu dringen sein; soweit wir Menschen mit unserem schwachen Urteilsvermögen sie treffen können.

EINES ABER hat diese Ausstellung deutlich gemacht: Christliche Kunst ist möglich, heute wie je. Sie ist nicht möglich, wenn wir darunter eine bestimmte Richtung, einen Sammelbegriff, der verschiedene Kunstäußerungen nach äußeren Merkmalen (etwa Thema oder Stil) zusammengefaßt, verstehen. Sie ist nur in einem Bereich möglich, in dem nicht parteilich unterschieden wird.

CHRISTLICHE KUNST IST ÜBERALL dort möglich, wo ein Mensch seine Stellung zwischen Gott und der Welt begreift, seine Freiheit zur Entscheidung zwischen Sünde und Nachfolge Christi, und seine Berufung, sich zu entscheiden und durch seine Entscheidung Zeugnis abzulegen. Christliche Kunst ist dort möglich, wo sich Menschen für Gott entscheiden.

DIE ALISGANGSSITUATION ist für sie heute günstiger als je. Die Errungenschaften und Erkenntnisse der modernen Kunst haben ihr einen Raum der Freiheit geöffnet. Christliche Kunst ist dadurch im doppelten und eigentlichen Wortsinn möglich. Sie ist einmal möglich als Kunst, als etwas, das wesensmäßig Kunst ist, weil sie allen formalen ästhetischen Kriterien standhalten kann. Und sie ist zum anderen möglich als etwas, das wesensmäßig „christlich“ ist, das hinführt zur Erlösung.

WER SEIN LEBEN nicht als Mysterium begreift und es als in einem Mysterium beschlossen erlebt, der ist unfähig, für Christus Zeugnis abzulegen. Wer aber das Mysterium — fasse es, wer es kann — erlebt hat und weiß, daß Christus die Erlösung ist — die Erlösung von aller Zeit dieser Welt — und weiß, daß sich gegen Glanz und Elend der Weltgeschichte mit ihren Herrschern, Schlachten und Reichen heimlich und unaufhaltsam das Heilsgeschehen vollzieht, der wird begreifen, was es heißt, für Christus Zeugnis abzulegen: Wer für ihn Zeugnis ablegt, hat teil am Vollzug des Heilsgeschehens.

CHRISTLICHE KUNST ist möglich, wenn sie nicht mehr Kunst sein und nicht ästhetische Kriterien erfüllen will (also etwas, das unser kritisches Denken nachträglich aufstellte, um die Erscheinungen einordnen und überblicken zu können), sondern wenn sie aus der Einheit des christlichen Lebens kommt. Aber, wenn wir auch gewohnt sind, die Wahrheit als eine Stilfrage anzusehen: jede Kunst muß aus der Einheit des Lebens kommen und wirksam sein für das Leben vieler.

CHRISTLICHE KUNST hat ihren Platz im Mysterium unseres Lebens. Wer im Mysterium lebt, der weiß, wann Christus gelebt hat und wann er gestorben ist: er hat gelebt mitten unter uns, er ist heute gestorben und heute auferstanden. Es ist ein Wort Pascals, das Georges Rouault unter ein Blatt des Gekreuzigten aus seinem Zyklus „Miserere“ schrieb: „Jesus wird im Todeskampf sein bis ans Endo der Welt.“

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