Ein "Who is Who" der klassischen Moderne

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Seit 100 Jahren steht die Wiener Secession der modernen Kunst als Forum zur Verfügung.

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Seit 100 Jahren steht die Wiener Secession der modernen Kunst als Forum zur Verfügung.

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Die Kunststadt Wien, diese ungeheure Kleinstadt, soll endlich ein Groß-Wien, ein wirkliches Neu-Wien werden", schrieb der Kunstkritiker Ludwig Hevesi, als im Frühjahr 1897 eine Gruppe "moderner Künstler" die "Vereinigung bildender Künstler Wiener Secession" gründete und aus Protest gegen die Zensur der "Modernen" aus der konservativen Künstlerhaus-Genossenschaft austrat.

Während das Künstlerhaus die offizielle Künstler-Vertretung in der österreichisch-ungarischen Monarchie darstellte und stilistisch dem Historismus verpflichtet war, propagierten die Secessionisten eine von Auftraggebern und kommerziellen Interessen unabhängige Kunst sowie einen demokratischen Ausstellungsbetrieb.

Der Begriff "Secession" wurde von entsprechenden Vereinigungen in Paris, Berlin und München übernommen. Er bezeichnete die Abspaltung von der akademischen Kunst und beinhaltete ein programmatisches Bekenntnis zur Moderne.

Die erste Ausstellung der Wiener Secession, "Europäische Kunst der Zeit", fand im Sommer 1898 in den angemieteten Gartenbausälen statt. Gezeigt wurden über 500 Werke namhafter Künstler wie Puvis de Chavannes, Max Klinger, Auguste Rodin, James Whistler oder Max Liebermann. Zur zweiten Ausstellung, im November desselben Jahres, eröffnete die Secession bereits ihr eigenes, nach Plänen von Joseph Maria Olbrich errichtetes Haus. Durch das Fehlen von Zwischenwänden, das eine flexible Innenraumgestaltung ermöglicht, und das neuartige Oberlichtsystem nahm der damals noch unbekannte junge Architekt den "White Cube", den neutralen weißen Ausstellungsraum der Moderne vorweg.

Robert Fleck, Kurator der Jubiläumsausstellung "Das Jahrhundert der künstlerischen Freiheit", betont, daß die Wiener Secession - im internationalen Kontext gesehen - das älteste unabhängige Ausstellungshaus ist, das sich seit seiner Gründung ausschließlich der modernen beziehungsweise zeitgenössischen Kunst widmet. Eine weitere Besonderheit besteht darin, daß das Programm bis heute allein die Mitglieder der Secession bestimmen, die per Statut ausübende Künstler sein müssen. Die Mitgliederliste der ersten hundert Jahre weist weitgehend alle Namen auf, die im österreichischen Kunstgeschehen fortan eine Rolle spielen sollten ...

Führende Künstler im Ausland waren und sind korrespondierende Mitglieder (etwa Auguste Rodin, Ferdinand Hodler, Christo). Die Mitgliedschaft in der Wiener Secession bedeutet allerdings oft nur ein "Durchgangsstadium": "Nach zehn bis fünfzehn Jahren, wenn der vormals junge Künstler das Gefühl hat, endgültig auf eigenen Beinen zu stehen, pflegt er gerne wieder auszutreten." - So geschehen bereits im Falle des federführenden Gründers und ersten Präsidenten der Secession, Gustav Klimt, der bereits 1905 aufgrund stilistischer Differenzen die Künstlervereinigung verließ.

Robert Fleck hat die Jubiläumsschau, die einen Überblick über die Ausstellungen 1898 bis 1998 gibt, aus einer bewußt zeitgenössischen Perspektive gestaltet, wenngleich das Raumkonzept von Franz West und Heimo Zobernig an historische Ausstellungssituationen erinnert: Der Raum wurde nie - wie es heute in der Secession Usus ist - pur verwendet, sondern es wurden immer Kulissen eingebaut. Dank Unterstützung von internationalen Museen, Galerien und Privatsammlungen wurde die Secession in ein "temporäres Museum" verwandelt, das viele jener Werke zeigt, die einst in wichtigen Ausstellungen in diesem Haus zu sehen waren.

Im Hauptraum wird auf engstem Raum - ohne daß es als störend empfunden wird - klassisch moderne mit zeitgenössischer Malerei und Skulptur konfrontiert (zum Beispiel Porträts von Arnold Schönberg mit Arbeiten von Cindy Sherman). Dadurch lassen sich künstlerische Leitideen "quer durch das Jahrhundert" verfolgen.

Die Galerie im Untergeschoß ist der Geschichte des Künstlerfilms (1924 bis 1998) und der Videokunst (1972 bis 1998) gewidmet. Im "Klimtraum" setzen sich Paul McCarthy, Jason Rhoades und Richard Hoeck mit dem Beethovenfries in speziell für diesen Kontext geschaffenen Arbeiten auseinander. Daß die Architektur der Secession Künstler immer wieder zu spezifischen Raumkonzepten herausforderte, wird im Grafischen Kabinett im Obergeschoß dokumentiert, anhand von Plänen und Modellen von Josef Hoffmann bis Peter Kogler und den Fotos von den Künstlerfesten der fünfziger Jahre. - Aktuellstes Beispiel ist die "rote Secession" von Marcus Geiger.

Die vielfach überraschenden Aspekte der Ausstellung werden noch ergänzt durch den Katalog, der vor dem Hintergrund der Ausstellungsgeschichte der Secession die Entwicklung der modernen Kunst und des Museumswesens reflektiert. Die anläßlich des Jubiläums erfolgte Aufarbeitung des Archivs der Secession hat die Recherchen für Katalog und Ausstellung wesentlich erleichtert. Per Computer läßt sich nun zu jeder Ausstellung abrufen, was an Bildmaterial, Schriftverkehr und Pressemeldungen vorhanden ist. Den Hauptteil des Kataloges bildet eine umfangreiche Dokumentation der Ausstellungen seit 1898. Hier erfährt man zum Beispiel, daß die erste wichtige Ausstellung der Wiener Aktionisten 1961 von Hans Staudacher initiiert wurde: Unter dem Titel "Who is Who ?" stellten damals Günter Brus, Otto Mühl und Alfons Schilling aus, ohne daß die einzelnen Werke mit den Namen der Künstler bezeichnet wurden.

"Das Jahrhundert der künstlerischen Freiheit" - ein "Who is Who ?" der Moderne ....

Bis 21. Juni

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