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Eine kostbare Auslese

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Nicht nur politisch, auch auf dem Gebiet der schönen Künste jubiliert heuer Bregenz. Zum 20. Male gehen die Festspiele auf dem Bodensee in Szene, während der Brauch der Landeshauptstadt, eine Ausstellung zu zeigen, die weit über den lokalen Rahmen hinausstrahlt, nunmehr fünf Jahre alt ist.

In den letzten Jahren hatte der Bodenseeraum das Thema gegeben, während die Werke aus öffentlichen und privaten Sammlungen von weit her, selbst aus Leningrad, geholt worden waren. Diesmal ist der Kreis der Jahrhunderte weit gespannt, während ausschließlich die Privatsammlungen des Bodenseegebietes ihre Bestände zugunsten von Bregenz geöffnet haben.

Da ist vor allem die Galerie des Fürsten Franz Josefs II. von und zu Liechtenstein zu nennen. Die Liechtenstein-Galerie gehörte einst zu den großen Sehenswürdigkeiten Wiens. 1944 wurde sie nach Vaduz verlagert; damit ging sie Wien für immer verloren. Leider sind in Vaduz selbst nur die Niederländer zu sehen, während die übrigen Bestände noch immer in Depots verwahrt bleiben. So sind viele Meisterwerke der Liechten-steinschen Sammlungen zum erstenmal seit 20 Jahren wieder ausgestellt; sie allein rechtfertigen eine Fahrt nach Bregenz.

Ein interessantes Gegenstück zu den fürstlichen Sammlungen, in denen sich das Mäzenatentum von 15 Generationen innerhalb von

Bildnis eines Unbekannten: Französischer Meister,

1456 Sammlung des Fürsten von Liechtenstein

350 Jahren und das Bestreben einer Familie, es dem Kaiserhaus gleichzutun, widerspiegelt, ist die Galerie von Herrn Heinz Kisters in Kreuzungen. Kisters begann als Zwanzigjähriger im Jahre 1932 und besitzt heute eine Sammlung, welche Werke der abendländischen Malerei des 13. bis 16. Jahrhunderts umfaßt und in letzter Zeit durch Neuerwerbungen spanischer Malerei des 17. Jahrhunderts erweitert wurde. Die Auswahl, die aus den Sammlungen des Fürsten und des Bürgers

getroffen wurde, sollte nicht nur Meisterwerk an Meisterwerk reihen. Ebenso wichtig schien es, in der Ausstellung entwicklungsgeschichtliche Gruppen zu bilden, so vor allem die Gruppen der altniederländischen Malerei, der Venezianer des Cinquecento sowie der Holländer und Flamen des 17. Jahrhunderts, während sogar die italienische Malerei des Tre-cento und des Quattrocento durch wichtige Werke repräsentiert ist.

Unter den Leihgebern finden wir den alten Freund von Bregenz, Franz Ludwig Fürst von Waldburg zu Wolf egg und Waldsee, den Markgrafen von Baden in Salem, die bischöfliche Kunstsammlung sowie die Sturzeneggersche Gemäldesammlung St. Gallen und viele andere. So konnte auch auf die altdeutsche Malerei ein Akzent gesetzt werden. Der Manierismus ist durch typische Beispiele vertreten, und die spanische Malerei ist zwischen die Pole El Greco und Goya gespannt. Ausschließlich den Schwedzern dankt Bregenz die stattliche Ausstellungsgruppe der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts; sie gipfelt im Impressionismus, der die Ausstellung zeitlich beschließt. So hängt im Palais Thum und Taxis zu Bregenz eines der wichtigsten Quellbilder der modernen Kunst, der 1890/91 von Claude Monet geschaffene „Strohschober“.

Insgesamt gehören 125 Werke aus mehr als einem halben Jahrtausend dem Raum von Spanien und Italien bis zu den Niederlanden an. Naturgemäß sieht man viel Bekanntes, aber auch manches, das nur durch Reproduktionen vertraut war und im Original einen ganz anderen Eindruck vermittelt. Als Beispiel für viele mögen die beiden Selbstbildnisse von Rembrandt genannt werden. Das Selbstbildnis mit dem Federhut von 1635 ist vertraut, das Selbstbildnis von 1652 ist in dieser Form zum ersten Male der Forschung richtig zugänglich. Als die Sammlung sich noch in Wien befand, hing es ungünstig und war schlecht geflrnist. Nunmehr ist es abgedeckt, so daß der Beschauer zum ersten Male ermessen kann, wie sich der damals 46jährige Rembrandt selber gesehen hat.

Zu den bekannten Werken zählen Botticel-lis Bildnis der Simonetta Vespucci, Cranachs Schlummernde Quellnymphe, El Grecos Franz von Assisi, Rubens' Söhne des Künstlers, Strozzis Judith mit dem Haupt des Holofer-nes, Tintorettos Susana, zwei Tizians und Venezianos Krönung Mariens. Über den Spaniern, Italienern, Franzosen und Niederländern seien die alten Deutschen nicht übersehen, so die Meister von Meßkirch und Mondsee, letzterer vertreten durch den zwölfjährigen Jesus im Tempel, und Hans Schäufehn mit dem unheimlichen Bärtigen Mann. Wie herrlich ist doch die Wochenstube mit der Geburt Maria von Bernhard Strigell Zeitlich schließen zwei entzückende Spitzweg-Idylle die Reihe der Deutschen ab.

Prachtvolles Gegenstück: die ausgelassene Gesellschaft von Jan van Hemessen, in der sich die ganze Derbheit des niederländischen Volkslebens jener Zeit offenbart (um ähnliche Szenen, wie den weltberühmten „Schlemmer“, zu sehen, muß man nach Vaduz fahren).

Und der Sinn einer solchen Ausstellung? Förderung des Fremdenverkehrs? Programm für Regentage während der Festspielzeit? Es hieße, nicht nur den Werken, sondern denen, die diese Ausstellung aufgebaut haben, voran dem Bregenzer Kunstgelehrten Dr. Oscar Sandner, einen üblen Dienst erweisen, wollte man mit materiellen Maßen messen. Die Werke, die wir bis zum 19. September 1965 in Bregenz betrachten dürfen, sind auf zwanzig, zumeist private Galerien verstreut, und, von wenigen Ausnahmen abgesehen, der Öffentlichkeit überhaupt nicht zugänglich. Und selbst wenn sie in Museen hingen, wer hat die Möglichkeit, alle diese Sammlungen zu durchstreifen? Wenn man sich vor Augen hält, daß die 125 Katalognummern nur einen Bruchteil von dem darstellen, was im Raum von Vaduz, St. Gallen, Schaffhausen, Salem

und Wolfegg verstreut ist, so staunt man, wieviel an Meisterwerken der Malerei in das Bodenseegebiet, das keine kulturelle Hauptstadt hat, gelangt ist. Eine solche Ausstellung ist für die meisten Kunstfreunde die einzige Gelegenheit im Leben, diese Bildwerke in ihrer ganzen Schönheit mit eigenen Augen zu sehen. Dazu kommt die Auswahl, die ein Studium der europäischen Malerei vom frühen Mittelalter bis fast zur Gegenwart ermöglicht. Der tiefste Sinn einer solchen Schau ist, um Dr. Sandner zu zitieren, das Einführen zur Begegnung mit Kunstwerken, die Förderung und Vertiefung des künstlerischen Erlebnisses und der Nutzen, den die Wissenschaft daraus zieht. Kunstbücher und Reproduktionen lassen das Tiefste vermissen, das nur vom Werk selbst ausgeht Nur seine glückliche Betrachtung schenkt die letzte Erkenntnis.

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