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Eine Krenek-Woche in Wien

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Ernst Krenek, 1900 in Wien geboren, folgte als 20jähriger seinem Lehrer Franz Schreker nach Berlin. 1926 kehrte er, nach vielerlei praktischer Betätigung, wieder in seine Vaterstadt zurück, wo er bis 1937 lebte. In diese Jahre fiel der triumphale Erfolg seiner „romantischen“ Jazzoper „Jonny spielt auf“, die 1927 in Leipzig uraufgeführt und ein Jahr später auch in Wien gegeben wurde (insgesamt wurde sie an über hundert Bühnen gespielt) . Aber in der Zwischenzeit hatte sich Krenek der Zwölftontechnik zugewandt, in der fast alle Werke der folgenden Jahre komponiert wurden. Mit seinem 1930 bis 1933 geschriebenem Opus magnum „Karl V.“ erlebte der Komponist eine große Enttäuschung: Das für die Wiener Staatsoper von Clemens Krauss bestellte Werk wurde hier nie aufgeführt, obwohl sich Krenek in Wort und Schrift für den (damaligen) Ständestaat Österreich und gegen den Nationalsozialismus (wie gegen jede Gewaltherrschaft) engagiert hatte. 1937 verließ er seine

Heimat und Europa. Seither lebt er, zunächst an verschiedenen amerikanischen Universitäten und Musikinstituten, in den USA, während der letzten zehn Jahre als Freischaffender in Los Angeles.

Fast . alljährlich, seit etwa 1950, besucht Ernst Krenek seine Heimatstadt, die ihm vor kurzem den Großen Musikpreis sowie ihre Goldmedaille verliehen hat. (1963 erhielt Krenek auch den österreichischen Staatspreis für Musik.) Die ambivalente Haltung zu Wien hat sich allmählich in ein positiveres Verhältnis gewandelt. Trotzdem mußte man bei seinem Vortrag mit dem Titel „Die dunklen Wasser der schönen blauen Donau“, den er in der neugegründeten „österreichischen Gesellschaft für Musik“ hielt, auf einiges gefaßt sein. Aber Krenek begnügte sich mit einigen kritischen Glossen, quasi als Ouvertüre, und wandte sich dann der durch Tonbänder illustrierten Analyse eigener Werke zu. („Dunkle Wasser“ ist übrigens der Titel eines Einakters von Krenek, der noch im Laufe dieser Spielzeit von einem Studioensemble aufgeführt werden soll.) Krenek meint,

daß in Wien nicht nur jene Musik produziert wurde, die man mit dem Bild von der „schönen blauen Donau“ assoziiert, sondern auch eine andere, die Schönbergs und seiner Schüler nämlich, die man zunächst nur als „Unterströmung“ gelten lassen wollte, die aber nun den ganzen Ozean der neuen Musik speist. Soviel also zum Titel.

Die neuen Werke, die Krenek erläuterte, sind in den Jahren nach 1957 entstanden: Sestina, Quaestio temporis, ein Flötenstück, Basler Maßarbeit, die Fernsehoper Ausgerechnet und verspielt, die vor kurzem in Hamburg uraufgeführte Oper Der goldene Bock und eine elektronische Studie mit dem Titel „San Fernando Sequences“.Alle diese Kompositionen sind seriell „durchgerechnet“, und beruhen auf dem Prinzip der Prädetermination aller Elemente. Auf den Einwand, daß der Komponist sich auf diese Weise des Wertvollsten, der persönlichen Aussage und der Intuition, begebe, entgegnet Krenek, daß die Musik früher zu den „meßbaren“ Künsten zählte und daß der Komponist dafür etwas anderes eintauschte: die höhere Ordnung. Im übrigen halte er, zum Unterschied von den Jüngsten vom Kranichstein, die serielle Methode noch keineswegs für ausgeschöpft, und auch wegen des „Alterns der neuen Musik“ mache er sich keine Sorgen …

In einem öffentlichen Konzert im Großen Sendesaal des österreichischen Rundfunks führte Krenek dann am nächsten Tag einige seiner Werke vor: eine Suite aus seiner Bearbeitung und Instrumentierung von Monteverdis „Incoronazione di Poppea“, sein 2. Konzert für Violine und Orchester aus dem Jahr 1954 (eine Zwölftonkomposition, die sich im 1. Satz noch des typischen Sonatenschemas und im letzten der Rondoform bedient) und zuletzt „Quaestio temporis“ von 1958 mit progressiven Intervallen (von 1 bis 11) und Permutationen der einzelnen Klänge: ein technisch hochkompliziertes Stück, das den Eindruck ständiger, rotierender Bewegung erweckt und von starker magischer Wirkung ist. Die im 1. Teil des Konzerts vorgeführten Orchestervariationen von Aaron Coplandscheiterten an einem allzu spröden viertönigen Thema, das 20mal in Cis-moll abgewandelt wird. Das vom Komponisten geleitete Rundfunkorchester von Studio Wien bewährte sich ebenso wie der ausgezeichnete Geiger Klaus Assmann als Solist in Kreneks Geigenkonzert.

Am dritten Abend stand Ernst Krenek am Vortragspult des Musikhauses 3/4, wo er launig die Vorführungen der soeben bei AMADEO erschienenen.Schall- plafte mit einem großen Querschnitt aus „Jonny spielt auf“ kommentierte. „Jonny aus einiger Distanz“ war der Titel dieses Vortrags, der sich unter anderem mit den vielen Mißverständnissen befaßte, denen das Erfolgswerk der zwanziger Jahre ausgesetzt war. Aber daran — an Mißverständnisse aller Art — hat sich der Komponist allmählich gewöhnt, und auch das Publikum hat sie alle gut überstanden. Wieder einmal konnte man feststellen, daß alles, was Ernst Krenek sagt, nicht nur höchstes Niveau, sondern auch Gei t und Charakter hat. Diesen Mann, gleichermaßen qualifiziert als Komponist, Pädagoge und Schriftsteller, wieder in seiner Heimat zu verankern, wäre des Schweißes der Edelsten wert.

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