6568000-1950_06_11.jpg
Digital In Arbeit

Eine „Schatzkammer“

Werbung
Werbung
Werbung

Die österreichische Nationalbibliothek hat in diesen Tagen In einem eigenen Räume eine ständige Ausstellung von Handschriften eröffnet, die zu den hervorragendsten Erzeugnissen abendländischer Kultur vom Autgang der Antike bis zum'Beginn der Neuzeit gehören.

Die Handschriftensammlung der österreichischen Nationalbibliothek gehört mit ihren mehr als 30.000 Bänden zu den größten derartigen Sammlungen der Welt. Sie besitzt Kostbarkeiten, die denen der anderen großen Bibliotheken — etwa der Vatikana oder des Britischen Museums in London — ebenbürtig sind.

Um solche Schätze zu sammeln, bedurfte es allerdings eines Zeitraums von rynd fünf Jahrhunderten. Tatsächlich trägt eines der ausgestellten Bücher mit der Devise Friedrichs III. die Jahreszahl 1447. Unter diesem Habsburger begann auch zuerst eine Art von systematischer Sammlung und Bewahrung von Büchern, wenn es auch noch keine eigentliche Bibliothek im modernen Sinne gab. Der Mann, der als Sekretär des Kaisers auch dessen Büchersammlung zu betreuen hatte, war kein geringerer als Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II.

Die österreichischen Herrscher der folgenden Jahrhunderte sind fast ausnahmslos au der Erwerbung von handschriftlichen Kostbarkeiten für ihre Hofbiblio-thek beteiligt gewesen. Es ist dabei bemerkenswert, daß es darunter — vielleicht mit Ausnahme einiger orientalischer Handschriften als Beute aus den Türkenkriegen — überhaupt keine gewaltsam erworbenen oder erbeuteten Stücke gibt. Zahlreiche wertvolle Handschriften wurden den Kaisern oder anderen Mitgliedern des kaiserlichen Hauses als Geschenke überreicht. Einzelne Fürsten, wie Erzherzog Ferdinand von Tirol und Kaiser Rudolf IL, waren eifrige Sammler von Kunstwerken, die sie durch ihre Vertreter in verschiedenen Ländern kaufen ließen. Das eine und andere Stück kam durch Heiraten in kaiserlichen Besitz; die frühesten derartigen Handschriften stammen von den beiden Frauen Maximilians I., Maria von Burgund und Bianca Maria Sforza. Einig Male konnte der kaiserliche Hof den gesamten Büchernachlaß bedeutender Sammler erwerben, so im 17. Jahrhundert die Bibliothek Philipp Eduard Fuggers, im 18. Jahrhundert die des Prinzen Eugen von Savoyen. Höchstens an der Rechtmäßigkeit der Erwerbung zahlreicher Handschriften anläßlich der jose-phinischen Klosteraufhebungen könnte man Zweifel haben.

Die österreichische Republik hat in den kurzen Jahren ihres Bestehens die Sammlertradition der Kaiser in glücklicher Weise fortgesetzt. Die Nationalbibliothek konnte in mehreren Fällen wertvollste Handschriften aus österreichischem Besitz erwerben, einige Male auch solche aus dem internationalen Kunsthandel. In den dreißiger Jahren wurden fast 100 kostbare Handschriften aus der ehemaligen Ambraser Sammlung, die bis dahin im Kunsthistorischen Museum verwahrt worden waren, der Nationalbibliothek einverleibt. Schließlich gab und gibt es immer noch hochherzige Mäzene, die ein Stück aus ihrer eigenen Sammlung der Nationalbibliothek widmen.

Wollte die Bibliothek ihre gesamten handschriftlichen Schätze — ohne die Tausende schmuckloser Codices — in einer übersichtlichen Ausstellung zeigen, so wäre dazu auch der riesige Prunksaal der Nationalbibliothek viel zu klein. Die gegenwärtige Ausstellung umfaßt bloß 53 Objekte, die in ihrer Gesamtheit einen Uberblick über die Entwicklung der Buchmalerei in markanten Beispielen ermöglichen. Die meisten der ausgestellten Werke sind schon dem Namen nach den Kunstkennern der ganzen Welt bekannt und in Abbildungen in den bedeutendsten kunstgeschichtlichen Werken wiedergegeben. Mehrere 4davon waren in den vergangenen Jahren mit anderen österreichischen Kunstschätzen in den Hauptstädten Europas ausgestellt.

So ist in dem kleinen Ausstellungsraum eine Auswahl von Kunstwerken vereinigt, die zu den ersten Meisterwerken dieser Kunstgattung gehören.

Die Betrachtung von Buchmalereien erfordert vom Beschauer eine andere Einstellung als etwa die Betrachtung von großen Gemälden oder Plastiken. Er muß viel näher an das Objekt herangehen und wird auf diese Weise veranlaßt, sich auch mit den Einzelheiten bekannt zu machen, den Zügen des Zeichenstifts zu folgen, das Aufleuchten der Farben auf sich wirken zu lassen. Besonders die oft reichliche Verwendung von Gold als Unterlage oder als Hintergrund übt einen eigenen Reiz aus. In seinem spezifischen Zauber kommt dieser Reiz allerdings erst dann zur Geltung, wenn man die Blätter bei künstlichem Licht betrachtet. Viele von diesen Malereien sind geradezu darauf berechnet, beim leise flackernden Licht einer Kerze angesehen zu werden. Dann kommen die Goldlichter zu einem eigenartigen Leben, das über die ganze Seite hin die Gestalten in Bewegung zu setzen scheint.

Die BuchmrJereien sind außerdem nicht Kunstwerke flr.sich, sondern stehen in organischer Verbindung mit dem Text, zu dem sie gehören. Das gilt nicht bloß für den Inhalt, sondern auch für den optischen Eindruck. Das Bild und der Text bilden eine Einheit, die durch den weißen Rand des Blattes gerahmt und die vom Hersteller des Buches bewußt als solche gewollt ist. Daher vermitteln auch vielfach Reproduktionen von Buchmalereien, bei denen außer den Farben auch noch die graphische Umrahmung fehlt, einen nicht nur mangelhaften, sondern geradezu unrichtigen Eindruck.

Leider ist die Herstellung von originalgetreuen Reproduktionen noch immer so teuer, daß sie nur in Ausnahmsfällen durchgeführt werden kann, besonders Wenn es sich um eine Faksimilereproduktion eines ganzen Buches handelt. Trotzdem muß dieser Weg beschritten werden, wenn Handschriften in ihrem Bestand gefährdet sind. Von den ausgestellten Handschriften sind zwischen 1907 und 1931 nicht weniger als sechs zur Gänze reproduziert worden. Der Preis eines solchen Exemplars — es handelt sich um das „Schwarze Gebetbuch“ — betrug im Jahre 1931 nicht weniger als 1500 Schilling. Dafür bietet eine derartige Reproduktion die Möglichkeit des Studiums der Handschrift nicht nur dem Text nach, sondern auch nach seiner künstlerischen und paläographischen Eigenart, ohne daß das Original abgenützt werden muß.

Abgesehen von diesen Faksimilewerken besitzt die österreichische Nationalbibliothek eine wissenschaftliche Publikation \ ihrer illuminierten Handschriften, wie sie bisher noch keine der anderen großen Bibliotheken aufweisen kann. Zwischen den Jahren 1922 und 1939 ist ein großer Teil dieser Handschriften in fünfzehn vorbildlich ausgestatteten Foliobänden in wissenschaftlich erschöpfender Weise behandelt worden; dreizehn dieser Bände stammen aus der Feder des derzeit besten Kenners dieser Handschriften, Hofrat Dr. H. J. Hermann, dessen 80. Geburtstag im letzten Herbst die Universität Wien durch einen würdigen akademischen Akt gefeiert hat. Der greise Gelehrte, der schon seit einigen Jahren zwei weitere Bände druckfertig vollendet hat, arbeitet unermüdlich an der Fortsetzung seines Werkes, das bis zu seiner endgültigen Vollendung noch acht bis zehn weitere Bände erfordern wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung