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Einflußreiches Chamäleon

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The Turning Point”, so nennt sich eine „kleine” Schau für den „großen” Mann der internationalen Architekturszene. Auf Einladung von Peter Noever, dem Direktor des Museums für Angewandte Kunst in Wien (MAK), entwarf Phi lip Johnson die Objektgruppe „Wiener Trio”, die nach der Ausstellung auf einem öffentlichen Platz in Wien plaziert wird. Obwohl Philip Johnson Architekt ist, beschäftigte er sich Zeit seines Lebens mit bildender Kunst. Seit kurzem beeinflußt sie ihn sogar so stark, daß er sich in seiner Arbeit an einem „turning point” (Wendepunkt) befindet.

Vielleicht wäre das alles nicht so interessant, wenn Philip Johnson nicht 90 Jahre alt wäre und 1996 auf eine fünfzigjährige Tätigkeit als Architekt in New York zurückblicken kann. Und dabei ist die Architektur wahrlich nur einer der Rereiche, der seine Rekanntheit begründete. Er absolvierte ein Philosophiestudium und bereiste Ende der zwanziger Jahre Europa, um Sprachen zu studieren. In den „SchlüsselJahren” der Architektur des 20. Jahrhunderts besuchte er jene Bauten, die er schon kurz darauf weltbekannt machen sollte. Zurück in den USA, übertrug ihm Alfred Barr, der erste Direktor des 1929 gegründeten Museum of Modern Art in New York (MoMA), den Auftrag, gemeinsam mit dem Architekturhistoriker Henry-Russell Hitchcok, eine Architekturausstellung zu gestalten. Zwar hatte man in Europa schon längst die Entwicklung einer neuen Ära in der Architektur und ihre endgültige Lösung vom historistischen Gedankengut erkannt, aber man konnte die neuen Strömungen einer „Funktionsästhetik”, die unter anderem vom Werkbund und dem Rauhaus ausgingen, bis dato noch nicht unter einem international gültigen Sammelbegriff vereinen. Es war der erst 26-jährige Philip Johnson mit der Ausstellung „The International Style: Ar-chitecture since 1922”, dem dies gelang. ■

Die 1932 gezeigte Schau ist im Hinblick auf die Einführung der Moderne in den USA und ihrem Einfluß auf die amerikanische Architektur des 20. Jahrhunderts nicht zu überschätzen. Zum ersten Mal war hier die Zwischenkriegsarchitektur als der „Internationale Stil” in der Geschlossenheit einer „Weltarchitektur” dargestellt worden. Auch ihr Katalog ist in zahlreichen Neuauflagen erschienen und gibt nach wie vor Anlaß zu kritischen Nachbetrachtungen unter Rerück-sichtigung der politischen Entwicklungen seit 1922.

Unter anderem wurden Rauten von Walter Gropius, Mies van der Rohe, Le Corbusier und des Österreichers Lois Welzenbacher den Werken amerikanischer Vertreter gegenübergestellt. Sie waren die Autoren einer Architektur, die auf der Anwendung neuer Raumaterialien, der Retonung des Volumens anstelle der Masse, dem Verzicht auf Ornamentik und auf der Vorstellung beruhte, daß die Gestalt eines Gebäudes seine Funktion ausdrücken sollte. Erst zwei Jahre später verließen Mies van der Rohe und Gropius Europa und verbreiteten den neuen Stil als Lehrer in den USA.

Johnson blieb dem MoMA als Kurator verbunden, widmete sich aber bis 1943 seinem eigenen Architekturstudium in Harvard. Seinen ununterbrochenen „Riecher” für neue Tendenzen und deren erstmalige Renen-nung bewies er immer wieder, wie zum Reispiel mit seinem Wurf der Ausstellung „Deconstructivist Archi-tecture” (1988), bei der die österreichische Gruppe Coop Himmelblau präsentiert wurde. Als Architekt realisierte Johnson rund 200 Projekte, die teils großartig und teils scheußlich sind. Was seine Architektur charakterisiert? Philip Johnson ist der beste Kopist der Welt - und er hat daraus nie einen Hehl gemacht. Wahllos bedient er sich eines Vokabulars, das bei seinen Frühwerken von dem ihm hochverehrten Mies van der Rohe stammt, später bezog er Ideen von Robert Ven -turi, Frank Gehry, Peter Eisenman, also von allen, die in der Architektur Rang und Namen haben. „Ich habe viel Spaß dabei”, sind seine Lieblingsworte. Philip Johnson hatte immer viel Geld und konnte sich „nur” reiche Bauherrn „leisten”. Und dadurch hat er auch unverhältnismäßig viel Macht (nicht nur in New York). Die Gruppe Coop Himmelblau beschreibt ihre Erfahrungen von 1988 prägnant mit: „Philip Johnson ist in unseren Augen ein Panther mit einer Chamäleonhaut” (Wolf D. Prix).

Die umfassendste Darstellung des architektonischen Oeuvres von Philip Johnson kann auf seinem Anwesen in New Canaan in Connecticut” besichtigt werden. Es ist wie sein persönliches Architekturzentrum konzipiert. Seit 1949 plaziert er in einer weiten Parklandschaft Gebäude, die wie das „Glashaus” Weltruhm erlangten. Es folgten unter anderem ein Gästehaus (1949), eine Bibliothek (1980), ein

„Geisthaus” aus Maschendraht (1984) und zuletzt ein Torhaus (1996). Vielleicht hat man das, was hier versammelt ist, schon einmal von einem anderen Architekten gesehen, aber das Ensemble ist wohl das beste Zeugnis des wahren „Ich” dieses Philosophen und Architekten. Hier zitiert er in kleinen, zum Teil skulpturähnlichen Rauten von Mies die Architekturgeschichte aufwärts und brachte es mit dem jüngsten Bau, dem Torhaus, auch noch zustande, sich auf den amerikanischen Pop-Art-Künstler Frank Stella zu beziehen. Dabei auch noch mit neuen Technologien experimentierend (Entwurf eines Tonmodells, das am Computer solange vergrößert wurde, bis es ein Bau war, der mittels Spritzbeton ohne Schalung auf Baustahlgitter aufgebracht, wasserdicht beschichtet und mit Farbe versehen wurde) wird Johnson mit 90 poppig, weil ihm Rechtecke nicht mehr e fallen: „Ich habe noch nie solchen Spaß gehabt. Ich glaube, es ist der Anfang einer neuen Ära für mich. Ich weiß ja nicht, was passieren wird. Aber ich habe vielleicht noch zehn, fünfzehn Jahre, und ich habe vor ...” (5. Dezember 1996 bis 23. März 1997)

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