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Einladung nach Hellbrunn

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Aus Salzburg hört man seit einiger Zeit über Vorhaben zur „Reaktivierung“ von Hellbrunn während der Festspielzeit. Nun liegt ein detaillierter Plan über dieses große Gartenfest vor, das dreimal stattfinden soll, mit Ausweichterminen für Schlechtwetter, und dessen künstlerische Gesamtleitung Paul Anger er anvertraut wurde. Im Steintheater wird ein szenisches Oratorium von Sbarra und Kaiser Leopold L aufgeführt, im sogenannten „Theatrum“ werden die Menestrels mit ihren Darbietungen eine musikalische Tafelrunde des 15. Jahrhunderts rekonstruieren, samt Freilichtballett, Maskeraden und Jagdfanfaren; in der Fasa-nerie schließlich gibt es Musik des 20. Jahrhunderts zu hören — also für jeden etwas. Unter dem Vorsitz von Professor Clemens Holzmeister, dem Festspielpräsidenten Bernhard Paumgartner und Galeriedirektor Friedrich Welz hat sich ein Verein der Freunde Hellbrunns konstituiert. Die notwendigen Mittel sind angeblich sichergestellt, so daß das im folgenden dargelegte Projekt, das der Kulturredakteur der „Salzburger Nachrichten“, Max Kaindl-Hönig, bereits im Vorjahr in dem „Buch vom Salzburger Land“ (Forum-Verlag, Wien) dargelegt hat, Wirklichkeit werden kann. F.

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Aus Salzburg hört man seit einiger Zeit über Vorhaben zur „Reaktivierung“ von Hellbrunn während der Festspielzeit. Nun liegt ein detaillierter Plan über dieses große Gartenfest vor, das dreimal stattfinden soll, mit Ausweichterminen für Schlechtwetter, und dessen künstlerische Gesamtleitung Paul Anger er anvertraut wurde. Im Steintheater wird ein szenisches Oratorium von Sbarra und Kaiser Leopold L aufgeführt, im sogenannten „Theatrum“ werden die Menestrels mit ihren Darbietungen eine musikalische Tafelrunde des 15. Jahrhunderts rekonstruieren, samt Freilichtballett, Maskeraden und Jagdfanfaren; in der Fasa-nerie schließlich gibt es Musik des 20. Jahrhunderts zu hören — also für jeden etwas. Unter dem Vorsitz von Professor Clemens Holzmeister, dem Festspielpräsidenten Bernhard Paumgartner und Galeriedirektor Friedrich Welz hat sich ein Verein der Freunde Hellbrunns konstituiert. Die notwendigen Mittel sind angeblich sichergestellt, so daß das im folgenden dargelegte Projekt, das der Kulturredakteur der „Salzburger Nachrichten“, Max Kaindl-Hönig, bereits im Vorjahr in dem „Buch vom Salzburger Land“ (Forum-Verlag, Wien) dargelegt hat, Wirklichkeit werden kann. F.

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Der Sommer 1970 bildet den Endpunkt eines halben Jahrhunderts im geschichtlichen Ablauf seit der ersten Aufführung der Salzburger Festspiele, dem „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal. Max Reinhardt fand dazu die Idee der Freilichtinszenierung vor dem Dom. Bernhard Paumgartner stand damals, im August 1920, als Dirigent und Mitautor der Musik am Pult. Seine Person blieb durch 50 Jahre bis heute ein substantieller Teil des Zusammenhangs, sein Name wurde zum letzten Symbol dieser Salzburger Gründerzeit.

Bis in die Anfänge zurück ist auch der Gedanke zu verfolgen, der Hellbrunn mit der festlichen Szene verbinden wollte, und Hans Poelzig legte 1920 seinen Plan für ein Festspielhaus im Park des Lustschlosses vor, ein weitausladendes, rundes, zu einem Kegel sich türmendes Bauwerk für 2000 Personen, dessen Ränge und Logen durch ein kühnes System von Treppen und Terrassen von außen her zugänglich gewesen wären. Noch ein anderes glücklicheres Vorhaben reicht bis in die Zeit des Beginns zurück, Reinhardt hatte es im Sinn gehabt, doch erst Bernhard Paumgartner konnte es im Sommer 1968 im Ansatz verwirklichen: das Steinerne Theater am Heilbrunner Berg für regelmäßige szenische Aufführungen wiederzugewinnen. Schon früher, im Juli-August 1951, hatten es die Initiative des Landesrats Josef Kaut und die sachkundige Förderung Dr. Paum-gartners zuwege gebracht, daß die Salzburger Kulturvereinigung unabhängig von den Festspielen acht abendliche Vorstellungen der „Sappho“ von Grillparzer, in der Regie Max Meiineckes mit Musik von Paul Koot, veranstalten konnte. Im selben Sommer zog die mit jugendlichen Darstellern besetzte „Kinderoper“ von Friedrich Frischenschlager viele Zuschauer ins Naturtheater. Außer diesen Versuchen sind aus unserem Jahrhundert nur noch drei Erprobungen der Heilbrunner Felsenbühne überliefert: Der Münchner Theaterwissenschaftler und Barockforscher Artur Kutscher spielte hier mit seinen Studenten 1913 Goethes „Satyros“, 1914 „Der Kyklop“ von Euripides und 1921 Grillparzers „Gastfreund“; eine Werkwahl, die für den Ort wohlerdacht war.

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Einen echten Neubeginn scheint erst die jüngste Bemühung Bernhard Paumgartners bewirkt zu haben. Nach den eindrucksvollen Aufführungen der pantomimisch gestalteten Kurzoper „Combattimento di Tan-credä e Clorinda“ von Monteverdi (neben der heiteren Anakreontiker-travestie „Der bekehrte Trunkenbold“ von Gluck), die am 22. Juni 1968 zum erstenmal in Szene ging, drang im allgemeinen Urteil, auch jenem der internationalen Kritik, die Erkenntnis durch, daß diese historische Spielstätte sich als ein Ort außergewöhnlicher, ja einzigartiger Theaterereignisse wieder bewähren könnte. Der Stadtsenat hatte die reale Voraussetzung dafür geschaffen, indem er einer gärtnerisch-restaurativen Instandsetzung der Naturbühne zustimmte. Ein übriges

tat die Öffentlichkeit von Stadt und Land Salzburg selbst: Einige Firmen und private Vereinigungen sowie ein größerer Personenkreis von Spendern trugen Mittel zusammen, stifteten Arbeitsleistungen und Materialbeiträge für eine „Reaktivierung“ des Steintheaters. So konnten für die Aufführungen die von Clemens Holzmeister in einem kostenlosen Plan entwickelten Einrichtungen an Sitzreihen und Tribünen für 620 Personen pünktlich erstellt werden.

Trotz dieser Erfolge hätte von einer „Wiedereröffnung“ des Heilbrunner Steintheaters nicht gut die Rede sein können, wäre es bei dem einen Sommer geblieben. Erst die Tatsache, daß das Salzburger Landestheater 1969 für eine Fortsetzung der Spiele sorgte, wozu Benjamin Brittens zweiaktige Oper „Der Raub der Lukrezia“ gewählt wurde, sicherte die Kontinuität. Der Theaterintendant Gandolf Buschbeck setzte eine Reihe von 18 Vorstellungen an. Dieser Werdegang einer Neubelebung muß hier chronistisch festgehalten werden, weil er in seiner Folgerichtigkeit für die Zukunft etwas verspricht. Ist es einfach die Vermehrung der Spielorte festlichen Theaters in Salzburg: das für die Praxis wiedergewonnene Denkmal frühester Opernaufführungen diesseits der Alpen — sie datieren zwischen 1616 und 1617/18 — oder kann die Erschließung dieser Naturbühne, einer der ältesten und schönsten in Europa, zur Kulturentfaltung Salzburgs einen noch wesentlich größeren Anstoß geben?

Dieses Hellbrunn ist mehr als ein Bühnenspiel sein kann. Denn hier spricht lebendiges Wasser die Rollen

der Protagonisten mit, der Mondschein ist wahrer Mondschein, und im Spiegelweiher vor dem römischen Theatrum stehen lebendige Forellen. Irgendeine Stimme aus dem Publikum rühmt die weißen Deutzien über den Figuren der Jahreszeiten, und die Verklärung des gewöhnlichen Holunders an diesem Platze zählt zu den magischen Streichen, welche Natur und Architektur wie aus gemeinsamem Wachstum in dem jahrhundertealten Bündnis „Hellbrunn“ vor Augen führen. Was geschähe, wenn diese Stätte mit einem Zauberschlage lebendig würde, so wie sie gedacht war und später, von einem Schwarmgeist der Hofgesellschaft, einmal befunden wurde: als „ein irdisch Paradieslein“?

War es die Unachtsamkeit der Saiumseligen, oder richtiger, weil der Geist es verlernt hatte, solcher Hinterlassenschaft sich weiter zu bedienen, daß Hellbrunn mit dem Wandel der Zeiten herabsinken wußte zu dem, was es für viele Zehntausende in der Epoche des Sight-seeing geworden ist: ein Baedeker-Stern erster Ordnung? Das bedeutet, daß man zum Staunen nicht Zeit hat, daß man kommt, hinsieht und sich gehorsam aneinander vorbeischiebt, daß man nasse Steine und nasse Leute photographiert und daß man, ohne im Bilde zu sein, einmal dagewesen ist...

Wenn jetzt, wohl nicht für alle, doch für viele, die bereit wären, wieder bewußt gemacht würde, daß dieser Ort nicht nur Museum und Kuriosität zu sein braucht, daß seine schönen Bilder auf seltsame Weise dauerhaft sind und daß die Laune seiner Erfindungen den Witz des

Lebendigen hat — wenn man dafür ein neues Verständnis weckte, wäre für Salzburg und die Idee des Festlichen Entscheidendes getan. Die unaufhaltsame Routinierung, das Fabrikative an den Festspielen der Stadt mit ihren über 90 Vorstellungen und 10.000 Sitzen an zehn Schauplätzen, das totale gesellschaftliche Versagen des Organismus Salzburg infolge Uberforderung führt die Festspielabende des Sommers mitunter an den Rand der Para-doxie. Sich an einem Gegenstück zu erfreuen, aus dem Trubel heraus eingeladen zu sein, angesprochen für ein Fest in Hellbrunn: das wäre das

Musik von da und dort — Schlag neun ein Feuerwerk! Von der Gais-bergspitze schickt eine Fächerrakete das Signal. Hellbrunn wird ein Gemälde von Licht... Wer ist der Festspielregisseur, der dieses Instrumentarium zum Leben erweckt? Und wer ist „der Fürst“ des Abends? Wer spielt nach seiner Art den Hausherrn in der „Hinterlassenschaft ergötzlichen Geistes“: auf der Estrada des Ehrenhofes, wenn die Gäste begrüßt werden; bei einer Komödie im Fasanengarten; bei einer Soiree im Freskensaal? Gelänge es, für Hellbrunn diese beiden Schlüsselpositionen zu besetzen,

Neue, welches kein Ort wie Salzburg bieten könnte. Und das unselige Versäumnis, das „fortwährende Unrecht“ einer Festspielstadt, die am Abend gute Nacht sagt, unempfänglich für den Glanz der Dauer, ohne weitere Ergötzlichkeit, wäre gutgemacht. Hellbrunn könnte die Menschen, die in Salzburg sich durch Ausweichen strapazieren, freundlich für ein paar Stunden zusammenführen. Da wäre ein Ort, der sich selbst und seine Gäste zum Spielen bringt: Man sähe am frühen Abend eine kleine Oper im Steintheater; dann gäbe es die Promenade zurück, gegen Norden die erleuchtete Silhouette der Stadt — aber da, ganz nahe, auf dem Wasserparterre ein Ballett! Das Schloß dahinter, rings die Alleen, die phantastischen Baumflguren des Englischen Gartens, illuminierte Fontänen über den Wasserflächen, die spielenden Grotten, das Mechanische Theater entlang der Kieswege,

man hätte bald ein schönes, frisches Stück Zukunft für den Namen Salzburgs erworben. Denn wäre in der kleinen Weltstadt der Musik und des Komödiantischen nicht trotz und mit ihrer alten Tradition ein ganz überraschend zeitgemäßes Modell herauszubilden? „Einladung nach Hellbrunn“ müßte besagen, daß man heute neben den experimentiellen Formen des Living theatre und des Happening eine Erlebnisweise kultivieren kann, ähnlich intuitiv verfließend zwischen Ausführung und Teilnahme, wenngleich ohne die Überhitzung auftrumpfender Radikalität; denn die Trümpfe lägen hier bei der Spielart eines Kontinuums, dessen Verwandlungen und Verfremdungen nie die Regel fallen lassen dürften, daß dem Menschen außer den düsteren Spiegeln des Tragischen und der schmerzlichen Verzerrung auch die hellen der Heiterkeit samt ihren Vexierbildern vorzuhalten sind.

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