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Entmenschlichung der Malerei — Vermenschlichung der Architektur

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In der Akademie der bildenden Künste veranstaltet das British Council gegenwärtig eine Ausstellung von Gouachen, Aquarellen und Zeichnungen Graham Sutherlands. Sutherland, 1903 in London geboren, ist neben Henry Moore und Paul Nash einer der repräsentativen Vertreter der englischen Moderne. Die Zurechnung zur Moderne bedeutet aber nicht, daß Sutherland „Stürmer und Dränger" wäre. Er ist vielmehr so etwas wie ein Gentleman-Avantgardist und malt gewissermaßen mit Handschuhen; seine kultivierten Bilder erschrecken nicht: man kann sie sich getrost ins Zimmer hängen. Der Ausgangspunkt Sutherlands ist der „schöpferische Augenblick". Eine Pflanze, eine Wurzel, das Detail einer Landschaft, an der er immer wieder achtlos vorüberging, überrascht ihnr er sieht die Pflanze, die Wurzel neu und in einem anderen Licht als bisher. Um diesen Eindruck richtig wiederzugeben, genügt die malerische Nachbildung der gesehenen Form nicht: Sutherland geht weiter zurück, sucht die stellvertretende Form, die Substitution, die stärker und eindringlicher das im Augenblick der Vision Ge- schaute wiedergeben könnte. So entstehen Formen, die von weichen, tragenden Farben in ihrer Wirkung unterstützt werden. Aber Sutherland geht schließlich noch einen Schritt weiter. Ueber die Substitution hinaus, versucht er zu neuen Formen vorzudringen, die aus dem bisher Geschaffenen organisch wachsen müssen, Formen, die nicht mehr verwandelte, sondern neu erschaffene Wirklichkeit sind. Alle diese Formen, mit größter Präzision dargestellt, stammen aus einer im pflanzlichen Stadium angehaltenen Welt, sind sozusagen kristallisierte Gewächse. Jede Bildwerdung setzt eine „Entmenschlichung" voraus. Thematisch reicht diese Welt von der Wurzel, als dem Ursprung lebendigen Wachstums, über Palmblätter bis zu Dornen, die teils „mit der Rose im Bunde" zu sein scheinen, teils aber aus der Dornenkrone des Erlösers stammen. Hiebei ist interessant, daß verschiedene Dornenstudien die Idee der Grausamkeit und des Unrechts klarer herausarbeiten können als das Kreuzigungsbild; in der Kreuzigung, in der er den für ihn scheinbar notwendigen Umweg zur wahrhaften Aussage vermied und direkt zu uns sprechen wollte, erreichte er nicht die Ausdruckskraft seiner Pflanzenwelt.

So findet man in Sutherlands Bildern seinen eigenen Weg wieder, beginnend mit dem Augenblick, wo der Künstler „nichts anderes als eine Art Löschpapier" ist, das Eindrücke in sich aufnimmt, dann jene Stufe erreicht, auf der es ihm gegeben ist durch eine Verwandlung, eine Neuordnung der äußeren Erscheinungsformen der Dinge ihr inneres Wesen erahnen zu lassen, die Idee, die sie selbst „niemals inniger meinten zu sein", bis er schließlich jenen Grad von Freiheit erlangt, der ihn weitgehend unabhängig macht von den Landschaften der Außenwelt Und ihn in seiner eigenen Welt leben läßt. Da mag im einzelnen manches sein, das noch nicht überzeugt; die.Welt, aus der es kommt, glaubt man ihm. Und das ist das Wesentliche.

In der Galerie Würthle, wird eine Ausstellung „Brasilianische Architektur" gezeigt. Was an den auf 217 Bildtafeln gezeigten Bau werken zunächst überrascht, ist die Großzügigkeit der Planung und die unbeschränkte Bewegungsfreiheit, die die südamerikanischen Architekten zu haben scheinen. So erfährt man, daß Rio de Janeiro und Sao Paulo in den letzten zehn Jahren mehr Hochhäuser errichtet haben als New York oder irgendeine nordamerikanische Stadt in einem Vierteljahrhundert. Der Planung sind keine finanziellen Grenzen gesetzt, die Förderung durch den Staat, der ebenso wie die großen Industriekonzerne als Auftraggeber auftritt, ist beispielhaft. Paläste aus Stahl, Beton und Glas stehen unmittelbar neben den Bauten des spanischen Barocks, diese acht- und zehnfach überragend. Und doch erscheinen sie nicht als Fremdkörper. Das mag darauf zurückzuführen sein, daß jede Form funktionell bedingt ist, jedes unnotwendige Ornament, jede Verschnörkelung vermieden wurde. Niemand wird daran Anstoß nehmen, daß etwa in der Nähe der altvertrauten Kirche ein riesiges nüchternes Bauwerk aufgeführt wird, wenn dieses eine Bank oder ein Ministerium aufzunehmen hat. Aber selbst das nüchterne, nur nach Gründen der Zweckmäßigkeit angelegte Bauwerk wird durch einen Dachgarten oder „ängebaute" Grünanlagen aufgelockert und ergänzt. Ist doch die „Vermenschlichung der Architektur" eines der Hauptziele südamerikanischen Bauens, das von der Funktion, nicht von der Repräsentation beherrscht wird. Diese Grundsätze ließen auch gut in die Landschaft und Umgebung eingepaßte Wohngebäude erstehen, wie wir sie bisher nur aus Hollywoods Ausstattungsfilmen kannten.

Wir lernen in dieser Ausstellung eine Generation brasilianischer Architekten kennen, die, ausgehend von Le Corbusier, es sich zum Grundsatz gemacht haben, unbefangen und unbelastet von zuviel Theorie an ihre Aufgabe heranzugehen, die weiter die Möglichkeit haben, zu experimentieren und aus Erfolg oder Mißerfolg des Experiments zu lernen, und die, wie es einer von ihnen, Milton Roberto, ausdrückte, „bauen, und nicht reden wollen. Denn die wirkliche Sprache der Architekten sind ihre Bauten".

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