Erhabene Stille, unermessliche Leere

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Das "Kunsthistorische" zeigt kostbarste chinesische Kunst aus fünf Jahrtausenden.

Am Anfang ein Wunsch: Möge die Ausstellung "Schätze aus dem Nationalen Palastmuseum, Taiwan" im Kunsthistorischen Museum nicht untergehen zwischen der farbenfrohen Skurrilität Arcimboldos und der Massenattraktion "Tutanchamun". Zwei Gründe gibt es, dass kostbarste chinesische Kunst aus fünf Jahrtausenden überhaupt in Wien zu erleben ist: Erstens hat der Generaldirektor des KHM, Wilfried Seipel, über Jahre geduldig Kontakte zu ostasiatischen Ländern aufgebaut (35 Ausstellungen in Japan, Südkorea, China; soeben haben 250.000 Besucher in Taipeh "Meisterwerke aus der Wiener Gemäldegalerie" besucht); zum zweiten gibt es in Österreich seit 2004 auf Seipels Betreiben ein Gesetz, das Taiwan vor Rückgabeforderungen aus der Volksrepublik China schützt. Handelt es sich doch bei den 120 Gegenständen um das Wertvollste, was chinesische Kaiser in zweitausend Jahren zusammentrugen und was zum Teil noch nie das Museum in Taipeh verlassen hat.

"Museum auf der Flucht"

Die Vorgeschichte ist ein Krimi: Der letzte Kaiser von China musste ohne Vorwarnung 1925 die Verbotene Stadt verlassen. Am 10. Oktober 1925 erblickten die Chinesen zum ersten Mal ihren "Staatsschatz". Es war die "Geburtsstunde" des Nationalen Palastmuseums in Peking. Als 1937 die Japaner in Nordchina einfielen, entschied sich die chinesische Regierung zur Evakuierung der einst kaiserlichen Schätze. 20.000 Kisten wurden auf eine Irrfahrt geschickt, von Peking nach Shanghai, von Shanghai nach Nanking. Zehn weitere Stationen folgten. Im feuchten Süden galt der Kampf den Termiten, danach, im Bürgerkrieg, den Kommunisten. 1948 entschieden die Nationalisten, alles umzupacken und 3000 Kisten, das Beste vom Guten, nach Taiwan in Sicherheit zu bringen. Was mit den übrigen Kisten passiert ist, verrät niemand. Wurden sie während der Kulturrevolution zerstört? 1965 bekam das "Museum auf der Flucht" ein wunderschönes neues Gebäude in Taipeh und heißt seither "Nationales Palastmuseum, Taiwan". Das Haus ist heute mit seinen 650.000 Objekten das weltweit bedeutendste Museum chinesischer Kunst.

Wilfried Seipel will die Aufmerksamkeit weglenken von der politischen Vergangenheit; an Unstimmigkeiten mit der Volksrepublik China ist ihm nicht gelegen. Sein Credo lautet: "Grenzüberschreitend und jenseits aller politischen Einschränkungen waren und sind die Museen seit jeher gleichsam neutrale Einrichtungen."

Von den Besuchern werden keine Vorkenntnisse der langen chinesischen Geschichte vorausgesetzt: Die unauffällig präsentierten Gegenstände sind nach Materialien geordnet: Jade, Bronze, Porzellan, Papier … Am Anfang steht die im alten China höher als Gold geschätzte Jade, ein außerordentlich harter, mühsam zu bearbeitender Stein. Nach einem chinesischen Sprichwort hat Gold seinen festen Wert, "der Wert der Jade ist jedoch unschätzbar". Die Siegel der chinesischen Kaiser bestanden in der Regel nicht aus Gold, sondern aus Jade. Das älteste Objekt in der Schau, vor circa 5000 Jahren geschaffen, ist ein Jade-Anhänger in Gestalt eines Vogels: Vögel trugen nach chinesischem Mythos jeden Tag die Sonne über das Firmament. Auf Konfuzius (551-479 v.Chr.) geht die Tradition zurück, Jade als Metapher für Tugend und Moral zu verwenden. Von ihm ist der Satz überliefert: "Die Tugend des Edlen gleicht seinem Jadeschmuck." Jade ist "Schönheit in Stein mit fünf Tugenden: Ihr warmer Glanz steht für Menschlichkeit, ihre tadellose Reinheit für Weisheit, ihre Härte für Gerechtigkeit und ihre Beständigkeit für Ausdauer und Tapferkeit". Im fernen Osten gibt es Denkvorstellungen, die uns unbekannt sind. Jade versinnbildlichte mit ihrer unscheinbaren Außenhaut, die das schöne Innere des Steins verbirgt, die Suche des Weisen nach dem Urprinzip allen Seins und damit das Konzept der Erleuchtung und der Vollkommenheit.

Neben Jade hatte Bronze eine wichtige rituelle Bedeutung. Als Vermittler zwischen Himmel und Erde oblag es den chinesischen Kaisern, die Harmonie zwischen den Menschen und dem Kosmos aufrechtzuerhalten. Den Ahnen brachten sie in Bronzegefäßen Opfer dar, später entwickelten sich Bronzegefäße zu Reichsinsignien. Und dann das Porzellan: Den Chinesen gelang die Erfindung des Porzellans mindestens 700 Jahre vor den Europäern (das erste Porzellan schufen die Meißener 1709, nachdem in Sachsen Kaolinvorkommen entdeckt worden waren) - zeitlos elegant, harmonisch, oft undekoriert, bestechend allein durch die Schönheit der Glasuren, die das Augenmerk auf die Form des Gefäßes lenken. Luxus stellte man niemals plakativ zur Schau.

Gedichte des Kaisers

Ein zentrales ästhetisches Prinzip zeigt sich in der chinesischen Malerei: die Wichtigkeit der Leere. Den Blättern (Tusche auf Seide) aus Taipeh, unendlich fein, entströmt erhabene Stille, Gelassenheit, Entspannung. Mit Hilfe eines kleinen Pinsels wurde schon vor tausend Jahren die unermessliche Figur der Leere erschaffen. Malerei, Dichtung und Kalligrafie beleben einander, fügen sich zum Gesamtkunstwerk. Auf einem 900 Jahre alten Bild sieht man einen Gelehrten beim Frühlingsspaziergang. Bedächtig streicht er sich den Bart, während er unter schwankenden Weidenzweigen in die Weite schaut. Das begleitende Gedicht lautet: "Es tanzen die wilden Blumen, wenn sie mein Ärmel streift. Den Menschen meiden verborgene Vögel, sie schweigen."

Gegenstände aus Lack, diesem ausschließlich fernöstlichen Material, aus Bambus, Elfenbein, Rhinozeroshorn und Email bezaubern in ihrer Eleganz, doch ein (dem Augenschein nach nicht spektakulärer) Höhepunkt sind Bücher. Einer der wichtigsten Beiträge der Chinesen zur Weltkultur ist Papier. In China wurde es bereits seit dem ersten nachchristlichen Jahrhundert aus Pflanzenfasern hergestellt, kam über Indien und die Araber im zehnten Jahrhundert ins islamische Spanien: Kaiser Qianlong (1736-1795) ließ alte Bücher sammeln, kopieren, katalogisieren und schrieb selbst mehr als 40.000 Gedichte. Von ihm stammt der Ausspruch: "Das Schreiben von Gedichten hat immer etwas mit Regieren und Lernen zu tun."

Schätze aus dem Nationalen Palastmuseum, Taiwan (preisgekrönte Website in acht Sprachen: www.npm.gov.tw)

Kunsthistorisches Museum Wien

Bis 13. Mai 2008 Di-So 10-18 Uhr, Do bis 21 Uhr

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