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ES BEGANN VOR ZEHN JAHREN .

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Im Rahmen der Welt- und Menschheitsgeschichte ist ein Dezennium nur eine unendlich kleine, unbedeutende Zeitspanne. In unserer schnell ebigen Gegenwart jedoch, da Erfindungen und ihre Entwicklungen in rasendem Tempo einander zu übertrumpfen suchen, bringen zehn Jahre Wandlungen mit sich, die schon eine Rückschau erlauben und rechtfertigen. Das Fernsehen ist noch ein relativ junges Medium. Im deutschsprachigen Raum sind es heuer erst 30 Jahre her, seit die Übertragung bewegter Bilder zugleich mit dem Ton auf elektrischem Wege aus dem Stadium von Laboratoriumsversuchen zu einer für die Allgemeinheit brauchbaren Einrichtung heranwuchs. Der 1935 in Berlin eingerichtete „Paul-Nipkow-Sender“ — zu Ehren des Technikers Paul Nipkow, der schon 1884 die für das spätere Fernsehen notwendige Bildzerlegungsscheibe entwickelt hatte, so genannt — strahlte die ersten Programme auf Ultrakurzwellen an größere Zuschauermengen aus. Zwar standen damals die Empfangsgeräte infolge ihrer ziemlich komplizierten Handhabung, technischen Anfälligkeit und beträchtlichen Kostenhöhe noch nicht in den Wohnungen der brennend interessierten Betrachter, sondern diese fanden sich in den öffentlichen „Fernsehstuben“ ein, um zum Beispiel mit der gleichen Faszination wie wir heute die sportlichen Wettkämpfe einer Olympiade aus nächster Nähe zu verfolgen.

Wie bei so vielen Dingen unserer technisierten Welt war der Krieg auch beim Fernsehen Motor und Schrittmacher einer Entwicklung, die ohne dessen Impulse und Forderungen sicher bedeutend langsamer vorangekommen wäre. Zudem wuchsen nach Schluß des Völkerringens Erfahrungen und Erkenntnisse, die Sieger und Besiegte zuvor ängstlich voreinander gehütet hatten, zusammen und bildeten die Grundlage für das plötzliche Aufblühen des jungen Mediums. Wissenschaft und Industrie vereinten sich mit künstlerisch-schöpferischen Kräften, um aus einem relativ komplizierten Spezialinstrument eine auf Massenbedürfnisse ausgerichtete und reagierende Institution zu machen. Daß auf diesem Wage die USA und die Sowjetunion zunächst an der Spitze marschierten, ist aus verschiedenen Gründen nicht verwunderlich. Kapitalkraft und Bevölkerungszahlen spielten dabei sicher eine ebenso große Rolle wie politische Erwägungen, die sich der enormen Bedeutung suggestiver Meinungsbildung bewußt waren.

Alle diese Voraussetzungen waren bei dem kleinen, wirtschaftlich geschwächten Österreich längst nicht gegeben. Zudem stand noch ein rein technisches Problem der raschen Übernahme des den breiten Massen zugänglich gemachten Fernsehens entgegen. Zwei Drittel dieses Landes zwischen Bodensee und Neusiedler See sind von mächtigen Gebirgs-massiven bedeckt, deren hochaufragende Grate mit Hilfe zahlreicher und kostspieliger Relaisstationen überbrückt werden mußten, wenn man die Fernsehprogramme in die tiefeingeschnittenen Täler und deren Bewohner hineintragen wollte. Selbst die wesentlich reichere Schweiz ist deshalb erst beinahe ebenso spät wie Österreich in den Kreis der Fernsehnationen eingetreten.

Erst 1954 hatten in Wien die ersten technischen Erprobungen zur Gestaltung und Ausstrahlung eines Fernsehprogramms begonnen. Und hier zeigten sich gleich die ersten Schwierigkeiten. Es fehlte vor allem an dem technisch geschulten Bedienungspersonal für die Kameras. Fernsehaufnahmen haben zwar vieles mit dem Film gemeinsam, aber sie sind eben doch, allein bedingt durch die Größenunterschiede zwischen Kdnoleinwand und Bildschirm ganz anderen optischen Gesetzen hinsichtlich Bildausschnitt und Beleuchtung unterworfen. Hans Lmfoer, ein erfahrener, in allen Sätteln geübter Wochenschaukameramann, war einer der ersten, der sich dem neuen Metier verschrieb und die vor allem vom Rundfunk zum Fernsehen hinüberwechselnden Techniker bei ihren ersten zaghaften Schritten hinter den anfangs etwas unförmig wirkenden Live-Kameras begleitete. Die Volksoper gehörte zu einer der Übungsstätten der sich langsam herausbildenden Fernsehteams.

Während so unter Ausschluß der Öffentlichkeit mühsam die technischen Grundlagen für einen regelmäßigen Sendebetrieb aufgebaut wurden, bemühten sich der jetzige Fernsehdirektor Gerhard Freund als Programmleiter und Kurt Schreiber als Produktionsleiter für Film und Fernsehen das organisatorische Gerüst zu errichten. Mit dem August des Jahres 1955, nach glücklichem Abschluß des Staatsvertrages und dem drei Monate später erfolgten Abzug sämtlicher Besatzungstruppen, wurde dann der Sprung zu einem zwar auf wenige Stunden an vier Tagen der Woche, aber doch kontinuierlich ausgestrahlten Versuchsprogramm gewagt. Im Gegensatz zu den Praktiken in manchen anderen Staaten hatte man sich in Österreich von vornherein auf den Tenor und Status eines Versuchsprogramms, das auch fast zwei Jahre beibehalten wurde, festgelegt. Dadurch entzog man das junge, zarte Pflänzlein nicht nur ein wenig dem allzu rauhen Wind oft mißvergnügter Kritiker, sondern schuf sich auch Zeit und Raum, um aus den andernorts gemachten Fehlern zu lernen. So kann Verspätung auch zuweilen Vorteile bringen. Allmählich begann der in die Klassenzimmer einer ehemaligen Meidlinger Schule verbannte Appendix des Rundfunks sein eigenständiges Leben zu führen. Räumliche Beengung und sonstige technische Hemmnisse türmten sich zwar oft so hoch, daß die Verantwortlichen glaubten, sie nicht überwinden zu können. Aber gerade diese Erschwerungen, zu denen sich noch oft finanzielle Miseren gesellten — wurde doch das Versuchsprogramm den ersten Enthusiasten gratis und franko ins Haus geliefert —, waren dazu angetan, gleich einem heilenden Antitoxin die Abwehrkräfte der Selbstbehauptung in Gestalt von erhöhter Verantwortungs- und Arbeitsfreude jedes einzelnen, mochte er das Kamerakabel halten oder am Regiepult sitzen, und durch einfallsreiche Improvisation zu stärken. Damals fragte keiner, ob dieser oder jener Handgriff in seine Kompetenz gehörte oder nicht. Jeder packte im Rahmen seiner Möglichkeiten dort an, wo es notwendig war, ohne mit der Stoppuhr Leistung und Zuständigkeit zu messen. Wichtig war nur, daß die gestellte Aufgabe, das Programm, die Sendung, so gut und so präzis wie möglich in den Äther ging. Auch in dem kleinsten Mitarbeiter brannte das erregende Feuer des Neuen, der Wille zur Bewährung, kurz jener Pioniergeist, der ein weites, unbekanntes Terrain erobern will und sich nicht um bürokratische Saturiertheit schert.

Nur in einer solchen Atmosphäre war es möglich, daß aus einem Schulsaal von 8X9 Metern, Fernsehspiele und gestaltete Sendungen ausgestrahlt werden konnten. Nie werde ich vergessen, wie bei einer Dive-Sendung meiner Reihe „Blick hinter die Kulissen“, die sich mit der Akademietheaterinszenierung „Der Biberpelz“ beschäftigte, Käthe Dorsch und Theo Lingen beim Dekorations- und Requisitenwechsel dem einzigen Bühnenarbeiter mit eigener Hand halfen, während ich durch ein Interview mit dem Regisseur in einem engen Winkel des gleichen Raums den Szenenwechsel überbrückte. Und wenn man bedenkt, daß die in einer solchen Sendung mitwirkenden Künstler für zwei mehrstündige Proben vor den Kameras und der abendlichen Sendung, die meist 40 Minuten dauerte, 600 Schilling Gage erhielten, dann geht einem etwas von dem Idealismus auf, den wohl alle Beteiligten damals dem Medium „Fernsehen“ entgegenbrachten.

Die Eroberung, ja das förmliche Ringen um jeden neu hinzukommenden Fernseher, war das ungeschriebene Gesetz, dem alle Beteiligten dienten. Daher war auch jede mißlungene oder nicht ganz einwandfreie Sendung ein wesentlich größerer Prestigeverlust als zu Zeiten, da eine gewisse Routine und Saturiertheit immer mehr Oberhand gewinnen. Und es wirkte sich auch entsprechend aus. Jedes Zehntausend neuer Anmeldungen von einem Empfangsgerät aber war ein Gewinn, an dessen Erringen sich jeder mit seiner Arbeit irgendwie mitbeteiligt und verantwortlich fühlte. Und wenn wir dem österreichischen Fernsehen zu seinem zehnten Jubiläum etwas wünschen, dann das eine, daß wieder ein wenig von jenem Pioniergeist und der Begeisterung des Beginns auch die zu einem mächtigen Apparat angewachsene Institution durchdringen möge.

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