"Es lebe der Tod, es töte das Leben"

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In der Kunsthalle Wien blickt die Ausstellung "¡VIVA LA MUERTE!" unter die Oberfläche des lateinamerikanischen Umgangs mit dem Tod.

Das wird sicher etliche Wiener Ureinwohner wurmen. Da kommen tatsächlich einige aus dem fernen Lateinamerika und meinen, sie könnten die Hochkultur des spielerischen Umgangs mit dem unausweichlichen Ende jedes Menschen in dieser Hauptstadt des Todes mit künstlerischer Importware unterwandern. Muss man sich wirklich diesen Wurm in die eigene schöne Leich' setzen lassen? Wenn Klischee auf Klischee prallt - der Wiener liebe Augustin trifft auf die Zuckercalaveras am "Dia de los Muertos", dem süßfröhlichen Allerheiligen lateinamerikanischer Prägung -, dann kann es hitzig hergehen. Das Aufklärungsmedium Kunst zerbröselt diese Klischees über den angeblich leichtfertigen Umgang mit dem Tod im lateinamerikanischen Kontext, wunderbar nachvollziehbar in der Ausstellung "¡Viva la Muerte!" in der Kunsthalle Wien.

Der Tod in Lateinamerika

Die vorgestellten Arbeiten entstanden vor dem Hintergrund des spezifischen Gemischs von kulturgeschichtlichen Einbringungen vom so genannten präkolumbianischen Erbe der Indios, des in erster Linie spanischen Katholizismus der Konquistadoren und aus den afrikanischen Kulten der von einem Kontinent zu einem anderen verschleppten Sklaven. Die daraus entstandenen Götterneuschöpfungen - wie etwa Santa Muerte, eine Mischung aus der Jungfrau von Guadelupe und den aztekischen Muttergottheiten Tonantzin, Cihuacóatl und Tlazoltéotl, oder wie Jesus Malverde, dem Heiligen der Drogendealer - sind ebenso präsent wie die Aufarbeitung dieser Kulturgeschichte und deren langsames, aber sicheres Abbröckeln in eine globalisierte Einheitskultur.

Den beeindruckendsten Beitrag im Umgang mit der Geschichte des Kontinents steuert der Brasilianer Cildo Mereides bei. Seine Installation, ein Kubus, der mit einem schwarzen Gazévorhang eingehüllt ist, öffnet sich im Inneren zu einem Beet aus Münzen. Der Plafond besteht aus 2000 herabhängenden Knochen, die von oben auf raffinierte Weise mit Lampen, wie man sie aus der Aufzucht von Kücken kennt, beleuchtet werden. Als Verbindung hat Mereides Oblaten in der typischen Hostienform wie zu einer Wirbelsäule aufgefädelt und im Schnittpunkt der Diagonalen der Grundfläche als "Stütze" eingefügt. Eine stille Installation, die man umrunden kann, sobald man aber das Geldbeet betritt, erzählt sie in unangenehmen Knirschtönen die Geschichte von der (Un-) Beziehung zwischen Gott und dem Mammon.

Die Maske des Frohsinns

Auch die anderen künstlerischen Analysen des Umgangs mit dem Tod im Lateinamerika der Jetztzeit lassen keinen romantischen oder touristischen Blick auf eine ach so lockere Einbeziehung vom Ende des Lebens in den Alltag zu. Die Kunstschaffenden brechen die Maske des Frohsinns auf und zeigen die dahinterliegende Verzweiflung von Menschen, die auf einem Kontinent leben, auf dem der Ausnahmezustand von Gewalt in allen ihren Facetten schlichtweg Dauerhaftigkeit erreicht hat.

Die Kunst listet lückenlos auf: "Rituelles Beschwören des Todes in Akten der existenziellen Selbstüberhebung, höhnische Konfrontation mit dem Anderen, um nicht endgültig im Abgrund der transzendentalen Obdachlosigkeit zu versinken, beiläufiges Abschlachten von Menschen als professionelle, Craftmanship', unbeachtetes Sterben in jener Gosse, in der sich der Abfall der Metropolen sammelt", fasst Kurator Thomas Mießgang in seinem lesenswerten Katalogbeitrag zusammen.

So formiert der Kolumbianer Juan Manuel Echavarría menschliche Knochen zu Blumenbildern, die mit ihrem lateinischen Namen ausgewiesen sind, und nimmt damit eine grausige Verstümmelungstechnik auf, bei der Füsilierten Kopf und Gliedmaßen abgetrennt wurden, um letztere dann in den offenen Halsschlund zu stecken. Der Körper fungierte wie eine Blumenvase - das war auch die zynische Bezeichnung, die Echavarría übernommen hat -, die Gewalt als Dekor der Gesellschaft.

Eine etwas anders geartete Spurenlese unternimmt Regina José Galindo. Sie legt die Strecke zwischen dem Verfassungsgerichtshof und dem Nationalpalast in der guatemaltekischen Hauptstadt mit einer Schüssel voll Blut zurück, taucht immer wieder ihre Füße darin und hinterlässt so eine Blutspur quer durch die Stadt, die den Alptraum als Selbstverständnis der Bevölkerung dieses Landes dem öffentlichen Raum aufdrückt.

Schrei gegen Bildergier

Der Fotograf Enrique Metinides unterwirft sich der gewaltgeilen Boulevardpresse, indem er ihre Gier mit Bildern befriedigt, und unterwandert sie gleichzeitig durch eine religiöse Auratisierung seiner Arbeiten. Jorge Macchi reißt aus Werbebotschaften einzelne Begriffe heraus und formuliert damit einen neuen Text, der die ursprünglich einlullende Botschaft in einen aggressiven Aufschrei über Wut und Tötungsabsichten transponiert. Nachdem man den Luftblasenregen durchwandert hat, den Teresa Margolles aus Wasser hergestellt hat, mit dem Leichen gewaschen wurden, steht am Ende ein lachender Totenkopf, dem Vik Muniz eine knöcherne Clownsnase verpasst hat. Damit ist die ursprüngliche Botschaft "Es lebe der Tod!" endgültig ergänzt durch ein zeitgenössisches "Es töte das Leben!"

¡Viva la Muerte!

Kunst und Tod in Lateinamerika

Kunsthalle Wien

Museumsplatz 1, 1070 Wien

www.kunsthallewien.at

Bis 17. 2. 2008 täglich 10-19 Uhr,

Do 10-22 Uhr

Katalog: ¡Viva la Muerte! Kunst und Tod in Lateinamerika, Nürnberg 2007, 216 S., € 14,-

Siehe zum Thema auch den Bericht über die Ausstellung "exitus. tod alltäglich" im Wiener Künstlerhaus auf Seite 3.

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