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Europa war hingerissen

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Der junge Mann aus Europa, der sich -man schrieb das Jahr 1928 - für einige Monate hatte beurlauben lassen, um die Rechtsanwendung in Asien kennenzulernen, und der in den Bergen von Hakone in der Nähe des Fuji in den Laden des betagten Herrn Shiba kam, fragte diesen nach dem Preis des Holzschnittes „Der Spaziergang” von T'orii Kiyonaga. Das Blatt sei unverkäuflich, antwortete Herr Shiba, er wolle es für seine eigene Sammlung behalten, und als der junge Europäer insistierte, nannte er einen astronomischen Preis. Am nächsten Morgen wollte ihn Shiba auf andere, weniger teure Holzschnitte aufmerksam machen, doch der junge Mann, er hieß Otto Biese, hatte sich Kiyonagas „Spaziergang” in den Kopf gesetzt. Kurz vor seiner Abreise ließ Shiba ihn noch einmal holen und eröffnete ihm, er habe nachgedacht, wenn jemand ein Blatt so liebe, solle es in dessen I lande gelangen: „Sagen Sie mir, wieviel Sie in der Lage sind, für dieses Blatt zu bezahlen, und ich werde Ihr Angebot annehmen.”

Otto Bieses Beise wurde zum Beginn einer lebenslangen Liebe zu Japans Kultur und Lebensweise, und „Der Spaziergang” zum ersten Stück einer der bedeutendsten Sammlungen japanischer Farbholzschnitte. Seine Erben - er starb 1977 - übergaben sie als Dauerleihgäbe dem Museum für ostasiatische Kunst in Köln, wo sie bis 7. Dezember ausgestellt ist. Der Kunstfreund muß nicht nach Köln reisen, um sich einen Eindruck von Otto Bieses Sammlung zu verschaffen. Zwei Publikationen des Münchner Verlages Prestel, das Katalogbuch „Meisterwerke des japanischen Farbholzschnitts - Die Sammlung Otto Biese” und das in englischer Sprache erschienene Werk „Hiroshige -Prints and Drawings”, werden Freunde dieser Kunst begeistern - und ihr neue Freunde gewinnen. Der Erhaltungszustand von Bieses Blättern ist so hervorragend, die Farbe meist so frisch, daß sie den gewaltigen Eindruck -und Einfluß! - nachvollziehbar machen, den der japanische Farbholzschnitt seit den Pariser Weltausstellungen von 1867, 1878 und 1889 auf die europäischen Maler ausübte: Europa war hingerissen. Ironischerweise gerade, als diese Kunst in Japan selbst kaum mehr Neues hervorbrachte. Der Farbholzschnitt war lange die graphische Technik Japans schlechthin. In seinen entscheidenden Phasen war er das Gegenteil einer höfischen Kunst, nämlich eine der unteren Gesellschaftsschichten, eine großstädtische Kunst: In der vom Regenten Tokugawa - er riegelte Japan nach außen ab und gewann dadurch 250 Jahre des Friedens - im frühen 17. Jahrhundert installierten Rangordnung standen die Kaufleute unter den Bauern vor den „Verachteten” (Schauspieler, Kurtisanen, Hörige), und die Schichte, welche die Entwicklung der Künste trug, waren die unteren, nicht zu Reichtum gelangten Kaufleute. Der Farbholzschnitt war eine hedonistische Kunst der Lebensfreude, des Genusses, in höchst raffinierter Verfeinerung der Zeichnung und Farbanwendung. Die Künstler mußten mehrmals die gesellschaftlichen Konflikte ausbaden: 1721 wurde der Farbholzschnitt vom Hof als demoralisierend verworfen, 1790 ein Zensurstempel eingeführt, 1804 Utamaro, einer der Klassiker, in den Kerker geworfen.

Die Kommentare von Rose Hempel zu den Blättern der Sammlung Riese vermitteln nicht nur die Früchte langjähriger fachlicher Arbeit am Farbholzschnitt Japans - sie können auch als faszinierender illustrierter Beitrag zur Gesellschaftsgeschichte Japans gelesen und genossen werden.

Das Werk über Hiroshige (1797-1858) vermittelt den allerletzten Stand der Forschung über diesen Meister, ebenfalls anhand eines großartigen Bildmaterials. Japans Farbholzschnitt umfaßt eine Bandbreite von der Wiedergabe feiner psychologischer Nuancen bis zum dezent Lasziven, von der tosenden Naturgewalt bis zur lyrischen Wolkenstimmung, in seiner Welt kann man, anhand dieser beiden Bücher, für Stunden versinken.

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