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Europäischer Volksglaube

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Unter dem Dachgiebel des Franziskanerklosters in St. Peter hat das neue Museum für Volkskunde in Salzburg seine Aufstellung gefunden. In jenem altersgrauen Gebäude, wo vor Jahren noch die Gestapo ihr grausames Werk übte, haben nun wieder die Franziskaner ihren Einzug gehalten und der Sammlung Obdach gewährt. Stiller Friede weht über dem breiten, mit den Bildern der Erzbischöfe von Salzburg geschmückten Stiegengang zu der niederen Türe, hinter der das Reich des Gründers des Volkskundemuseums beginnt. Professor Dr. Rudolf Kriß hat hier zusammen mit seinem verdienten Sekretär Lorenz Rettenbeck aus den verschiedenen Verlagerungen in den Jahren 1947 und 1948 eine in Europa einzigartige, weil geschlossene Spezialsammlung auf dem Gebiete des Volksglaubens aufgestellt.

Sie erfaßt einerseits das Wallfahrtswesen in seiner ganzen volkstümlichen Darstellung, Votive, Weihegaben, Devotionalien und im Gegensatz dazu die magische Seite: Steinaberglauben, Amulette, Zauber und Segen.

Gleich der erste Raum ist mit Votivtafeln aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts bis zur Gegenwart angefüllt. Ursprünglich als hohe Kunst in Italien geübt, fand die Votivtafelherstellung erst in den adeligen Kreisen Eingang und wird dann im 18. Jahrhundert zu einem bürgerlichen Massenfabrikat. Im 19. und 20. Jahrhundert aber wird sie ins bäuerliche Milieu verwiesen und sinkt ins Primitive ab. Jetzt mischen sich frommer Glaube und Dankbarkeit für die Errettung aus allerlei Fährnissen mit derb bäuerlichem Humor: zwei wilde Raubgesellen zum Beispiel werden bei ihrer Mordarbeit durch ein Kind im Nachthemd gestört und ergreifen die Flucht. Und der Großbauer nimmt es mit der Darstellung sehr genau: die Anzahl der erretteten Kinder und noch mehr die der Kühe, Pferde und Kälber, die vor Brand, Blitz und Überschwemmungen gerettet wurden, muß genau stimmen. Nach dem Verfall des Brauches um die Jahrhundertwende nehmen ganze Gemeinden seit 1946 bürgerliche Maler in ihren Auftrag, so St. Anton, wo in der Wallfahrtskirche ein großes Votivtafelbild aufgestellt wird, weil der Ort von Kampf und Brand beim Einzug der Amerikaner verschont geblieben ist, nebst vielen Einzeltafeln für die Errettung bei Fliegerangriffen und anderen Kriegsgefahren, wie in Altötting und an anderen Orten mit Gnadenkirchen.

Diese Votivbildersammlung ist die vollständigste Sammlung ihrer Art in Europa.

Eine eigene Gruppe bildet die A n- dachtsbildersammlung. Sie versucht, die Geschichte der Andachtsbilder vom Beginn des 15. Jahrhunderts bis zur Gegenwart aufzuzeigen. Holzschnitte und Kupferstiche, oft von weltberühmten Spendern signiert, Spitzenbilder, Fächerbilder, Stickereien (Spickeibilder) auf Hausenblasen und in der späteren Manier, auf Gelatine hauchfeine Miniaturbildchen zu zaubern, sind meistens Klosterarbeiten. Als Unikum wird die Serie eines Kreuzwegs gezeigt, entzückend feinfarbige Aquarelle auf Pergament von hochkünstlerischer Art, ebenfalls Klosterarbeit. 500 Stück dieser Sammlung stammen allein aus Alt-Ötting.

In der Wallfahrtsbildersammlung stampn aus einer Kapelle in Gries- kirchen eine Madonnenfigur. Tragbilder unserer lieben Frau wurden von kleinen Buben, den „Herbergssuchern”, jeden Tag zu einem anderen Haus getragen, vom ersten Adventsonntag an, ein alter Brauch, geübt im Salzburgischen wie im Berchtes- gadner Land. Ein Gnadenbild vom Bogenberg bei Straubing und zahlreiche Figurinen, ersterem nachgebildet, zeigen die Muttergottes mit dem Kind im offenen Leib, von den primitivsten Versuchen bis zu künstlerischer Vollendung. Vorbild hiezu ist eine gotische Steinplastik aus dem 14. Jahrhundert.

In einem Kabinett stehen in Vitrinen die Wachsopfergaben in allen Farben, weiß, gelb, grün und rot. Bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts wurden die wächsernen F: guten handgeformt. Aus dem Aufblühen er Wallfahrtskulte entwickelten sich die Wachsziehereien, von geübten Schnitzern wurden die vielfältigen Holzmodeln hergestellt, aus denen dann die Figuren gegossen werden. Wenn heute irgendwo solche alte Wachsziehereien mit alten Modeln in einem Bergwinkel entdeckt werden, werden Figuren gegossen, meist in roter Farbe, die alle Einzelheiten aufleuchten läßt. So die Figuren aus Fürstenfeldbruck in ihrer Tracht aus der Meistersingerzeit und ganz reizend Mann und Frau in der Tracht der Dürer- Zeit. Ein großes Fach umfaßt den s 1 a- wischen Kreis. Während bei uns nach 1850 keine neuen Modeln angefertigt werden, geht der Brauch dort weiter bis zum heutigen Tag. Man sieht Automodeln und tschechoslowakische Kronen aus Wachs mit der Prägung und dem Staatswappen.

Im Innviertel und in Niederbayern gilt der Brauch der Opferung von in Ton oder Holz nachgebildeten Lungen. Davon sind über 50 in der Sammlung vertreten, darunter die seltsamsten Gebilde von der getreuesten anatomischen Nachbildung bis zu den groteskesten Formungen.

Als Vergleichssammlung sind Stücke aus Italien ausgestellt, altrömische und altetruskische Opfergaben aus dem 4. und 3. Jahrhundert vor Christi.

Die Reichhaltigkeit der Sammlung von Zauber und Segen breiter auszuführen, ist unmöglich. Eine ganze Reihe von Gegenständen zeigt das Brauchtum aus ältester Zeit bis zu unseren Altvordern, von den Steinamuletten, die auf rein magischem Boden fußen, bis zu den rein christlichen Symbolen, die Brevesammlung aus der Barock- und Biedermeierzeit, die Krippe, von Plattner geschnitzt, oder die großen Andachtsbilder in öl, die Hinterglasbilder des tiroler und bayrischen Kreises mit Vergleichsstücken mittelitalienischer und norditalienischer Herkunft, und die reiche Sammlung von Großplastiken, Christus auf der Rast, Madonna gravida und andere mehr.

Die Sammlung, für den Lehr- und Seminarbetrieb im Rahmen der theologischphilosophischen Fakultät Salzburg aufgestellt, ist bisher nur Wissenschaftlern zugänglich gewesen, doch sind in Zukunft auch Führungen interessierter Laien vorgesehen. Auch werden im Rahmen des Instituts wissenschaftliche Schriften herausgegeben werden, so „Die Bilderbücher der religiösen Volkskunde” von Prof. Dr. Kriß und „Volkskunde aus altbayrischen Gnadenstädten” von demselben Verfasser, „Volksglauben der Steiermark” von Pater Romuald Pramberger usw.

Durch die Ernennung Prof. Dr. Kriß’ zum Mitglied der „Commission internationale des traditions populaires”, Paris, hat das Institut nun auch Verbindung zu internationalen Forschungsstellen.

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