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Experiment „Stadtkirche“

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Die Kirche vollzieht ihr Leben stets in gemeindehafter Form. Die Gemeinschalt derer, die an. Christus glauben und von Ihm zusammengerufen und geführt werden, ist jene Gemeinde, in der Er selbst gegenwärtig ist und in der in menschlicher Greifbarkeit das Heil Gottes der Welt geschenkt wird.

Dieses Leben der christlichen Gemeinde kann sehr vielfältig sein. Es gibt Gemeinden, die über Generationen hin kontinuierlich bestehen, andere wieder konstituieren sich für kurze Zeit (wie etwa bei einer Messe auf einem Jugendlager, einer Tagung, einer bestimmten Famiiien-gruppe, einer Berufsgemeinschaft). Gemeinden können sich überall dort bilden, wo der Ruf Christi die menschliche Gesellschaft trifft. So vielfältig menschliche Sozietät sein kann, so vielfältig kann die Form der Gemeinde Christi sein — so unabdingbar sie aus der Gemeinschaft mit Christus für die Welt leben muß. Stets ist sie lokalisierte Gegenwart des Grundphänomens „Kirche“, aus der Tat Christi aufgebrochen und aus der Erfahrung und der Kraft des Auf erstandenen lebend.

Die Kirche hat einige dieser gemeindehaften Formen kirchlichen Lebens besonders institutionalisiert: so etwa die Pfarrgemeinde, die Ordensgemeinschaften usw. Jeweils antwortet die Kirche mit einer solchen Instiitutionaiisierung einer bestimmten gesellschaftlichen Situation. Diese Formen sind wandelbar und der jeweiligen Situation entsprechend, damit das Ereignis der Kirche der menschlichen Wirklichkeit voll begegnen kann.

Zwecksolidarität und Distanz

Unsere Frage lautet: Wie antwortet die Kirche der menschlichen Lebensform „Stadt“? Unsere Antwort: in der Form der Pfarre. Das Problem besteht darin, ob die Form der territorialen Pfarre eine entsprechende Antwort sein kann:

• Es ist hier eine nähere historische Erläuterung nicht möglich, wir meinen jedoch, daß die uns überkommene Form der Pfarre für andere gesellschaftliche Bedingungen entwickelt wurde, etwa die Dörfer und Märkte des 17. Jahrhunderts und daher den Wirklichkeiten gegenwärtigen Lebens, wie es sich immer stärker überall verbreitet und in der Stadt (besonder in der Großstadt) seinen typischen und unübersehbaren Ausdruck .gewinnt, nicht mehr ganz entsprechen kann.

• Es kann also nicht angehen, nach übernommenen Strukturen kirchlicher Seelsorge, die in einer anderen Situation entstanden sind und deren übersteigbare Grenzen seelsorglicher Möglichkeit sich deutlich zeigen, das Problem „Kirche in der Stadt“ zu bedenken. Es muß vielmehr zuerst das Phänomen „Stadt“ in seiner menschlichen Gestalt, seiner Möglichkeit, seiner Bedrohung, seinen Formen erfaßt werden, ehe die Frage nach der Institutionalisierung der Form städtischer Seelsorge und gemeindlichen Lebens gestellt werden darf.

• Die Verstädterung der Siedlungsformen und die Stadt selbst sind Ausdruck einer Gesellschaft, die von einer ungeheuren Dynamik erfaßt ist. Elemente dieser Dynamik sind: Ablösung patriarchalischer, statischer Ordnungen durch flexiblere und schwieriger zu institutionalisierende partnerschaftliche Strukturen. (Entsprechungen finden sich im Bereich der Familie, des Bildungswesens, des politischen Lebens, der wirtschaftlichen Gruppierungen.) So-

zialer Auf- und Abstieg, Berufswechsel, Wohnortwechsel, die Möglichkeiten des Verkehrs bedingen eine starke Mobilität und einen neuerlichen Faktor der Bewegung. Im zwischenmenschlichen Bereich verwandeln sich Nachbarschaft, Berufsgemeinschaft, Freundschaften zu freibejahten, bewußt gepflegten Beziehungen, die nicht unmittelbar räumliche Nähe voraussetzen. „Intimität auf Distanz“ kennzeichnet eine Verhaltensweise des Städters.

Sein Problem ist die Verarbeitung einer Fülle von menschlichen Bezie-hungsmöglichkeiiten, der er nur in geringem Maße entsprechen kann. Daher entsteht eine Art „Zwecksolidarität“. Öffentlichkeit und privates Leben sind getrennt, Arbeitsplatz und Wohnstätte, Arbeitszeit und Urlaub, Sozialisierung und größerer individueller Freiheitsraum — diese Begriffspaare stecken ein weitgespanntes Feld städtischen Lebens ab.

Gewandelte Lebensformen

Die Gesellschaft erfreut sich eines hohen Maßes an Information und Bildungsmöglichkeiten, Massen-kommunikationsmittel und demokratische Staatsformen fördern die Pluralität der Weltanschauungen, Religionen, Lebensansprüche usw. Damit wird die Kirche von ihrer einstmals beherrschenden Situation in eine Situation der Konkurrenz gerückt. Ihr religiöser Anspruch muß sich jedesmal neu ausweisen — er ist nicht mehr als gesellschaftlich institutionalisiert vorauszusetzen.

Der Gottesdienstbesuch in der

Stadt fällt bei Arbeitern, Männern und den Mitteljahrgängen stark ab gegenüber den Beamten, Frauen und Kindern. Die aus dem dynamischen Zentrum der Gesellschaft eher an den Rand Gedrängten, die noch nicht voll Eingegliederten, sind die eifrigsten Kirchengeher. Es gibt Riesenpfarren mit 20.000 Katholiken, einer viel zu kleinen Kirche, einem überarbeiteten Klerus, dessen Energien großteils in schulischen und gottesdienstlichen Aktivitäten auf-

geht. Unmöglich kann so eine Stadtpfarre all das tun, was die Fülle und die Möglichkeiten heutigen städtischen Lebens erfordern (nicht nur nahelegen!). Die zuständigen Seelsorger müßten der Begabung nach Universalgenies sein, müßten über ein Maß an Ausbildung, Zeit und Kraft verfügen, das einfach unmöglich ist. Dazu kommt die Tatsache, daß alle das Gefühl haben, die Entwicklung laufe ihnen davon. Die Osterliturgie — Hauptliturgie der Pfarre — leidet seit Jahren unter dem Osterverkehr! Das Leben der Menschen spielt sich nicht innerhalb der Pf angrenzen ab, ihr Lefoensrhythmus ist ein ganz anderer geworden! Der Friedhof ist am Stadtrand, das Spital liegt Bezirke weit weg, die Anfahrtwege in die Schule und zu den Arbeitsstätten sind beachtlich, die Urlaubszeit verändert das Bild einer Pfarre bedeutend, dazu kommen Übersiedlungen und Zuzüge, die neu aus dem Boden schießenden Fremdenverkehrsbetriebe, Kongreßzentren, Studentenheime (oft in der Größe von Dörfern!).

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