Feierfeste für alle Sinne

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Ritual, Kult und Kunst: die Sammlung Essl würdigt Hermann Nitsch aus Anlass seines 65. Geburtstags mit einer umfassenden Retrospektive.

Man soll die Feste feiern, wie sie fallen. Da trifft es sich gut, wenn der, den man befeiern möchte, das Fest zu seiner zentralen künstlerischen Kategorie erklärt hat. Noch besser, wenn der gleiche Festmann nicht nur in umfangreichen Theoriebildungen ausgeklügelte Anleitungen für ein richtiges Fest anbietet, sondern selbst auch deren Durchführung mehrmals vorexerziert hat. Genauso opulent, bis zu einer Dauer von sechs Tagen. Und auch nicht irgendwelche partyähnlichen Small-talk-Anhäufungen werden geboten beziehungsweise nahe gelegt, nein, sondern richtige Feierfeste für alle Sinne, mit radikalem Tiefgang oder dionysischer Erhebung, wahre Freudenspektakel: das Orgien-Mysterien-Theater. Relikte und Dokumentationen zu diesem Lebenskunstwerk von Hermann Nitsch zeigt nun die Sammlung Essl, als Geburtstagsgeschenk und Geburtstagsfest.

Orgien-Mysterien-Theater

Man merkt diesen künstlerischen Relikten und Dokumenten den Wirklichkeitshunger an, der auch den jungen Nitsch dazu veranlasst hat, das Bild als Repräsentationsfläche zu verlassen. Zu stark waren die Eindrücke der nicht zuletzt durch "starke" Bilder unterstützten Katastrophe der Zeit zwischen 1933 und 1945, die bereits latent vorhandene Zurückhaltung gegenüber der "schönen Kunst" durfte angesichts dieser Erfahrungen den weiteren kunstwirkenden Leitstern abgeben. Nitsch wollte sich, wie die anderen Aktionisten auch, nicht mehr der Illusion des Tafelbildes hingeben, sondern die "Wirklichkeit als direktes Gestaltungsmittel" seiner Kunst zunutze machen, wie er schreibt. Wobei Wirklichkeit hier zunächst einmal in einem doch eingeschränkteren Sinn verstanden wird, es geht hauptsächlich um die triebhafte Wirklichkeit, um den verschütteten Bereich der menschlichen Person, der unterdrückt wurde und dann besagte Katastrophen produziert hatte.

Gemäß dem Vorwurf von Antonin Artaud, dem Erfinder des "Theaters der Grausamkeit", die europäische Kultur habe durch ihre Denksysteme einen Zugang zu spontanen Lebensäußerungen mehr und mehr verbaut, will Nitsch diese Vitalitäten nicht nur registrieren, sondern in der künstlerischen Übersteigerung "zum Exzess hochtreiben". Allerdings nicht als Selbstzweck oder als in die Perversion abdriftende Spektakel, seine "Abreaktionsspiele" sollen der Vermeidung der katastrophenproduzierenden Triebausbrüche dienen. Die alte Vorstellung der Kunst als Katharsis, als Reinigung, soll wieder zu ihrem Recht kommen.

Exzess als Abreaktionsspiel

Den konkrete Ort dieser Reinigung geben dabei die mehrtägigen "Festspiele für die Menschheit" ab, bei denen die Akteure nach einer festgelegten Partitur beinahe alle Kunstsparten ausleben. "Ich propagiere das Gesamtkunstwerk - ich bin alles: Maler Dichter, Theatermann, Musiker, Lyriker, Skulpteur", charakterisiert Nitsch sich selbst.

In der eingestandenen engen Verbindung zwischen Ritual, Kult und Kunst kommt es zu einer synkretistischen Verbindung zwischen Elementen aus antiken Mysterienspielen und dem christlich geprägten Umfeld des Künstlers. Die dabei vollzogene Hausschlachtung von Tieren, das Wühlen in Gedärmen, das Versprengen von Blut, das Zerstampfen von Weintrauben knüpfen an alltägliche Vorgänge aus dem geliebten Weinviertel an, überhöhen sie aber zu einer aggressiven Kunst. Er mache keine gemütliche Kunst, meint Nitsch und hält damit "den Leuten einen Spiegel vor und zeigt, wie sie wirklich sind".

Grenze zur Blasphemie

Indem Nitsch bekannte Accessoires aus dem religiösen Bereich in seine Aktionen einbaut, wandert er natürlich auf der Grenzlinie hin zu Blasphemie. Aber seine Beteuerungen, dass er niemals "Blasphemien bewirken oder die Würde religiöser Einrichtungen verletzen" will, sind aufrichtig. Vielmehr zertrümmert er das eine oder andere liebgewonnene Gottesbild.

Aber wer wird mit seinen Gottesbildern schon Gott gerecht? Da stellt sich schon eher die Frage, wie weit die Transformation des christlichen Erbes durch die Kunst von Hermann Nitsch für dieses Erbe einen affirmativen Mehrwert darstellt. Aber dies liegt wohl jenseits der Intentionen dieser Arbeiten, wohlfeile Antworten zu geben, gehört eben nicht zu den Aufgaben der Kunst. Und in der Lage zu sein, die richtige Frage zu stellen, ist schon eine immense Leistung. Und sei es nur die Frage nach unserem Gott auf dieser Erde.

Nitsch - eine Retrospektive

Werke aus der Sammlung Essl

Sammlung Essl, An der Donau-Au 1, 3400 Klosterneuburg

Bis 11. Jänner 2004

Di-So 10-19, Mi 10-21 Uhr

Katalog: Nitsch - eine Retrospektive. Werke aus der Sammlung Essl,

228 Seiten, e 25,-

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