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Fenster ins Unendliche

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Theologische und wissenschaftliche Themen waren bisher der Inhalt der Salzburger Hochschulwochen. Das Vortragswerk hat diesmal seine Vollendung erfahren mit dem Thema der Kunst, diesem fundamentalen Thema: es ist die Einheit von Religion und Kunst, die dem Wirken des Menschen seine gottebenbildliche Würde sichert. Erzbischof Dr. Rohracher hat zu Beginn der Vorträge es ausgesprochen, daß die Kunst den Auftrag habe, den engen angsterfüllten Raum unseres Daseins durch ein Fenster ins Unendliche zu durchbrechen.

Das Thema ist von strenger kulturverantwortlicher Bedeutung; wenn aber mancher etwa Einseitigkeit oder irgendeine Enge befürchten wollte, so ist dies durch die bisherigen Darbietungen widerlegt. Umfassend allgemein durch den Abt von St. Bonifaz in München, Dr. Hugo Lang OSB., mit seiner von heiterer Klarheit beseelten Rede über

„Das Problem der Qualität in der Kunst“, Qualität im Werk der bildenden Kunst ist gestaltete Sprache im Auge, ist Form, sinnen-haftc Form, ist Linienverlauf, Kurvengang, Farbenmelodik, Schwarzweißausdruck, raumgestaltende, tastbar bezwungene Körperheit. Es war freudeweckend und Kunstfreud sichernd, wie der Abt die künstlerische Qualität frei erklärte von aller Abhängigkeit vom Wissen, vom Gegenstand, von Weltanschauung und Zeitstimmungen. Qualität ist transsubjektiv, also unabhängig vom Verstchen-können. Wir beantworten Qualität mit dem Qualitäts g e f ü h 1, der Ratio bleibt sie unfaßbar. Wertvoll wegen der gegenwärtigen Ausstellung war, was der Abt über Waldmülleri „Genauigkeit“, etwa beim Baumschlag, sagte; diese Formungen sind Verzauberungen. Der wahre Kunstbetrachter ist fern von Namen und Daten und verstandesmäßigem Verlangen, er folgt dem Kunstwerk als einem Anruf an das Auge. Nicht Wissen, nicht Denken erschließen das Kunstwerk, nur der Blick der reinen Liebe zum reinen Ausdruck, wie Ehrfurcht sie gebietet. Goethes Ueberzeugungen, Thomas von Aquinos Grundforderungen an das Kunstwerk: claritas, integritas, conso-nantia, vereinen sich da mit Piatos sokrati-schen Erkentnissen. Von hier aus ist künstlerischem Schaffen edle Freiheit gewahrt und .der Kunstbetrachtung ihr rechter Weg.

Der Vortrag des Prälaten Dr. Robert G r o s c h e (Köln) klärte die Beziehung zwischen „Kirchlicher Autorität und schöpferischer Freiheit“, das päpstliche Offizium vom 30. Juli 1952 seinem ganzen Sinn nach erläuternd, insbesondere dessen Richtlinien als notwendig kennzeichnend, weil ja das oft Ungewohnte moderner Kunstformungen Aerger-nisse für den Gläubigen veranlassen kann. Auf die Bedenklichkeiten und Schwierigkeiten, die sich bei der Gegenwartskunst für die kirchlichen Behörden oft ergeben, ist der Vortragende leider nicht eingegangen: Beispiele hätten interessiert., Wichtig, war, daß er gegen Kitsch in den Kirchen Stellung nahm. Fruchtbare Gedanken veranlaßte er durch Hoffnung auf mögliche Beziehungen zwischen moderner Kunst und einer Erneuerung der Liturgie.

Ein kluger Wegbahner für die moderne Kunst ist Prof. Dr. Ildefons B e t s c h a r t OSB. (Salzburg) von der Psychologie aus. Wenn auch das Auge, freilich von den inner-, sten Quellgründen her genährt, das schöpferische Organ ist, die Psyche wirkt im Schaffenden und im Betrachter immer mit. Betschart behandelte ihre Situation im Betrachter: sehr oft sind es Bahnen der Gewohnheit, der Bequemlichkeit, die einer Umschaltung der empfangenden Empfindung im Wege stehen. Man spricht, dem Neuen ausweichend, von der „Geschlossenheit“ eines Kunstwerkes und verschuldet eine subjektive Verschlossenheit, läßt vor lauter Rechtfertigung der Traditionen die Aufgeschlossenheit verkümmern. Auch macht oft die „Fluchtreaktion“ vor Werken der Gegenwart deren Erfassung unmöglich. Aber auch das Steckenbleiben in der Verschwommenheit der Gefühle, deren Verwechslung mit Tiefe und Vertiefung läßt eine Erfassung neuer Formweisen nicht zu. Wahrer Erfassungswillc ist Hingabe, schauende Hingabe an die Formensprache des

Künstlers. Das Bemühen geht um eine Durch-schaubarkeit der Dinge, des Dingwesens, das Paracelsus die Tugend der Dinge genannt hat. Ja, bedenken wir es nur im Ernste: es geht um eine neue Verinnerlichung.

Die beiden Pfeiler, die den geistigen Bau dieser ersten Hochschulwoche trugen, waren die je fünfstündigen Vorträge von Dozent Dr. Peter Metz (Erlangen) und Professor Dr. Alfred S c h m i d (Fribourg). In einem seelisch zielhaften Ueberblick ist es Dr. Metz gelungen, nicht nur die Wandlungen der Kunstgestaltung des christlichen Abendlandes an trefflich gewählten Beispielen deutlich zu machen, sondern damit auch geistesgeschichtlich gleichsam das Schauspiel „Mensch“ von der Antike bis heute den Hörern ins Bewußtsein zu bringen und damit eine tiefwirkende Besinnung aufzurufen. Professor Schmid zeigte kunstgeschichtlich — die Bezeichnung ist freilich zu dürftig, wie ja überhaupt „Kunstgeschichte“ vom Wesenhaften her immer mehr an Respekt verliert!

— „die künstlerische Entwicklung seit dem französischen Impressionismus“. Die Darlegungen von Dr. Peter Metz über „Idee und Erscheinungsform des Kunstwerkes wuchsen aus dem Boden der Heilslehre und der katholischen Liturgie, aber so, daß auch der Andersgläubige von dieser tiefgründigea Wesenheit aus jedenfalls zu gewichtigen Ueberlegungen angeleitet ward. Der führende Begriff, zu dem Metz immer wieder konsequent sich zurückgewendet hat, ist das Numinose, also die geheimnisvolle, welthafte Wirkkraft in den künstlerischen Gestaltungen und in ihren Auswirkungen auf uns, das heißt, soweit wir, wie der wirklich Musikalische auf die Musik, die Töne, hinhorcht, auf die Sprache der Kunstwerke (man denke da an die Einsichten und Darlegungen des Münchner Abtes von Sc Bonifaz) hinschauen, sie erfassen und in uns aufnehmen. Denn dem Bilde wohnt eine Macht inne. Wie sehr wird diese Tatsache von der eilenden menschlichen Gesellschaft übersehen, ja bei der Sündflut des heutigen Bilderschwalles (unverdaut von Millionen tagtäglich hineingeschlungen, für nichts), überhaupt ver-* gessen! Prof. Metz ließ'die Hörer schauen, wie die Beziehungen zwischen äußerer und innerer “Wirklichkeit von der Antike an über das Frühchristliche, Mittelalterliche zur Renaissance hin den Kunstwerken, Plastik, Bauten, Bilder, ihr Gesicht gegeben haben und wie' immer wieder eine andere menschliche Gesellschaft, das heißt mit anderen Erkenntnissen, anderen Hoffnungen, vor den Werken der Künstler steht und schaut und von ihnen erbauend angesprochen wird. Es wurde weiter gezeigt, wie das Wissen, wie der forschende Intellekt die Oberhand gewinnt über das einst Numinose im Geschöpf des innerlich verwurzelten Künstlers. Am geänderten Blick der Figuren — vom Mittelalter zur Renaissance

— wurde diese Umwandlung besonders deutlich, wurde im positiven Beispiel erschütternd deutlich an den Selbstbildnissen des großen, des einzigen Rembrandt, diesen letzten Offenbarungen des Symbolhaften in der Körperlichkeit des Personalen durch das verklärende Licht. Und dann in der Pracht eines Spiegelsaales im Rokoko, wo der Mensch sich selbst rundum bespiegelt, ward die beginnende innere Verarmung des Menschenwesens sichtbar, und seine wüstenhafte, verirrte Leerheit bei dem 26stöckigen Haus aus Glas und Metall in Chikago, Bild einer Durchsichtigkeit ins Nichts. Da könnte man von tragödienhafter Traurigkeit der Menschenwege bedrückt wer-•den, wenn nicht — und diese Tatsache sprach durch die Ueberzeugungen des Vortragenden hindurch — die Menschheit von den Kräften des Glaubens her doch in erlösende Richtung geführt würde, durch die Offenbarung einer objektiv geistigen Welt. — Professor Schmid führte mit der Reihe vorzüglicher farbiger Diapositive durch den Bildersaal des Abendlandes. Auch die Gestaltungsweisen der letzten vierzig Jahre bis heute wurden innerhalb der seelisch-geistigen Vorgänge, innerhalb des suchenden, oft zersetzenden Bemühens um neuen Formenausdruck dem Verstehen, dem Begreifen, ja der Rechtfertigung von der so oft gequälten Lebendigkeit des Menschenwesens aus nahegebracht. Die Verflüchtigung des Dingfesten durch den Impressionismus, der Drang des Seelischen zur Bilderscheinung im Expressionismus, das Zersetzende um die Gewinnung neuer Wirkformen willen im Sur-i realismus und in verwandten Bezirken: überaus geschickte und sprachlich ernst geprägte Akzentuierungen machten die Ueberschau für die Hörer allgemein lebendig. Diese beiden

Hauptvorlesungen können fruchtbarster Nachwirkung sicher sein.

Höchst geschickt, sozusagen für die Praxis schauenden Erfassens zeigte Dozent Dr. Anton Macku (Wien) „Das Werden des Bildwerkes“, und zwar des plastischen. Wie er, immer im Kontakt mit den Hörern, von seinen persönlichen künstlerischen Begegnungen erzählend, das Eigentliche der Gestaltungsformen überzeugend erschließend, mit farbigen Kreiden in allereinfachsten Strichen etwa eine mittelalterliche oder zum Unterschiede eine antike Plastik als Skizze aufwachsen ließ, das war meisterhaft — wie überaus wichtig, zur Nachahmung anleitend und aber auch ermunternd. Auf der Symbolfähigkeit, die in wahren Kunstwerken enthalten ist, beruht ihr eigentlicher Wert für unser Leben. Darum war es wichtig, daß der Grazer Professor Dr. Wladimir Sas-Zaloziecky das Thema behandelte: „Bild und Sinnbild in der Kunst“. Was an Deutlichkeit und umfassendem Sinn im Vortrag selber nicht erreicht ward, kam. in den Aussprachen der Arbeitsgemeinschaft vielseitig zu mancher wertvollen Klärung.

Es ist ein wichtiges Zusammenspiel, daß die

Hörer der heurigen Hochschulwochen in charakteristischen Ausstellungen schönste Gelegenheiten zur Anschauung haben: die Residenz bietet die Kunst Waldmüllers, die Tapisserien von Jean Lursac, das Künstlerhaus mannigfache Werke des Bemühens und Gelingens um neue Formung, u. a. Zeugen brillanter Koloristik von Anton Steinhart, die Galerie Welz Bestes zur Kennzeichnung moderner französischer und deutscher Graphik. Und Musik! Welche Fülle von Tonwundern strömt da in den Kammerkonzerten, den Serenaden, den Orgelkonzerten im Dom in die Menschenwesen ein! Bernhard Paumgartner und Josef M e ß n e r erwerben sich immer wieder großes Verdienst um die Erhebung des inneren Menschen. Und ausgezeichnete Einführungen von Professor Dr. Feilerer (Köln): „Die Kirchenmusik Mozarts“, und Professor Josef Kronsteiner: „Zur e-moll-Messe Bruckners“.

Historisch gerichtetes Wissen um die Werke der Kunst hilft wenig unserer inneren Gestaltung. Erst wenn ermöglicht wird, die in den Werken geborgene Seele zu empfangen, werden sie uns zu innerlichen Kräften.

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